Rede von Anja Hajduk Haushalt 2019: Allgemeine Finanzdebatte

20.11.2018

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte in dieser Haushaltsdebatte drei Punkte ansprechen und beginne mit Europa. Ich mache mir Sorgen, Herr Finanzminister, wenn ich darüber nachdenke, welche Rolle die deutsche Regierung im Jahr 2018 dort eigentlich eingenommen hat. Geschrieben wird: Deutschland bremst. – Und wenn ich jetzt ganz konkret werde – ich nehme das Thema „Besteuerung digitaler Konzerne“ –, dann ist mein Urteil ganz klar: Deutschlands Blockadehaltung bei der Digitalsteuer passt nicht zu einem Aufbruch für Europa.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte das auch begründen. Der Kommissionsvorschlag ist schon ein ziemlich weitgehender Kompromiss gewesen. Er hat der Kritik Rechnung getragen, dass die innovativen Start-ups nicht gehemmt werden dürfen. Die europäische Digitalsteuer sollte auch nur ein erster Schritt sein, bis man zu einer weltweiten Mindestbesteuerung für Unternehmen kommt. Aber die werden wir nicht vor 2020 bekommen.

Sie haben sich in Meseberg – das ist noch kein halbes Jahr her – mit Frankreich darauf verständigt, bis zum Ende des Jahres eine Steuer für digitale Konzerne auf den Weg zu bringen. Und was haben Sie erreicht? Sie haben eine Blockadehaltung eingenommen, und das tut Europa nicht gut.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht hier um Vertrauen, Herr Scholz.

Kommen wir zu dem zweiten wichtigen Punkt der europäischen Frage, der mit Ihrer Verantwortung und der Finanzpolitik der Bundesregierung zu tun hat: der Reform der Wirtschafts- und Währungsunion. Gestern hat man den kleinstmöglichen gemeinsamen Nenner für ein Euro-Zonen-Budget gefunden, und zwar 0,2 Prozent des europäischen BIP. Das sind zwar 20 Milliarden bis 25 Milliarden Euro, aber es geht auch um einen riesigen Währungsraum.

Das „Handelsblatt“ titelte dazu gestern: „Scholz zeigt Le Maire die Grenzen auf“. Soll das unsere Botschaft sein? Ist das die deutsche Rolle bei einer europäischen Politik, die wir nach vorne bringen müssen, und angesichts des Vertrauens, das die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland in Europa haben? Ist das die Rolle des Bundesfinanzministers Olaf Scholz? Ich finde das beschämend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber ich gebe zu: Olaf Scholz hat es nicht leicht. Da macht er einen richtig guten Vorschlag – den unterstützen wir zutiefst; bleiben Sie dabei! –, im Rahmen der Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion auch eine europäische Arbeitslosenrückversicherung voranzutreiben. Das wäre der zweite Baustein, mit einer solidarischen und sozialen Absicherungsbotschaft an die europäischen Bürgerinnen und Bürger.

(Zuruf von der AfD: Ja! Die Deutschen zahlen alles!)

Das ist ein Stabilisierungsfonds.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Was ist denn das für eine Botschaft für die deutschen Bürgerinnen und Bürger?)

– Hören Sie mal zu statt dieses reflexhaften, ideologischen Gerufes aus der Union! Hören Sie mal zu, was man daraus machen kann! Man kann nämlich umgekehrt mit diesem Stabilisierungsfonds besonders effektiv nationale Sozial- und Arbeitsmarktreformen konditionieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn dieser Stabilisierungsfonds setzt – das gibt es noch gar nicht überall – eine funktionierende Arbeitslosenversicherung und kluge Arbeitsmarktreformen voraus. Dieser Vorschlag ist sehr klug

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Mit klug hat das nichts zu tun!)

und im Übrigen in den Vereinigten Staaten von Amerika, die ja nicht für übermäßige Transfers bekannt sind, Praxis.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Die sind ein Vorbild für Sie in diesen Fragen, die Vereinigten Staaten?)

Deswegen kann man nur sagen: Das, was hier gerade wieder stattfindet, ist eine reflexhafte ideologische Bremse. Es ist schon grotesk, wenn die Union auch in Person des Wirtschaftsministers Altmaier sagt, diese Arbeitslosenrückversicherung überzeuge sie nicht, obwohl wir im eigenen Land bei jeder Krise selbstbewusst von diesen automatischen Stabilisatoren Gebrauch machen. Da sind wir nämlich froh, dass wir die soziale Marktwirtschaft mit diesen sozialen Sicherungssystemen haben. Darüber sollten Sie mal nachdenken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Wir erinnern Sie an das Vorbild von Amerika, das Sie hier beschworen haben!)

Ich komme noch zu einem weiteren Punkt, und zwar der Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft. Diese Bundesregierung schafft es immer wieder, bei den Themen „Wie gehen wir mit Familien um?“ und „Wie gehen wir mit Rentnerinnen und Rentnern um?“ das Geld ganz bewusst breit zu verteilen und nicht gezielt diejenigen zu entlasten, die es am meisten brauchen. Wir schlagen dagegen vor, gegen Kinderarmut 6,2 Milliarden Euro einzusetzen. Wir schlagen bei der Rente vor, arme Rentnerinnen und Rentner gezielt zu fördern. Dafür wäre das Geld auch da.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Noch verrückter sind die ganze Diskussion und Streiterei beim Soli. Wenn man den Soli sofort ganz abschafft, dann würde das reichste Prozent derjenigen, die den Soli zahlen – die Betreffenden zahlen 28 Prozent des Soliaufkommens –, um 5,1 Milliarden Euro entlastet.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Deshalb machen wir es auch nicht!)

Man könnte auch sagen: Die reichsten 10 Prozent, die zu 60 Prozent zum Soliaufkommen beitragen, würden entsprechend entlastet. Das ist doch nicht zielgenau. Die Entlastung entstünde doch genau da, wo sie nicht am nötigsten ist. Was wir brauchen, ist eine Einkommensteuerreform, die mutig ansetzt und Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen entlastet. Auch dafür hätten wir das Geld.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Last, but not least. Wir brauchen eine engagierte Politik, die das Klima schützt und mit einer mutigen Verkehrs- und Energiewende dazu beiträgt, dass Deutschland endlich die CO 2 -Ziele besser erreicht. Wir brauchen einen Aufbruch für konsequenten Klimaschutz. Wir brauchen einen Aufbruch für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, Herr Scholz. Wir brauchen für unsere Zukunft endlich einen Aufbruch für Europa. Tun Sie endlich etwas! Werden Sie wach! Sonst dürfen Sie sich nicht wundern, dass die Menschen frustriert sind über die Volksparteien.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)