29.11.2018

Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute und in den vergangenen Jahrhunderten haben viele Deutsche ihr Zuhause verlassen und ihr Glück woanders gesucht. Viele Menschen von anderswo haben in Deutschland eine neue Heimat gefunden. Es gab, es gibt und es wird immer Migration geben. Das ist einfach ein ganz normaler Fakt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Natürlich hat Migration viele Chancen, sie birgt aber auch Herausforderungen. Die Frage ist doch: Wie gehen wir damit um? Wie gestalten wir diesen Prozess? Die Aufgabe von Politik ist doch, aus der Realität das Bestmögliche für alle zu machen, Chancen zu nutzen und Probleme zu lösen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Genau das ist auch die Idee des Migrationspaktes. Es geht um klare und faire Leitlinien. Es geht darum, Menschenschmuggel zu unterbinden. Es geht darum, Menschenrechte zu schützen. Ich finde es schon traurig, dass man hier stehen und betonen muss, dass Menschenrechte, wie der Name sagt, für alle Menschen gelten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Pakt ist auch eine Chance für mehr globale Zusammenarbeit. Das hysterische Geschrei der Nationalisten dagegen ist auch eine Gefahr für die internationale Ordnung. Donald Trump versucht gerade, Migrantinnen und Migranten mit Mauern, mit Kindern in Käfigen und mit Tränengas zu bekämpfen. Dabei wird ja nicht nur deutlich, wie unmenschlich das ist, sondern eben auch, dass das null funktioniert. Migration kann man eben nur gemeinsam mit anderen Staaten aus der Kooperation heraus gestalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Einige freuen sich ja jetzt über Sebastian Kurz. Österreich war der Wortführer der 27 EU-Staaten, und jetzt wird da Stimmung gegen diese Vereinbarung gemacht. Das ist doch völlig verrückt. Das zeigt aber auch, welche Instabilität in der Außenpolitik damit verbunden ist, wenn die Rechtspopulisten mitregieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Hand in Hand mit dieser rechten Allianz – das passt perfekt –, inklusive Identitären, abstrusen esoterischen Verschwörungstheorien, kruden Umvolkungsthesen, bewegt sich die AfD.

(Jürgen Braun [AfD]: Esoterik ist doch bei Ihnen! Das gehört doch schon fast zum Programm bei Ihnen!)

Ich muss Ihnen von der AfD auch sagen: Nicht Sie haben dieses Thema hier aufgesetzt; es stand schon lange zur Debatte. Der erste Antrag dazu kam übrigens von uns Grünen; das können Sie einfach am Datum nachlesen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Im Pakt wird gefordert, dass Migrantinnen und Migranten sicheren Zugang zu Grundleistungen erhalten sollen. Herr Gauland hat sich in der letzten Debatte hierhingestellt und das mit den Worten verspottet – ich zitiere –: „Weniger empfindsame Gemüter nennen das Einwanderung in die Sozialsysteme.“ Ich frage Sie: Was heißt das eigentlich in der Konsequenz? Ist es Ihre Position, dass Kinder mit Migrationshintergrund keinen Zugang zu Bildung und keinen Zugang zur Gesundheit erhalten sollen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der AfD)

Lassen Sie doch mal Ihre Maske fallen! Zeigen Sie Ihr wahres, hässliches Antlitz! Trauen Sie sich das mal! Stellen Sie sich hierhin, und sagen Sie eben auch, dass Sie finden, dass Migrantinnen und Migranten keine Menschenrechte haben sollen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mich in dieser Debatte zeitweilig wirklich sehr besorgt hat, war, dass ich kurz das Gefühl hatte, dass jemand, der sich um den CDU-Vorsitz bewirbt, anfängt, sich auf diese Diskussion einzulassen, oder dass es Linke gibt, die von „Aufstehen“ sprechen und den Rechten nach dem Mund reden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Aber ich finde, es gibt auch eine gute Nachricht. Ich bin jetzt ein bisschen beruhigter. In Estland hat die Regierung auch darüber nachgedacht, diesem Pakt nicht beizutreten. Das Parlament hat diskutiert, und sie haben sich zum Migrationspakt bekannt. Nach den Diskussionen in der Linkspartei und in der CDU muss man sagen: Wenn man sich mit der Materie beschäftigt, dann siegt am Ende einfach der gesunde Menschenverstand.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Braun [AfD]: Die FDP ist begeistert von Ihnen! Frau Brugger, die FDP bietet sich Ihnen als Bräutigam an!)

An Frau Wagenknecht, aber auch an Herrn Ramsauer – er ist der Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – kann ich nur appellieren – ich habe gedacht, ich würde so etwas nie sagen –: Nehmen Sie sich mal ein Beispiel an Herrn Dobrindt! Der hat sich von Anfang an klar zum Migrationspakt bekannt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da muss man schon sagen: Die CSU hat wohl sehr schmerzhaft lernen müssen, dass es am Ende nur den Rechten hilft, wenn vernünftige Parteien auf sie zugehen, ihre Sprache und ihre Angstmache übernehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen Sie aus der Defensive! Machen Sie den Rücken gerade! Bleiben Sie, bleiben wir doch einfach cool, klar und menschlich und kontern die Verschwörungstheorien mit Sachlichkeit, mit Menschenverstand und mit Empathie!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN – Jürgen Braun [AfD]: Und mit Esoterik, jawohl!)

Meine Damen und Herren, die Vereinten Nationen und der Multilateralismus, das sind Werte an sich. Das ist unsere einzige Möglichkeit, diese Welt so zu gestalten, dass man Entwicklungen nicht einfach nur ausgeliefert ist, sondern dass am Ende alle gewinnen und die Rechte von allen geschützt werden können. Die Vereinten Nationen und der Multilateralismus, das ist auch zutiefst in unserem eigenen Interesse; denn wer glaubt, dass ein Staat allein der ganzen Probleme Herr werden kann, der ist einfach nur dumm.

(Abg. Martin Hebner [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Kollegin Brugger, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?

Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein, die kriegen von mir keine zusätzliche Redezeit.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wenn wir ins Klein-Klein zurückfallen und Menschengruppen gegeneinander ausspielen, dann gibt es keine Gewinner, sondern am Ende nur Verlierer.

Viele der Maßnahmen in diesem Pakt – deshalb verstehe ich auch die Aufgeregtheit in der Debatte nicht – sind in Deutschland schon lange Gesetz, Alltag und Realität. Das Einwanderungsgesetz ist der nächste Schritt. Wir werden auch sehr genau prüfen, ob Sie dort diese Vereinbarungen umsetzen.

Deshalb kann ich an Sie alle nur appellieren: Lassen Sie uns zusammen für unsere gemeinsame Ordnung, für unsere grundlegenden Werte einstehen! Gerade wenn alte Partner und Rechtspopulisten unsere gemeinsame Ordnung und die Menschenrechte unter Beschuss nehmen, braucht es eine klare Haltung, braucht es Anstand und ein ganz deutliches Signal dafür aus der Mitte Europas.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)