Rede von Filiz Polat Global Compact for Migration

30.11.2018

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Liebich hat es gesagt: Migration ist so alt wie die Menschheit. Die Frage, wie Migration – ich möchte noch mal betonen: wir sprechen beim Global Compact for Migration von Migration zu Erwerbszwecken, meine Damen und Herren – organisiert, geregelt und auch ermöglicht wird, stellte sich in der Vergangenheit und wird sich auch in Zukunft stellen. Genau hier setzt der UN-Migrationspakt an: lösungsorientiert und realitätsnah. Denn Migration ist ein Fakt und lässt sich nicht wegschreien, auch nicht vom rechten Rand, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Aydan Özoğuz [SPD])

Der Migrationspakt ist kein Angriff auf nationale Souveränität, sondern er wahrt nationale Souveränität. Der Migrationspakt schafft nicht mehr Migration, sondern er setzt – das ist uns besonders wichtig – globale Standards, unverbindlich, um vor allem Arbeitsmigrantinnen und -migranten vor Ausbeutung zu schützen. Der Migrationspakt will nicht alle Menschen nach Deutschland holen, er gibt vielmehr Leitlinien für die Steuerung von Migrationsbewegungen vor – nicht mehr und nicht weniger.

Mit dem Migrationspakt wird ein Kooperationsrahmen auf UN-Ebene geschaffen, der die unterschiedlichen Interessen von Herkunfts-, Transit- und Aufnahmestaaten vereint. Dabei sollen alle Interessen beachtet werden: die der Staaten, aber eben an aller erster Stelle die der Menschen.

Inhaltlich setzt der Pakt Standards zum Schutz des Lebens, der Lebens- und Arbeitsbedingungen, für die Bekämpfung von Menschenhandel, von Ausbeutung und Diskriminierung der Migrantinnen und Migranten. Das ist dringend notwendig –

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])

nicht nur in Katar, nicht nur in Bangladesch oder Spanien, meine Damen und Herren, nein, auch hier in Deutschland.

Lassen Sie mich das noch einmal an einigen Beispielen verdeutlichen. Die vielbeschworenen innovativen Köpfe in Wissenschat und Wirtschaft arbeiten über nationale Grenzen hinweg.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das war schon immer so!)

Wo, Herr Hampel, ist die Lösung für die Wissenschaftlerin, die Rentenansprüche in fünf verschiedenen Ländern erworben hat? Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wo das Schnitzel herkommt, Herr Hampel, das Sie hier in der Kantine essen? Ich kann es Ihnen sagen – ich komme auch aus Niedersachsen –: In den Schlachthöfen in Niedersachsen arbeiten zahllose bulgarische oder rumänische Arbeitsmigrantinnen und -migranten, die dafür sorgen, dass Ihr Essen auf Ihrem Teller landet.

(Zuruf des Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD])

Haben sie keine fairen Löhne verdient, sollten sie nicht menschenwürdig untergebracht werden, meine Damen und Herren?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wer arbeitet hinter den Kulissen in den Küchen der Restaurants, in denen wir unseren Feierabend genießen? Wer pflegt, Herr Hampel, Eltern und Großeltern – Ihre leben wahrscheinlich nicht mehr – in ihrem Zuhause, damit sie in Würde und selbstbestimmt alt werden können? Wem gehören die vielen Hände auf den Baustellen, die es braucht, um den Wohnungsbau in Deutschland voranzutreiben?

(Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

All diese Menschen sind wesentlich an dem Wohlstand und Wohlergehen unserer Gesellschaft beteiligt; ohne ihren Einsatz würde es uns nicht so gut gehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Braun [AfD]: Wo sind denn Hunderte arabische Männer als Altenpfleger?)

Deswegen ist es doch selbstverständlich, dass wir ihnen mit Respekt begegnen und den gleichen Schutz und die gleichen Rechte zugestehen – Herr Liebich hat es gesagt –, die beispielsweise Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE])

Ist es gerecht, dass die Anzeige von menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen zum Verlust des Aufenthaltstitels führen kann? Wie kann es sein, dass Betroffene von Menschenhandel, wenn sie den Mut beweisen, gegen ihren Peiniger rechtlich vorzugehen, keinen Schutz in Deutschland erhalten? Ist es gerecht, dass zahllose Menschen nur aufgrund ihrer Hautfarbe – Herr Gauland, Sie haben das Zitat selber gebracht – oder ihres Namens keine Wohnung finden? Haben sie keine Wohnung in Deutschland verdient, meine Damen und Herren?

Das sind die wahren Probleme, denen wir uns stellen müssen, auch in Deutschland. Und der Migrationspakt bietet Leitlinien, wie wir diese Probleme anpacken können. Natürlich ist der weltweite Fortschritt wichtig, und wir müssen diesen gemeinsam vorantreiben. Dabei dürfen wir die Herausforderungen vor unserer eigenen Haustür nicht kleinreden. Es gibt viel zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Nach all den Diskussionen in der Öffentlichkeit, auch hier im Plenum, über diesen Migrationspakt: Bisher kommt die Perspektive der Migrantinnen und Migranten nicht vor. Das ist das größte Problem in dieser Debatte.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Auch ihre Pflichten kommen da nicht vor!)

Statt die Vereinten Nationen und den Multilateralismus durch juristische Feinheiten bis hin zu Verschwörungstheorien infrage zu stellen, müssen, meine Damen und Herren, die Menschen der Kern unserer Debatte sein. Das ist unser Auftrag als Bundestagsabgeordnete.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wir lehnen mit Überzeugung die Anträge der AfD ab.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)