Rede von Dr. Manuela Rottmann Haushalt 2018: Justiz und Verbraucherschutz

17.05.2018

Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch in der heutigen Debatte geht diese Koalition mit jeder Menge Rechtsstaatsbeschwörung in die nächste Runde. Aber ist sich diese Koalition eigentlich noch sicher, was der Rechtsstaat ist?

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Gute Frage!)

Gerichtsurteile zur Luftreinhaltung werden in Bayern von der CSU-geführten Staatsregierung mit einer Unverfrorenheit ignoriert, dass den Verwaltungsrichtern in München die Spucke wegbleibt. Ein Alexander Dobrindt erklärt Rechtsanwälte, die ihren Job als Organe der Rechtspflege machen, zu Gegnern des Rechtsstaats.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Unglaublich!)

Einen Tag nachdem das Polizeiaufgabengesetz in Bayern den Landtag passiert hat, kommt sein Autor Horst Seehofer, unser neuer Bundesinnenminister, in die Situation, dass die Öffentlichkeit nach SMS auf seinem Handy fragt, von denen er lieber nichts mehr wissen will. Er hätte jetzt durch göttliche Vorsehung die Gelegenheit, über dieses Gesetz noch einmal nachzudenken; denn genau solche Möglichkeiten schafft es. Aber leider klappt das nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE] – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)

Was ist also der Rechtsstaat? Er ist jedenfalls kein Fuchsschwanz, den man sich anheftet, um seinen Mackerauftritt, sein Bedürfnis nach einfachen Lösungen, seine Fantasien von Härte und Durchgriff zu dekorieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Jürgen Martens [FDP])

Herr Harbarth, Sie haben in Ihrer Rede beispielhaft von „wir Rechtspolitiker“ gesprochen. Es war aber eine innenpolitische Rede, eine Liste von neuen Grundrechtseingriffen und keine rechtspolitische Rede.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Rechtsstaat setzt Grenzen. Die Abwägung, die Verhältnismäßigkeit, die Gleichheit vor dem Gesetz sind sein Wesen. Eingriffe aufgrund von Vermutungen sind ihm fremd.

Nun will diese Koalition eine Kampagne für den Rechtsstaat machen.

(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Viel mehr!)

Machen Sie das! Machen Sie eine Kampagne für den Rechtsstaat, vielleicht nicht nur für Alexander Dobrindt allein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie werden mit dieser Kampagne scheitern, solange die Vertreterinnen und Vertreter der CSU jeden Sonntag in der „Bild am Sonntag“ den Rechtsstaat und seine Verteidiger diffamieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])

Fangen Sie die Kampagne doch einmal damit an, dass Bayern tatsächlich die Gerichtsurteile befolgt, dass sich ein Alexander Dobrindt vor die Strafverteidiger und vor die Asylanwälte stellt – denn sie sind der Rechtsstaat –,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dass die CSU das von ihr im Bund mitbeschlossene Integrationsgesetz auch in Bayern anwendet. Leben Sie doch erst einmal vor, was der Rechtsstaat ist, bevor Sie ihn anderen Leuten erklären wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Kubicki [FDP])

Die Mehrheit der Bevölkerung spürt sehr genau, dass die große Klappe der CSU eigentlich nicht viel hermacht, dass sie einhergeht mit einer ziemlich vollen Hose.

(Zuruf der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU])

Sie weiß sehr genau, dass man einer Partei, die Maß und Mitte verloren hat, nicht mehr allzu viel Macht einräumen sollte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das wird vielleicht schmerzhaft für die CSU. Aber, Frau Ministerin, sparen Sie sich diese Kampagne für den Rechtsstaat. Die Regierung macht sich damit lächerlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Freunde von der SPD, ich respektiere es sehr, dass Sie sich der Regierungsverantwortung wieder stellen. Ich habe sogar Erwartungen damit verbunden.

(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Zu Recht!)

Ich habe gedacht: Jetzt kämpft die SPD. Jetzt geht’s los.

(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Jawohl!)

Ich muss sagen: Es war naiv. Die SPD beschränkt sich wieder darauf, Etiketten auf eine Politik zu kleben, die in Wirklichkeit nichts ändern will.

(Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Nehmen wir den sogenannten Pakt für den Rechtsstaat. 2 000 neue Stellen in der Justiz sollen geschaffen werden. Sie müsste man irgendwo in diesem Haushalt finden. Man findet 16,5 Stellen unter dem Titel „Pakt für den Rechtsstaat“, aber nicht in der Justiz, sondern im Justizministerium.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Dann aber mal richtig lesen! – Sebastian Steineke [CDU/CSU]: So ein Unfug!)

Auf Nachfrage heißt es dann: Ja, natürlich sollen sie überwiegend in den Ländern geschaffen werden.

(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Wo denn sonst?)

Mit denen haben wir aber noch nicht geredet, und der Bund wird die Länder dabei auch nicht finanziell unterstützen, sondern mehr ideell. Das ist eine Verkackeierung der Leute.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Justiz und der Rechtsstaat brauchen etwas ganz anderes vom Bund. Sie brauchen Entlastung von nutzlosen Strafverfahren wegen Falschfahrens und Cannabiskonsums,

(Beifall des Abg. Konstantin Kuhle [FDP])

Regelungen für eine effiziente Prozessführung, durchdachtes, verständliches Recht und nicht wieder diesen großkoalitionären Pfusch auf die letzte Minute, wie wir ihn kennen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Frage, wie die Verbände Musterfeststellungsklagen finanzieren sollen, ist nicht Ihr Bier: Die Mittel dafür werden gekürzt.

(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Unsinn! – Dr. Eva Högl [SPD]: Das stimmt alles gar nicht!)

Es wird keine Steigerungen der Effizienz der Justiz geben, weil jeder sein Geld einzeln einklagen will. Ich will es Ihnen sagen: Die Leute wollen kein Symbol; sie wollen ihr Geld zurück. Da hilft ihnen Ihr Konzept überhaupt nichts.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Interessanterweise sagen die Verbraucherschützer etwas anderes!)

Wieder wecken Sie große Erwartungen, und wieder werden Sie die Leute bitter enttäuschen. Es ist ein Haushalt ohne Zukunft, und es gibt leider keinen Anlass zur Hoffnung, dass er durch bessere Ideen in der Rechtspolitik besser gemacht wird.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)