Rede von Maria Klein-Schmeink Gesetzliche Krankenversicherung
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Raum! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Herr Minister Holetschek, ich muss sagen: Was für ein Offenbarungseid, den Sie hier inszeniert haben, angesichts 16 Jahren unionsgeführter Gesundheitspolitik!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Lachen bei der CDU/CSU)
Das ist ja nicht zu glauben. Sie haben große Klagen geführt, haben aber vergessen, zu erwähnen, wer eigentlich verantwortlich ist für das, was wir hier an Krise vorfinden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Tino Sorge [CDU/CSU]: Wenn Ihnen dazu nichts anderes mehr einfällt, ist das echt traurig! – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Seid ihr jetzt an der Regierung oder nicht?)
Sie haben recht: Wir haben ein Defizit von 17 Milliarden Euro aus Ihrer Regierungszeit geerbt. Wir haben einen Haushalt geerbt, in dem null Vorsorge für die Deckung dieser 17 Milliarden Euro vorgesehen war.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist eigentlich Jens Spahn?)
Sie haben einen Wahlkampf geführt, in dem Sie – anders als wir – jede Antwort schuldig geblieben sind, wie Sie mit diesem Defizit umgehen wollen; jede Antwort!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir haben gesagt, was wir den Menschen zumuten werden.
(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sie sind eine Zumutung!)
Wir haben gesagt: Wir werden das gerecht lösen. Wir haben aber auch gesagt: Es wird teurer werden. – All das haben Sie nicht getan.
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Wer hat denn die Pflegeverbesserungen auf den Weg gebracht? Wer hat denn die neuen Patientenregelungen auf den Weg gebracht? Das war gesellschaftlicher Konsens! Das schaffen Sie jetzt wieder ab! Doch ist doch eine Bankrotterklärung!)
Zusätzlich haben Sie 16 Jahre lang vergessen, die großen Krisen im Gesundheitswesen anzugehen.
Sie haben zu Recht die Krankenhausreform angesprochen. Dieses Problem ist aber nicht neu, sondern es ist ein altbekanntes.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das weiß Herr Holetschek!)
Schon 2009, als ich hier im Bundestag angekommen bin, war das schon ein altbekanntes Problem. Wir wissen, dass wir es mit Versäumnissen auf der Länderebene zu tun haben,
(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ist es!)
und wir wissen auch, dass wir ein Entgeltsystem auf Bundesebene haben, das den Erfordernissen nicht gerecht wird. Deshalb, meine lieben Zuhörer hier, steht die Reform der Krankenhausfinanzierung genau jetzt auf der Tagesordnung. Wir gehen sie an.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Wir haben innerhalb von wenigen Monaten Ergebnisse vorliegen.
(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Wo ist sie denn? Wo ist denn die Reform?)
Wir haben Vorschläge vorliegen. Wir werden als Erstes den Bereich Pädiatrie angehen, wir werden als Zweites den Bereich Geburtshilfe angehen, und wir werden die Krankenhausfinanzierung insgesamt auf eine neue Grundlage stellen.
Präsidentin Bärbel Bas:
Frau Klein-Schmeink.
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Punkt eins ist die Strukturreform. Wir werden die Krankenhausreform breiter fassen, weil wir große Verschränkungen mit den Ländern haben. Da werden wir Sie brauchen. Ich werde Sie an all das erinnern, was Sie jetzt gerade gesagt haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Es wird nicht möglich sein, zu sagen: Hier Bund, mach mal, und wir Länder halten die Hände auf. – Wir brauchen eine vernunftgeleitete, eine wissenschaftlich fundierte Krankenhausplanung. Davon sind wir derzeit weit entfernt; höchstens in NRW gibt es diese Schritte.
Wir brauchen zusätzlich – das ist der zweite Punkt – eine Reform der Versorgung insgesamt: integrierte Versorgung, kooperierende Versorgung, Gesundheitszentren, die gerade in den ländlichen Räumen die Versorgung sichern können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD] und Dr. Andrew Ullmann [FDP])
Dazu höre ich vonseiten der CDU/CSU nichts, außer der großen Klage, dass wir mehr Hausärzte brauchen.
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Die brauchen wir ja auch! Fragen Sie einmal die Patienten!)
Präsidentin Bärbel Bas:
Frau Klein-Schmeink, ich versuche schon die ganze Zeit, eine Lücke zu finden, um die Frage zu stellen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung aus der CDU/CSU-Fraktion von Frau Zeulner?
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja. Gerne.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sagt bestimmt was zu Jens Spahn!)
Emmi Zeulner (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Kollegin, vielen herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich habe eine ganz konkrete Frage: Was tun Sie aktuell, um im Bereich Krankenhäuser und soziale Infrastruktur insgesamt – ich denke zum Beispiel an die ambulanten Pflegedienste im ländlichen Raum, die mit hohen Spritkosten umgehen müssen – Entlastungen zu schaffen? Bitte ganz konkret: Was tun Sie jetzt? Denn jetzt ist Handlung dringend nötig.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich glaube, Sie haben dem Minister nicht zugehört. Sie haben wahrscheinlich auch nicht wahrgenommen, dass wir vonseiten der Fraktion Vorschläge für einen Energie- und Inflationsschutzschirm gemacht haben.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir sind in der Diskussion.
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Seit Monaten!)
Das wird in den nächsten Wochen entschieden, und wir werden handeln. Ich sage eines: Wir handeln in dieser Zeit schneller als Sie in den ganzen letzten Jahren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Lachen bei der CDU/CSU)
Wir werden dafür sorgen, dass unsere wichtige Infrastruktur unterstützt und so erhalten wird. Wir werden daran arbeiten, zukunftsgerechte Lösungen zu erstellen. Das ist doch der Punkt!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sie handeln gar nicht! – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Sie lassen die Betroffenen im Regen stehen!)
Präsidentin Bärbel Bas:
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage von der Fraktion Die Linke?
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Na gut, eine Frage.
Präsidentin Bärbel Bas:
Gut, eine noch.
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das verlängert ja meine Redezeit.
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Wer kann diesem Blick widerstehen?)
Ates Gürpinar (DIE LINKE):
Ich bin Ihnen ganz besonders dankbar, dass Sie diese Frage zulassen, Frau Klein-Schmeink. Vielen Dank auch an die Präsidentin. – Sie haben gerade gesagt, dass Sie eine auskömmliche Finanzierung in der Pädiatrie und Geburtshilfe angehen wollen. Ich will Sie in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass in Ihren Koalitionsvertrag auch die Finanzierung der Notfallversorgung aufgenommen wurde. Ich möchte fragen, weil Sie es – bewusst oder unbewusst – nicht zum ersten Mal auslassen – also nicht Sie, sondern die Koalition an sich –, ob Sie das Projekt begraben haben oder ob Sie es noch angehen werden. Es wird die Kolleginnen und Kollegen in der Notfallversorgung sehr interessieren, ob Sie da zuverlässig sind oder nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der CDU/CSU)
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das ist eine sehr gute Frage; denn sie gibt mir die Gelegenheit, einen Eindruck, der entstanden sein könnte, richtigzustellen.
Natürlich gehen wir auch die Notfallversorgung an.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das ist der dritte Punkt, den wir innerhalb der großen Reform angekündigt haben und jetzt auch angehen werden. Sie können sicher sein: Genau das werden wir tun.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Jetzt kommen wir zum Punkt: Was sind denn eigentlich die Antworten auf die Fragen der Zukunft? Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz können wir nur einen Übergang schaffen, eine einmalige Lösung, weil der Rückgriff auf Reserven nur einmal möglich ist. Wir brauchen ganz klar eine Strukturreform bei der Finanzierung. Wir haben in der Ampel wichtige Schritte im Koalitionsvertrag verankert, und auf die werden wir auch hinarbeiten. Genau das werden wir tun.
(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Was machen Sie denn heute? Sie legen doch nichts vor!)
Der springende Punkt ist – Sie alle wissen das –: Wir sind jetzt in einer Dreifachkrise. Wir sind in einer Krise, in der wir sehr gut aufpassen müssen, wie viel Belastung wir den einzelnen Haushalten, den einzelnen Versicherten, den Menschen hier im Lande zumuten können. Und da haben wir einen guten Ausgleich gefunden zwischen der Belastung über den Anstieg von Beitragsmitteln:
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Mit der Gasumlage! Deshalb die Gasumlage! Super Idee!)
Wir haben gleichzeitig den Rücklagenabbau,
(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Das ist doch alles schwammig!)
und wir haben einen Beitrag zur Effizienzsteigerung, den die verschiedenen Leistungserbringer erbringen werden.
(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Regierungskrise vergessen!)
Wir werden dieses Ziel nicht aus den Augen verlieren und eine regelbasierte Refinanzierung installieren,
(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Was heißt das hier und heute konkret, Frau Kollegin?)
wo es um gesamtgesellschaftliche Aufgaben geht. Und da sage ich Ihnen einmal eins: 16 Jahre lang haben Sie genau das nicht angepackt.
(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Oh!)
Sie haben es auch in der letzten Wahlperiode nicht angepackt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Sie hatten im Koalitionsvertrag stehen,
(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das ist Arbeitsverweigerung, Frau Kollegin, was Sie hier tun!)
dass Sie die Beiträge für die ALG‑II-Beziehenden steuerfinanziert anheben werden. Das haben Sie nicht gemacht, und das in Zeiten höchster Rücklagen. Das ist doch der Punkt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Dann haben Sie noch etwas anderes gemacht. Sie haben die Betriebsrentner freigestellt von höheren Beiträgen
(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Ja, was wollen Sie denn?)
und haben das nicht steuerrefinanziert gemacht, sondern uns in dieser Wahlperiode ebenfalls übergeholfen. So war Ihre Art und Weise, Gesundheitspolitik zu machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Ja, ja, ja! Was liegt denn heute auf dem Tisch? Sie sind heute in der Verantwortung!)
Da kann ich nur sagen: Das Erbe der Ära Jens Spahn war sehr, sehr teuer. Wir gehen das jetzt an.
(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Ja, was gehen Sie denn an? Nichts gehen Sie an! Gehen Sie nach Hause, wenn Sie nichts angehen!)
Da können Sie sicher sein. Es ist auch ganz klar: 2024 werden wir weitere Schritte gehen müssen in Richtung gerechter Finanzierung, stabiler und regelgeleiteter GKV-Beiträge. Das werden wir angehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Vertane Chance!)
Da können Sie sicher sein. Wir werden unseren Beitrag tatsächlich leisten,
(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Sie lassen die Betroffenen alleine! Das ist die Realität!)
um Verantwortung für ein stabiles Gesundheitswesen zu übernehmen. Genau das haben Sie nicht getan.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)