Rede von Markus Kurth Haushalt

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25.11.2022

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Herr Kleinwächter, ich weiß ja nicht, was Sie nehmen. Ich sage nur: Nehmen Sie weniger davon!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Peter Boehringer [AfD]: Er nimmt die Wahrheitspillen! – Stephan Brandner [AfD]: Er nimmt es mit der Wahrheit sehr ernst! Ist das keinen Ordnungsruf wert? Das war ein persönlicher Angriff!)

Ich sage Ihnen auch, was mit den Mitteln passiert ist, bei denen Sie unterstellen, dass wir sie kürzen: Wir haben sie, weil die Mittel im Moment in den Bereich der Frauenhäuser nicht abfließen, in die Zukunft verschoben.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Ach so! Sie haben sie zu Ferda Ataman verschoben!)

Dazu haben wir einen entsprechenden Antrag gemacht. Die Kürzung ist nicht erfolgt; das ist erst mal die Wahrheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Maßgabebeschluss, den Sie verschleiern!)

Nachdem wir das jetzt hinter uns haben, will ich sagen, dass die Verhandlungen wirklich geprägt hat, dass wir mehrere Herausforderungen haben. Wir haben, erstens, diese Krisen, auf die wir reagieren müssen. Das sind nicht nur multiple Krisen, sondern sie sind auch von unterschiedlichem Charakter: Wir haben den Klimawandel als Dauerkrise und den Krieg in der Ukraine als disruptive Krise, die wirklich Strukturbrüche und nicht nur Strukturwandel verursacht. Wir müssen gleichzeitig, zweitens, Reparaturen an Dingen betreiben, die in den vergangenen Jahren und Legislaturperioden unterlassen wurden – man kommt nicht umhin, das zu sagen –, und das wird uns auch in den nächsten Jahren noch nachhängen. Wir müssen, drittens, trotz alledem Zukunftsgestaltung betreiben.

Dies alles zusammengenommen ist uns, glaube ich, mit diesem Haushalt bei allen Schwierigkeiten und gelegentlichen Unwuchten, die es gibt, und auch bei allem ganz normalen politischen Streit, den es zum Teil auch innerhalb der Koalition gibt – das ist demokratische Kultur, wenn das zivilisiert abläuft –, unter dem Strich gut gelungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Aber wir können natürlich feststellen, dass es auch eine eigentümliche Gleichzeitigkeit gibt von Geschwindigkeit auf der einen Seite, besonders bei Krisenreaktionen, und einer gewissen Langsamkeit, wenn es um das Ingangbringen von Strukturveränderungen geht. Wir haben – das ist heute Vormittag und in der ganzen Woche mehrfach gesagt worden – im gesamten Bereich der Gasversorgungsinfrastruktur einen Parforceritt hingelegt. Wir haben Energiepreispauschalen und Entlastungsmaßnahmen der unterschiedlichsten Form. Wir haben internationale Krisenreaktionen.

Dafür, verehrter Stefan Müller, braucht man auch diese 200 Milliarden Euro im WSF. Wenn man die beklagt und gleichzeitig keine eigenen Vorschläge unterbreitet, muss man doch trotzdem irgendwie die Antwort geben – und das fehlt von Ihrer Seite –, wie man schnelle, wirksame Kriseninterventionen hinbekommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ja! Dann mal ran! Den Vorschlag haben wir gemacht!)

Auf der anderen Seite ist auch deutlich geworden, welche Schwierigkeiten da insgesamt noch vor uns stehen.

(Abg. Stephan Brandner [AfD] begibt sich zum Sitzungsvorstand und spricht mit Vizepräsidentin Petra Pau)

– Könnten Sie da hinten vielleicht ein bisschen leiser diskutieren? – Danke.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich erinnere mich sehr gut an die Befragung und Auseinandersetzung mit Volker Wissing im Haushaltsausschuss, der uns sehr detailliert dargelegt hat, wo Hemmnisse sind und wo wir zum Teil – wir haben ja mehr Mittel im Schienenbereich – einfach an Grenzen stoßen, weil gerade im Bereich der Verkehrsinfrastruktur viel zu lange viel zu viel liegen geblieben ist. Man kann natürlich auch andere Bereiche nennen. Haushalterischer Ausdruck davon ist dann zum Teil der Mittelabfluss.

Christian Lindner hat völlig zu Recht gesagt, wir haben haushalterisch jetzt die Voraussetzungen für eine große Beschleunigung geschaffen. Aber es ist, glaube ich, auch innerhalb der Beratungen deutlich geworden, dass Politik Prozesscharakter hat und dass es länger dauert, dass es nicht mit einem Ruck und mit einem Schlag getan ist. Darum kann ich auch wenig mit diesen plakativen Äußerungen von Friedrich Merz anfangen, wenn er sagt: Wir brauchen jetzt die große Rede, den großen Wurf. – Ich glaube, es wird speziell bei der Arbeit im Haushaltsausschuss sehr klar, dass wir es mit Prozessen zu tun haben, die wir beschleunigen können, die wir aber nicht über Nacht beliebig umsteuern können.

Darum, finde ich, ist es unsere Aufgabe, gerade auch als Haushälter – das ist grundsätzlich, abseits der tagespolitischen Auseinandersetzung gesagt –, dass wir sparsam umgehen mit Begriffen wie „Bazooka“ oder Ausdrücken wie „Es muss jetzt ein Ruck umgehen“.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Doppel-Wumms?)

Ehrlich gesagt, auch mit „Doppel-Wumms“, mit dieser „Jetzt geht’s aber los!“-Mentalität und dergleichen kann ich nicht so viel anfangen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

– Ach, das ist doch billig, dass Sie von der Union jetzt hier klatschen.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Aber das ist doch Zustimmung! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Ihnen kann man es aber auch nicht recht machen!)

Diese „Jetzt geht’s aber los!“-Mentalität erinnert mich so ein bisschen an die Leute, die man Anfang Januar im Fitnessstudio trifft, wenn alle sagen: Jetzt wird aber alles anders. – Im März leert sich das Studio dann meistens, dann wird es etwas weniger.

(Florian Oßner [CDU/CSU]: Wohlgemerkt, im März!)

Mir ist klar: Man muss natürlich auch nach außen sozusagen Handlungsfähigkeit verbal vermitteln. Aber wir im Haushaltsausschuss sind diejenigen, die diesen prozessualen Charakter von Politik auf die Straße bringen und umsetzen. Das ist der Ampel dieses Mal wieder sehr gut gelungen.

In diesem Sinne übernehmen wir jetzt die Kapitänsbinde.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Otto Fricke [FDP]: Oh, war das knapp!)