20.11.2018

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister Seehofer, keine Angst, ich habe den Satz, dass Sie zurücktreten sollen, schon gestrichen.

(Philipp Amthor [CDU/CSU]: Guter Beitrag!)

Herr Minister Seehofer, der Kollege Dr. Lindner hat ja schon einen kleinen biografischen Abriss vorgetragen. Ganz so weit möchte ich nicht zurückgehen; aber vielleicht blicken wir noch einmal in den März dieses Jahres. Als Sie Ihr Amt übernommen haben, resümierten Sie, ich würde schon sagen, fast philosophisch – ich darf Sie zitieren –:

In Bayern nicht mehr gefragt, aber im Bund unbedingt gebraucht – das ist eigenartig.

Das sagten Sie selbst.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und ja, wir mussten seit Ihrem Amtsantritt feststellen: Ihre Politik ist eigenartig. Eigenartig ist aber noch mehr: Sie haben gerade festgestellt – ich muss mich wundern –, dass Ihr Lieblingsort der Innenausschuss, der Ausschuss für Inneres und Heimat, ist.

(Horst Seehofer, Bundesminister: Der Haushaltsausschuss! – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Der Haushaltsausschuss! Das können Sie ihm nicht vorwerfen! Da ist es auch schön!)

– Nichtsdestotrotz, der Innenausschuss war einmal Lieblingsaufenthaltsort. Sie haben ihn zumindest regelmäßig besucht – wegen der Causa Maaßen. Zuletzt haben wir Sie vergeblich erwartet. Sie haben Ihre Teilnahme nicht zugesagt, obwohl wir darum gebeten haben.

Dass dieser Innenminister an unserer Gesellschaft vorbeiregiert und jegliches Fingerspitzengefühl verloren hat, zeigt aber nicht nur die Causa Maaßen. Im September 2018 kam das Integrationsbarometer des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration zu dem Ergebnis, dass die Menschen in Deutschland das Zusammenleben in unserer Einwanderungsgesellschaft insgesamt positiv bewerten. Aber, Herr Minister Seehofer, was haben Sie seit Ihrem Amtsantritt für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und für die Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft getan?

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Nichts!)

– Nichts? Doch, er hat einiges getan. – Sie haben mit dem sogenannten Masterplan Migration einen Regierungsstreit heraufbeschworen. Er stammte aber zunächst nicht aus dem Hause des Innenministeriums, sondern aus der Feder des CSU-Chefs, des Bundesvorsitzenden der Christlich-Sozialen Union. Eigenartig.

Jetzt haben Sie einen Referentenentwurf für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz vorgelegt. Nach dem ersten Durchlesen kann man nur feststellen: Uns erwartet ein Einwanderungsgesetz, wie Sie es zu Beginn des Bundestagswahlkampfes angekündigt haben: ein Einwanderungsgesetz ohne Einwanderung. Eigenartig, meine Damen und Herren. Und die SPD hat, damit ein Einwanderungsgesetz kommt – das ist ja ein Kernanliegen der SPD –, rechtswidrigen innereuropäischen Grenzkontrollen zugestimmt, die die Grundpfeiler der Europäischen Union infrage stellen. Sie haben Schlagbäume an den Grenzen zwischen Bayern und Österreich aufgebaut. Das ist ein Armutszeugnis für die Europäische Union und für die Freizügigkeit innerhalb Europas, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben es bereits gesagt: Der Einzelplan 06 ist leider genauso ernüchternd wie die bisherige Amtszeit von Innenminister Horst Seehofer. Drei konkrete Beispiele möchte ich nennen:

Sprache wird oft, auch von Ihnen, als Schlüssel für gelingende Integration genannt. Aber bei diesem wichtigen Thema setzen Sie vollkommen falsche Akzente; das wurde bereits erwähnt. Sie stocken die Mittel nicht auf. Wir wollen mit unserem Änderungsantrag die Mittel auf 1 Milliarde Euro aufstocken. Das ist wichtig und auch für die Zukunft ein Beitrag zur gelingenden Integration und zur Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber die Integrationsoffensive an anderer Stelle bleibt aus, und auch von Ordnung der Migrationspolitik ist ebenso wenig zu sehen wie von Rechtsstaatlichkeit. Ein Beispiel möchte ich nennen, weil die SPD sich hierfür eigentlich im Koalitionsvertrag starkgemacht hat: die unabhängige Asylverfahrensberatung. Liebe Frau Dr. Högl, da haben Sie sich wirklich über den Tisch ziehen lassen. Im Haushalt ist dazu nichts zu finden, nur Pfennigbeträge. Wir wollen mit unserem Änderungsantrag 30 Millionen Euro für die unabhängige Asylverfahrensberatung einstellen. Ich hoffe, dass Sie da mitgehen werden, meine Damen und Herren.

Aber auch beim Thema Bauen fehlt jeglicher Wille, das Problem an der Wurzel anzupacken. Die Mieten explodieren munter weiter, und der Bauminister schaut zu. Wohnen ist die neue soziale Frage und für viele Familien Kostentreiber Nummer eins. Doch statt das Geld in eine Investitionsoffensive für den sozialen Wohnungsbau und die Gemeinnützigkeit zu geben, fördert die Bundesregierung mit 10 Milliarden Euro lieber die Besserverdienenden mit dem Baukindergeld.

Herr Seehofer, nicht nur als Integrationsminister irren Sie, auch als Bauminister sind Sie ein Totalausfall.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit, und zwar nachdrücklich.

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Ja, bitte.

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Die CDU hat die Lehren, gerade aus der Bayern-Wahl, nicht gezogen. Die CSU hat ganz Deutschland für ihren Wahlkampf in Beschlag genommen, für ihren Feldversuch, die AfD in Bayern zu schwächen. Mit dieser Strategie, rechte Rhetorik zu kopieren, ist die CSU bekanntlich grandios gescheitert. Versuchen Sie als CDU nicht, diese Strategie nachzueifern in Ihrem Machtkampf um den CDU-Vorsitz!

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Frau Kollegin!

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Es ist unredlich, auf Kosten –

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Frau Kollegin!

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

– von Geflüchteten und Migranten Wahlkampf zu machen oder um den CDU-Vorsitz zu konkurrieren.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Frau Kollegin!

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)