Dr. Paula Piechotta MdB
25.11.2022

Dr. Paula Piechotta (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! 2023 wird das dritte Jahr in Folge sein, das nach einem Krisenhaushalt verlangt. Wir als Parlament gewöhnen uns nicht an diesen Ausnahmezustand; aber wir können inzwischen ganz gut mit ihm umgehen. Wir wissen unter anderem: Je unübersichtlicher die Zeiten, umso klarer müssen die Antworten sein. Die Antworten, die dieser Bundeshaushalt in Sachen Entlastungen, Modernisierungen, Energiesicherheit gibt, die sind in diesen unübersichtlichen Zeiten sehr klar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir als Gesellschaft, als Bundestag wachsen an unseren Aufgaben in der Krise. Und auch der Bundeshaushalt wächst mit uns an diesen großen Aufgaben.

Friedrich Merz am Mittwoch und Jens Spahn heute Vormittag hier, die können die aktuelle Situation in Deutschland gar nicht schwarz genug malen. Es ist Ihr gutes Recht, das als Opposition so zu sehen; aber ich möchte auf ein paar Frühindikatoren verweisen, die vielleicht deutlich machen, dass sich die Stimmung gerade ein bisschen dreht. Manche meiner Kollegen würden auf den ifo-Geschäftsklimaindex hinweisen, der den zweiten Monat in Folge steigt, andere auf die sich deutlich reduzierenden Energiepreise. Ich möchte Ihnen aber noch einen anderen Frühindikator nennen, der vor allen Dingen für mich in meiner Region wichtig ist und der ein ganz feiner Gradmesser dafür ist, wie groß die materiellen Ängste in dieser Gesellschaft sind: das Demonstrationsgeschehen in Ostdeutschland. Wir stellen in diesen Wochen fest: Es gibt weniger Demonstrationen und weniger Teilnehmer/-innen bei den verbliebenen Demonstrationen. Man muss sagen: Der „heiße Herbst“, den sich so viele in feuchten Fieberträumen gewünscht haben, kommt nicht; er wird gerade still und heimlich beerdigt. Das ist ein gutes Zeichen für den Zusammenhalt in dieser Gesellschaft. Daran hat auch der Bundeshaushalt Anteil.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Was Friedrich Merz und Jens Spahn auch nicht oft genug betonen können, ist, dass es aus ihrer Sicht in der Bundesregierung „ruckelt“. Ich möchte fragen: Kann es vielleicht sein, dass Sie in der Union einfach nicht mehr wissen, wie es sich anfühlt, wenn sich was bewegt in diesem Land?

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Es „ruckelt“ ja vor allen Dingen deshalb, weil so lange Stillstand war. Wir machen in Monaten, was vorher Jahrzehnte nicht ging. An dieser Stelle ist die Frage zu stellen: Ist es vielleicht sogar gut, dass mal was „ruckelt“, weil neue Wege nach Streit verlangen, um die neuen Wege, die man hier beschreiten will, überhaupt erst definieren zu können?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Florian Oßner [CDU/CSU]: Es ruckelt zumindest! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ruckelt es jetzt oder nicht?)

Dann ist es auch mit dem Vorwurf von Friedrich Merz und Jens Spahn nicht weit her, es gäbe hier ein Führungsversagen der Bundesregierung. Ehrlicherweise muss ich sagen: Es gibt gerade auch in Europa genug Beispiele für echtes Führungsversagen. Schauen wir nach Großbritannien! 44 Tage Liz Truss haben gezeigt, was es für verheerende Folgen hat, wenn echtes Führungsversagen haushalts- und finanzpolitische Verwerfungen produziert.

(Florian Oßner [CDU/CSU]: Na ja, das macht es jetzt nicht besser! Das macht es nicht besser, nur weil es andere noch schlechter machen!)

Was der DFB gerade in Katar abliefert, ist auch echtes Führungsversagen.

Wenn ich ganz kurz auf die CDU schaue: Für die CDU als mit Abstand größte konservative Partei in diesem Land – und das sage ich als jemand, der aus Sachsen kommt – ist es eine der vornehmsten Aufgaben, gerade auch als Lehre aus dem 20. Jahrhundert, Führung zu zeigen – Führung, die Friedrich Merz bei Amtsantritt angekündigt hat – und als Partei dafür zu sorgen, dass die Brandmauer gegen rechts auch in diesen Krisenzeiten stehen bleibt, dass sie gehegt und gepflegt wird und dass jeder Riss, der sich auftut, sofort zugespachtelt wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE] – Stephan Brandner [AfD]: Es brennt nicht rechts, es brennt in der Mitte!)

Sie reden von Führungsversagen, während sich ostdeutsche CDUler im bundesdeutschen Fernsehen hinstellen und Friedrich Merz persönlich mit dem Schicksal von Marie-Antoinette drohen, wenn er weiter auf dieser Brandmauer besteht. Ich erwarte von Friedrich Merz als Parteivorsitzendem, dass er an der Stelle die Kapitänsbinde nicht so sträflich abstreift, wie das der DFB tut, dass er nicht einfach den Mund hält, sondern dass er den Mund aufmacht, wenn es unangenehm wird. Das ist seine Aufgabe für den Erhalt der Demokratie in diesen Zeiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE] – Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])

Apropos Kapitänsbinde. Man konnte gestern auf Twitter lesen, dass die jetzt schon ins Haus der Geschichte überführt werden soll.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Stephan Brandner [AfD]: Ich wäre mit Armbinden ganz vorsichtig!)

Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass wir uns in 20 oder 30 Jahren, wenn wir diese Demokratie erfolgreich durch die Krise gebracht haben, im Haus der Geschichte Armbinden aus Polyester anschauen wollen, sondern die Modernisierungsprojekte, die in diesem Haushalt schon angelegt sind: die Digitale Automatische Kupplung, die den Eisenbahngüterverkehr revolutionieren wird, vielleicht auch den ersten mRNA-Impfstoff gegen Krebs, der in Deutschland hergestellt wird.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Der funktioniert bestimmt so gut wie der andere!)

Das sind, glaube ich, die Sachen, die wir im Haus der Geschichte in 30 oder 40 Jahren sehen wollen.

(Stephan Brandner [AfD]: Am besten, Sie machen Armbinden gegen Corona! – Gegenruf des Abg. Achim Post [Minden] [SPD]: Gegen Dummheit!)

Meine Damen und Herren, Krisen sind Katalysatoren für Modernisierung. Krisen sind Katalysatoren dafür, dass wir in dieser Gesellschaft unglaublich schnelle Schritte vorwärts machen.

(Stephan Brandner [AfD]: Sie schreien ja gar nicht mehr!)

Und ganz ehrlich: Dieser Bundeshaushalt ist Teil dieser katalysatorischen Wirkung. Ich freue mich auf die vielen Modernisierungen, die wir auch im nächsten Jahr schon werden begutachten können.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die Fraktion Die Linke hat nun Dr. Gesine Lötzsch das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)