Rede von Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Geringfügige Beschäftigung

12.10.2018

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland gibt es 7,5 Millionen geringfügig Beschäftigte, davon fast 5 Millionen, die ausschließlich eine geringfügige Beschäftigung haben. Das sind definitiv viel zu viele. Wir wollen, dass es weniger werden, und wir wollen geringfügige Beschäftigung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umwandeln. Das muss unser gemeinsames Ziel sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist gut, dass durch den Mindestlohn – der Kollege Rützel hat das eben beschrieben – genau das passiert ist. Das ist sehr zu unterstützen. Diesen Weg müssen wir weitergehen. Wir müssen mehr Selbstbestimmung und mehr Freiheit für die Menschen hinbekommen, indem wir Grenzen und Hürden abbauen, und nicht, indem wir Grenzen und Hürden zementieren, wie Sie es in Ihrem Gesetzentwurf machen.

Ich werde in der kurzen Zeit drei Punkte ansprechen, die aus grüner Sicht wichtig sind, wie man diese Hürde abschafft, um die Minijobfalle, die es real gibt – empirisch –, zu überwinden.

Der erste Punkt ist der Einbezug in die gesetzliche Rentenversicherung. Derzeit gibt es das Opt-out-System, mit dem Ergebnis, dass die meisten aus der gesetzlichen Rentenversicherung aussteigen. Das wollen wir abschaffen, damit die Menschen in der gesetzlichen Rentenversicherung abgesichert sind. Das ist ein Schutz vor Altersarmut und führt dazu, dass die Grenze zwischen Minijobs und darüber hinausgehender Beschäftigung beseitigt wird und es einen Anreiz für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Daniela Kolbe [SPD])

Der zweite Punkt. Von einem Minijob kann man nicht leben,

(Pascal Kober [FDP]: Das ist ja auch gar nicht gewollt!)

sondern man lebt von irgendetwas anderem.

(Dr. Marcel Klinge [FDP]: Sie können doch etwas dazuverdienen!)

Eine Möglichkeit ist, dass man vom Partner oder von der Partnerin lebt. In Deutschland gibt es massive Anreize für eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung: ein Hauptverdiener und ein Minijobber. Sie haben eben explizit gesagt, dass Sie da an die Ehefrauen denken.

(Pascal Kober [FDP]: Das liegt doch an der Steuerklasse!)

Das ist Ihr Frauenbild in der FDP. Unser Frauenbild ist das nicht. Wir wollen gleichberechtigte Erwerbstätigkeit und auch für Frauen eine eigenständige Absicherung und ein eigenständiges Einkommen.

(Pascal Kober [FDP]: Das liegt aber doch auch an der Steuerklasse!)

Dafür muss man bei den Anreizen ansetzen, zum Beispiel das Ehegattensplitting abschaffen und es durch eine Kindergrundsicherung ersetzen. Wir wollen nicht die Ehe, sondern die Kinder fördern. Auch das würde dazu beitragen, mehr Anreize für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu schaffen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Dritter Punkt – er ist mir besonders wichtig –: Viele Minijobber stocken mit Hartz-IV-Leistungen auf. Da nützt Ihre Regelung überhaupt nichts; denn dadurch würde sich bei den Leuten netto überhaupt nichts verändern.

(Pascal Kober [FDP]: 20 Euro mehr!)

Hier ist wichtig, zu sehen, dass bei den Anreizen, die es derzeit gibt, die Belohnungen viel zu schwach sind. Die ersten 100 Euro darf man bei einem Minijob dazuverdienen, wenn man Hartz IV bezieht. Danach wird jeder zusätzliche Euro mit 80 Prozent besteuert.

(Pascal Kober [FDP]: Das sind 20 Euro mehr! – Dr. Marcel Klinge [FDP]: Besser als nichts!)

Eigentlich haben wir den Spitzensteuersatz, also bei den unteren Einkommen. Auch das müssen wir ändern.

Wir müssen endlich dazu kommen, dass sich Erwerbstätigkeit wieder lohnt und belohnt wird. Deswegen streiten wir Grüne für eine Garantiesicherung, bei der die Transferentzugsrate – so heißt das ja technisch – deutlich gesenkt wird, damit es sich wieder mehr lohnt, wenn die Menschen mehr arbeiten, auch wenn man einen Minijob hat. Wir Grüne wollen die Minijobfalle und die Armutsfalle beseitigen und die Menschen befreien. Die FDP will die Fallen beibehalten und größer machen.

(Dr. Marcel Klinge [FDP]: Stimmt nicht! – Michael Theurer [FDP]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Das ist der Unterschied zwischen uns: Uns geht es um Freiheit, Selbstbestimmung und bessere soziale Absicherung,

(Michael Theurer [FDP]: Stimmt nicht!)

Ihnen geht es darum, die Fallen beizubehalten.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)