21.03.2018

Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Ja, Sie haben recht, wir haben eine lange Regierungsbildung erlebt. Leider ist es so: Was lange währt, wird nicht automatisch gut. Aber ich glaube, dass trotzdem viele Menschen hier in Deutschland und im Ausland froh sind, dass die Unklarheit vorbei ist.

Es kommt jetzt darauf an, was wir – die demokratischen Abgeordneten, die demokratischen Fraktionen – gemeinsam in Opposition und Regierung daraus machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn wir als demokratische Abgeordnete haben ein gemeinsames Interesse. Dieses gemeinsame Interesse ist, dass wir die Identifikation aller Menschen in diesem Land mit dem Rechtsstaat und der Demokratie massiv stärken. Das ist das Interesse der demokratischen Fraktionen hier im Deutschen Bundestag.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU] – Zuruf des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD])

Wir Grüne werden uns mit der Regierung ganz hart auseinandersetzen; denn wir sind in vielen Punkten grundsätzlich anderer Meinung.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?)

Wir sind grundsätzlich anderer Meinung bei der Klimapolitik. Wir haben eine grundsätzlich andere Position zu der Flüchtlingspolitik, wie Sie sie inzwischen betreiben. Wir haben auch in vielen Punkten im Bereich der Sozialpolitik eine grundsätzlich andere Haltung. Aber, ich glaube, dass es uns allen guttut, trotz aller heftigen Leidenschaft, die dazugehört, Respekt füreinander zu haben. Wir sollten bei aller eigenen Überzeugung trotzdem auf die Argumente der anderen hören und auf sie eingehen. Es würde dieser Großen Koalition verdammt guttun, wenn sie auch auf das eine oder andere Argument aus der Opposition eingehen und nicht wieder eine schwarz-rote Trutzburg bilden würde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Schauen wir mal, was kommt!)

In der Kürze der Zeit kann ich nur auf ein paar wenige Punkte eingehen. Vorneweg eine kurze Anmerkung zu etwas, was vorhin gesagt worden ist. Herr Gauland, ich weiß nicht, in welchem Jahrhundert Sie leben,

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:19.!)

aber um nur einen fundamentalen Unterschied zur Zeit von Bismarck zu nennen: Frankreich ist jetzt unser engster Verbündeter; wir führen keinen Krieg mehr gegen Frankreich. Ich glaube, das ist ein relevanter Unterschied, auch wenn Sie es vielleicht noch nicht verstanden haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Eine Anmerkung zu Herrn Lindner. Es tut mir ja leid, dass Sie die Zeit damals traumatisiert hat, aber es tut mir noch mehr leid, dass Sie, wie man Ihrer Rede angemerkt hat, Ihr Trauma leider noch nicht überwunden haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: Ich habe den Eindruck, von uns beiden sind Sie der Traumatisierte!)

Jetzt zur Regierungserklärung von Frau Merkel. Wissen Sie, Frau Merkel, ich habe es sehr geschätzt, in der Regierungserklärung von Ihnen zu hören, dass Sie etwas tun wollen, um sowohl den sozialen als auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt in diesem Land zu stärken. Dazu muss ich mir bloß anschauen, wie sich Ihr Kabinett in der vergangenen Woche präsentiert hat. Als ich Ihre Rede hörte, dachte ich spontan: Morgen wird Herr Seehofer entlassen, und übermorgen ist Herr Spahn fällig. Das wäre doch die Konsequenz aus Ihrer Regierungserklärung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was hat denn Herr Seehofer als neuer Innenminister gemacht, noch nicht verstehend, welche Verantwortung er trägt? Er hat dazu beigetragen, die Gesellschaft in diesem Land tiefer zu spalten.

(Lachen bei der AfD)

Deshalb hat der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter recht: Wer solche Aussagen tätigt, ist ein Sicherheitsrisiko.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Herr Seehofer, Ihnen ist es mit Ihren Aussagen gelungen, sowohl dem ganz rechten Rand als auch den Islamisten einen Gefallen zu tun. Das ist wirklich nicht hilfreich. Wissen Sie, was ich von einem Innenminister, der verantwortungsvoll ist, erwarten würde? Von einem Innenminister würde ich erwarten, dass er sich um die realen Probleme kümmert, die es gibt. Nehmen wir zum Beispiel einmal die vernünftige Zusammenarbeit unserer Sicherheitsbehörden. Wir haben hier gemeinsam einen Untersuchungsausschuss eingesetzt. Warum haben wir ihn eingesetzt? Weil der Anschlag auf dem Breitscheidplatz wohl auch auf ein Versagen unserer Sicherheitsbehörden zurückzuführen ist. Wenn Sie sich darum kümmern würden, hätten Sie auch unsere Unterstützung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wir überhaupt nicht brauchen, ist ein Gesundheitsminister, der glaubt, seine Karriere – er ist ja gar nicht konservativ; das ist ja eine Schande für die Konservativen – im rechten Flügel der Union auf dem Rücken der Schwächsten aufbauen zu können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Herr Spahn, Sie wissen doch auch, dass die Sätze für das Arbeitslosengeld II seit zehn Jahren künstlich heruntergerechnet werden.

(Zuruf des Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD])

Herr Spahn, Sie wissen doch auch, dass man mit 2,77 Euro pro Tag ein Kind nicht vernünftig ernähren kann. Lassen Sie das doch, und kümmern Sie sich um Ihre eigenen Aufgaben!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ein Beispiel, was man tun könnte, wäre, sich zu überlegen, was man wirklich bei der Pflege verbessern kann. Frau Merkel hat gesagt, 8 000 zusätzliche Stellen seien ein erster Schritt. Verdammt noch mal! Wir waren doch schon einmal weiter. Es war einmal von 25 000 zusätzlichen Stellen die Rede. Wenn Sie sich darum kümmern würden, dann hätten Sie unsere Unterstützung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was ich, ehrlich gesagt, bitter finde an der ganzen Geschichte, ist, dass man von der SPD, wenn die Schwächsten bei uns im Land so diffamiert werden, eigentlich nichts hört.

(Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD])

Frau Nahles, Herr Heil, ich finde es ja gut, wenn Sie sich darum kümmern wollen, dass mehr Menschen in Arbeit kommen, dass mehr Langzeitarbeitslose in Arbeit kommen. Der Vorschlag eines sozialen Arbeitsmarktes ist eine gute Sache.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber im Grundgesetz steht nicht: „Die Würde des arbeitenden Menschen ist unantastbar“, sondern: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb hätte ich erwartet, dass Sie die Ärmsten der Armen gegen Ihren Koalitionspartner verteidigen. Lassen Sie uns gemeinsam für ein Sozialsystem sorgen, das die Würde aller Menschen ins Zentrum stellt. Das wäre die Aufgabe, die ansteht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ganz kurz noch zur Klimapolitik. Das Problematische an der Klimapolitik, so wie Sie sie betreiben, ist, dass Sie massiv Vertrauen in unserer Gesellschaft zerstören. Erfolgreiche Klima- oder Umweltpolitik erfordert einen langfristigen Umbau. Sie ist etwas, worin Unternehmen investieren müssen, worauf sich Menschen langfristig einstellen können müssen. Deshalb ist das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Politik so wichtig. Mit dem Kippen des Klimaschutzziels 2020 haben Sie genau diese Verlässlichkeit zerstört. Indem Sie die Tricksereien der Autokonzerne haben durchgehen lassen, haben Sie genau diese Verlässlichkeit zerstört. Wie soll ein Unternehmer, der Millionen in Klimaschutz investieren will, das gegenüber seinen Investoren begründen, wenn sein Konkurrent sich darauf verlassen kann, dass die Durchsetzung der Klimaschutzziele immer und immer wieder verschoben wird? Wie soll denn ein Manager – es gibt auch progressive in der Autoindustrie – durchsetzen, dass endlich moderne, saubere Antriebe produziert werden, wenn Sie zulassen, dass die Tricksereien weitergehen? Ändern Sie das endlich!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dadurch wird Ihre Klimapolitik auch noch eine richtig schlechte Wirtschaftspolitik.

(Andrea Nahles [SPD]: Das wissen Sie doch gar nicht!)

Zum Abschluss noch eins, Herr Kauder. Man könnte noch zu vielen Dingen etwas sagen. Zu Europa müsste man dringend etwas sagen. Hören Sie endlich auf, Macrons Vorschläge immer als Transferunion zu diffamieren!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kauder, man müsste auch dringend etwas zu dem sagen, was Sie zur NATO, zu Afrin und zur Türkei gesagt haben. Verdammt noch mal: Sie haben ja recht. Aber was macht diese Bundesregierung? Dann muss diese Bundesregierung endlich einmal den NATO-Rat anrufen, anstatt in einer Tour weiter Waffen dorthin zu liefern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie sagen hier das Richtige, und das Gegenteil wird von Ihrer Bundesregierung gemacht. Daher erwarte ich von Ihnen als Regierungsfraktionen, dass Sie sich durchsetzen.

Deshalb zum Abschluss nur eines: In den ersten Wochen hat man erkennen können, dass die Koalitionsfraktionen und ‑parteien vor allem mit sich selbst beschäftigt sind: Herr Spahn gegen Annegret Kramp-Karrenbauer; Frau Nahles und die SPD waren sowieso mit sich selbst beschäftigt. Bei der CSU gibt es einen Wettbewerb zwischen Seehofer und Söder, wer am weitesten nach rechts ausschlägt. Hören Sie damit auf; denn wir brauchen dringend eine Regierung, die die großen Probleme dieses Landes anpackt. Tun Sie das! Das wünsche ich mir nicht nur als Opposition, das wünsche ich mir vor allem als Bürger dieses Landes.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])