Rede von Filiz Polat Georgien und Moldau als sichere Herkunftsstaaten

Foto von Filiz Polat MdB
12.10.2023

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für uns steht nach wie vor fest: Das Konzept der sicheren Herkunftsländer halten wir grundsätzlich für falsch; denn es löst die komplexen Herausforderungen, Herr Throm, in den Kommunen vor Ort nicht und stuft die Lage eines Landes aus innenpolitischen Erwägungen heraus pauschal als sicher und menschenrechtlich unproblematisch ein.

Ich möchte Sie nochmals daran erinnern, weil Sie auch in Ihrem Antrag und in den Debatten wiederholt auf die Anerkennungsquoten abstellen, dass an die Einstufung von Herkunftsländern als „sicher“ nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hohe Anforderungen gestellt werden und die Anerkennungsquoten hier die Einstufung in keiner Weise rechtfertigen können. Denn das Gericht hat in seinem Urteil vom Mai 1996 klargestellt – und ich hoffe, auch Sie fühlen sich daran gebunden –, dass zur Einstufung die Sicherheit vor politischer Verfolgung landesweit und für alle Personen und Bevölkerungsgruppen bestehen muss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier gibt es auch keinen Ermessensspielraum.

(Detlef Seif [CDU/CSU]: Das Konzept schließt aber nicht aus, dass im Einzelfall Verfolgung besteht!)

Wir befassen uns heute mit Georgien und Moldau; beide Republiken sind Bewerber bzw. Kandidaten für eine EU-Mitgliedschaft. Hier will der Gesetzentwurf eine gesonderte Betrachtung vornehmen. Denn mit dieser europäischen Perspektive haben die Staaten die Verpflichtung, weitgehende Reformen bei Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten umzusetzen, meine Damen und Herren. Sie sollten auf ihrem langen Weg in die EU Unterstützung finden.

Dabei denke ich besonders an den Schutz von LGBTIQ-Menschen in Georgien sowie der nationalen Minderheit der Roma in der Republik Moldau. In beiden Fällen, Herr Throm, liegen uns viele kritische Stellungnahmen vor, unter anderem des Queer-Beauftragten und des Beauftragten gegen Antiziganismus. Auch deswegen müssen wir eine sorgfältige Beratung in den Ausschüssen vornehmen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Noch kurz zu den Maghreb-Staaten, die die Union heute hier erneut thematisiert. Lesen Sie, was Amnesty International, Reporter ohne Grenzen, der UN-Menschenrechtskommissar regelmäßig zur Lage von Menschenrechtsaktivistinnen und Menschenrechtsaktivsten, Journalistinnen und Journalisten, LGBTIQ+-Personen in diesen Staaten berichten.

Vor allem in Tunesien, Herr Throm, ist die Situation verheerend: Hetzjagden gegen Migranten, willkürliche Verhaftung von schwarzen Menschen, Hunderte davon ausgesetzt in der Wüste, unter ihnen schwangere Frauen und Kinder. In allen Staaten drohen Lesben, Schwulen, trans, intergeschlechtlichen und queeren Personen mehrjährige Haftstrafen, wenn sie sich outen. In Tunesien ist die staatlich geförderte Folter durch erzwungene Analuntersuchungen vielfach dokumentiert.

Meine Damen und Herren, beim Thema „sichere Herkunftsstaaten“ braucht es deshalb eine sorgfältige Beratung mit einem regulären Beratungsverfahren, mit Überweisung in die Fachausschüsse, weil wir verfassungsrechtliche Fragen, die wir hier berührt sehen, ernst nehmen sollten. Deshalb werden wir natürlich für eine Ausschussüberweisung plädieren.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Polat. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Christian Wirth für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)