Rede von Markus Kurth Haushalt 2018: Arbeit und Soziales

18.05.2018

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor rund anderthalb Jahren habe ich in meiner Rede zum Haushalt 2017 den Zustand der damaligen Großen Koalition beschrieben und gesagt:

Die Regierungsfraktionen haben … in etwa die Dynamik einer Herde satter Wasserbüffel: Bräsig stehen Sie im Brackwasser Ihrer unambitionierten Vorhaben.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Jetzt beraten wir den Haushalt 2018, und man kann vergleichend feststellen: Die Büffel sind magerer geworden, aber wirklich vorangekommen sind Sie nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wo stehen Sie denn?)

Dabei verfügen Sie über hervorragende ökonomische und damit auch finanzielle Rahmenbedingungen. Und trotzdem verschleppen Sie Strukturvorhaben, trotzdem wiederholen Sie – Beispiel Mütterrente – Fehler der Vergangenheit. Geradezu exemplarisch für diese Selbstzufriedenheit, mit der Sie sich bewegen, ist hier der Auftritt des ansonsten von mir geschätzten Kollegen Peter Weiß von der Union gewesen, der die niedrigen Beitragssätze in der Rentenversicherung bejubelt und vollkommen unter den Tisch fallen lässt, dass wir in einer demografisch und ökonomisch absoluten Schönwetterphase leben und eine Menge Zukunftsfragen zu klären hätten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Der Mann hat recht!)

Diese Form von Selbstgefälligkeit, muss man fast schon sagen, ist wirklich dramatisch. Das ist hochgradig fahrlässig.

Die falsche Finanzierung der Mütterrente – lassen Sie mich das noch sagen – ist keine Sache, die wir nur als akademische Fingerübung vorrechnen und bei der wir eine Steuerfinanzierung nur aus Gründen irgendeiner abstrakten Systematik einfordern. Das ist auch eine ganz konkrete Verteilungsfrage; denn einen Teil des Spielraums, den Sie durch die Steuereinnahmen haben, wollen Sie ja für Steuersenkungen verwenden. Aber die alleinerziehende Friseurin, die gar keine Steuern zahlt, muss mit ihren Sozialbeiträgen über die falsch finanzierte Mütterrente die Steuersenkungen für Besserverdienende quasi mittragen. Das ist der Kern des Problems, den Sie immer vergessen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Gröhe, das Wort „Generationsgerechtigkeit“ – das habe ich der Union schon vor vier Jahren bei der Diskussion um die Mütterrente I zugerufen – dürfen Sie von der Union gar nicht in den Mund nehmen.

(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Ach!)

Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass Sie an der einen oder anderen Stelle versuchen, die Zukunftsfragen zu lösen. Aber es bleibt immer Stückwerk. Ein Beispiel etwa ist die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, die Sie eben nicht hinbekommen. Da machen Sie jetzt einen Vorschlag mit einer Schwellenwertgrenze, der mutmaßlich aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken gar nicht tragfähig ist.

(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Da hat Jamaika gar nichts hinbekommen!)

– Sie haben nicht mit der FDP verhandelt und mit ihr zu tun gehabt.

(Lachen des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD])

– Machen Sie doch einmal einen richtigen Schritt, Martin Rosemann, und schaffen Sie die sachgrundlose Befristung ab.

(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Das Beispiel der Deutschen Post dieser Tage zeigt doch, dass sie eine geradezu gemeinwohlschädliche und gesundheitsgefährdende Verlängerung der Probezeit darstellt;

(Zurufe von der SPD)

ein exemplarisches Beispiel dafür, dass diese Regelungen einfach nicht zum Leben der Menschen passen. Da müssen Sie rangehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD])

Wir Grüne haben eine Vision: Wir wollen durch Befähigung, Anreize und soziale Garantien jedem Individuum eine selbstbestimmte, positiv gestaltbare Lebenschance eröffnen. Eine leistungsfähige soziale Infrastruktur ist auch die Grundlage dafür, dass wir wieder Vertrauen in im Grundsatz bewährte Sozialversicherungssysteme aufbauen können. Wenn uns das nicht gelingen sollte, dann stehen wir vor dem Risiko, dass Scharlatane mit falschen Heilslehren die Oberhand gewinnen, dass im schlechtesten Fall der Sozialstaat unter Vorgabe eines falschen Etiketts entkernt wird. Das wollen wir Grüne ausdrücklich nicht riskieren.

Deswegen arbeiten wir auch in Zukunft an einem Leitbild emanzipativer Sozialpolitik. Wenn Sie sich davon wenigstens eine kleine Scheibe abschneiden würden, zum Beispiel die Abschaffung der besonderen Sanktionen für unter 25-Jährige – das wäre ein kleiner Schritt –, dann würden wir Ihnen das wirklich gönnen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)