Rede von Sven-Christian Kindler Haushalt 2019: Verkehr und digitale Infrastruktur

20.11.2018

Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Scheuer, vor einer Woche, am Dienstag, haben Sie beim Wirtschaftsgipfel der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt – ich zitiere –: Mobilität muss verrückter werden. – Da dachte ich mir: „Verrückter“ muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Dass aber insbesondere bei einem CSU-Verkehrsminister Verkehrspolitik verrückter werden sollte – da habe ich Angst bekommen. Bitte lassen Sie es sein, Herr Scheuer! Es muss nicht noch verrückter werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Oliver Luksic [FDP]: Wie lange haben Sie für diesen Scherz geübt? – Zurufe von der CDU/CSU)

Es gibt schon genug Verrücktheiten in diesem Etat. Das kann man klar am Haushalt erkennen. Sie planen zum Beispiel weiter die verrückte Pkw-Maut, eine Maut, die am Ende mehr kosten wird, als durch sie eingenommen werden wird. 2019 wollen Sie für deren Vorbereitung 86 Millionen Euro aus dem Fenster schmeißen, wie auch für private Unternehmensberater. Und in der Bereinigungsnacht um 4 Uhr hat die Koalition noch 350 neue Personalstellen geschaffen. Ich sage Ihnen: Das ist wirklich verrückt. Hören Sie endlich auf damit!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Auch die Privatisierung des Straßenbaus kann man als verrückt bezeichnen. ÖPP-Projekte – das zeigen alle Untersuchungen des Bundesrechnungshofes – sind für den Staat deutlich teurer. Am Ende ist das nur ein großes Geschäft für große Bauunternehmen und Banken. Bei der A 49 wollen Sie sich sogar über einen geltenden Parlamentsbeschluss, einen Beschluss des Haushaltsausschusses, hinwegsetzen und das durchdrücken. Erstmals in einem Etat wollen Sie jetzt sogar nicht nur Autobahnen über ÖPP teilprivatisieren, sondern sogar Bundesstraßen. Ich sage Ihnen: Diese verrückten Privatisierungen brauchen wir nicht mehr. Wir brauchen mehr Sinn und Verstand im Verkehrsministerium.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie treiben auch weiter die Privatisierung der Lkw-Maut voran. Victor Perli ist darauf schon eingegangen. Der Bundesrechnungshof hat Ihnen eine hammerharte Kritik vorgelegt; er zerreißt Ihre geheime Wirtschaftlichkeitsrechnung in der Luft.

(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Fällt Ihnen noch etwas anderes ein, als einfach den Bundesrechnungshof zu zitieren?)

– Der Bundesrechnungshof ist unabhängig. – Er hat dargelegt, dass zum Beispiel in Ihren Berechnungen einfach angenommen wird, dass private Unternehmer 10 Prozent effizienter seien als Unternehmen des Bundes. 10 Prozent – einfach ausgedacht, ohne belegbaren Grund! Gleichzeitig werden auch Zinsen, Steuerrückflüsse und Personalaufwand falsch angesetzt und schöngerechnet. Sie wollen sogar weiter private und geheime Schiedsgerichte planen,

(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Warum hat man den Eindruck, dass „privat“ bei Ihnen immer schlecht ist? Warum hat man den Eindruck? Es lebe der Staat, Herr Kindler! Oder wie?)

obwohl der Bund verrückte 14 Jahre mit Toll Collect hinter verschlossenen Türen gestritten und 270 Millionen Euro an Anwaltskosten ausgegeben hat. Dass Sie das fortsetzen wollen, nenne ich wirklich verrückt. Diese Privatisierung von Toll Collect muss endlich gestoppt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Auch den Umgang mit dem Dieselskandal und der schmutzigen Luft in unseren Städten kann man nur als verrückt bezeichnen. Ihre eigene Behörde, das Kraftfahrt-Bundesamt, hat einen Brief an Autofahrer verschickt, die von der Manipulation betroffen waren, und darin Werbung für Umtauschaktionen und Prämien der deutschen Automobilhersteller gemacht, mit Telefonnummern und Webseiten von VW, BMW und Daimler, bei BMW sogar mit Faxnummern. Ihre eigene Aufsichtsbehörde hat de facto Werbebriefe für die Automobilindustrie verschickt. Man fragt sich schon: Sind Sie eigentlich der Verkehrsminister, der für die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in den Städten, aber auch der betrogenen Autofahrer eintritt, oder sind Sie der Verkehrsminister, der als Verkaufsagent für die Automobilindustrie agiert? Diese Rolle müssen Sie endlich einmal klären.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Als Lobbyist der Automobilindustrie sind Sie auch häufig im Fernsehen zu sehen, zum Beispiel beim ZDF, im „heute journal“ mit Frau Slomka. Da haben Sie im Interview behauptet – ich zitiere –:

Die Fehler und Manipulationen haben mit der jetzigen Situation der Fahrverbote und den Problemen in den Innenstädten nichts zu tun.

(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Stimmt ja auch!)

Ernsthaft? Der Einbau von illegalen Abschalteinrichtungen, die dafür sorgen, dass ein Auto im Straßenbetrieb deutlich mehr dreckige Stickoxide ausstößt als im Testlabor, hat nichts mit der schmutzigen Luft in Städten zu tun und den daraus resultierenden Fahrverboten? Ernsthaft, Herr Scheuer? Dann könnte man auch sagen: Sonnenbrand hat nichts mit der Sonne zu tun. Das ist doch wirklich absurd, was Sie da sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Florian Oßner [CDU/CSU]: Dann schließen wir nur die Manipulierten aus!)

Ich finde es auch etwas peinlich, wenn Sie im Zweiten Deutschen Fernsehen Fake News verbreiten. Das ZDF hat Ihre Aussage ja unter die Lupe genommen und einen Faktencheck gemacht.

(Florian Oßner [CDU/CSU]: Pressesprecher des ZDF!)

Es kommt zu dem Schluss – ich zitiere –:

Die Aussage von Minister Scheuer ist in diesem Fall eindeutig falsch.

Das ist eine peinliche Verkehrspolitik, die Sie hier machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ingrid Remmers [DIE LINKE])

Statt der verrückten CSU-Politik der letzten Jahre im Verkehrsministerium, statt einer Politik, die immer mehr auf Straßenbau, auf Privatisierung und die auf die verrückte Pkw-Maut setzt, brauchen wir endlich eine Verkehrswende im Haushalt, eine Verkehrswende für Klimaschutz und für saubere Luft in unseren Städten. Wir als Grüne haben gesagt, was man machen kann, wenn man im Haushalt ordentlich umschichtet. Wir können ein Umschichtungsvolumen in Höhe von über 3 Milliarden Euro, wie wir es vorgeschlagen haben, für die ländliche Mobilität einsetzen, damit die Menschen auch im ländlichen Raum mobil sein können, für eine Verkehrswende in den Städten,

(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Ohne das Auto, oder wie?)

gerade für Lastenräder, für E-Busse, für den Fahrrad- und Fußverkehr. Man könnte ein Zukunftsprogramm für den öffentlichen Nahverkehr schaffen. Alles das ist möglich. Klimaschutz ist möglich.

(Oliver Luksic [FDP]: Fahrverbote!)

Bitte hören Sie mit dieser verrückten CSU-Verkehrspolitik auf!

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)