Rede von Dr. Tobias Lindner Haushalt 2019: Verteidigung

21.11.2018

Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich vielleicht gerade in diesen Tagen, Frau von der Leyen, wo unser Verhältnis schon einmal ein besseres und vertrauensvolleres war,

(Zuruf von der CDU/CSU: Oh! – Dr. Marie-­Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Bitte etwas präziser!)

dennoch ein Wort des Dankes an Ihr Haus und auch an die Kollegen Mitberichterstatter im Haushaltsausschuss richten. Haushaltsberatungen sind ja auch immer eine arbeitsintensive Phase. Ich möchte sowohl für den Umgang im Kollegenkreis herzlichen Dank sagen als auch Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im BMVg danken, die uns, zumindest was die Haushaltsberatungen betrifft, Berichtsbitten auskunftsfreudig immer erfüllt und fristgerecht zugeliefert haben. Das hat die Arbeit an diesem Haushalt, auch wenn wir heute zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen werden, erleichtert. Auch das soll einmal hier gesagt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: So weit die Prosa!)

– So weit die Prosa.

Nun zum Haushalt selbst. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, Sie haben sich einmal wieder für die Taktik „Viel hilft viel“ entschieden. Unbestritten: Die Bundeswehr steht vor großen Herausforderungen; sie hat Probleme. Aber wir Grüne sind ganz klar der Überzeugung, dass es eben nicht hilft, auf diese maroden Strukturen einfach immer mehr Geld, insgesamt 4,4 Milliarden Euro, obendrauf zu kippen, ohne an den Strukturen etwas zu verändern. Das, meine Damen und Herren, wird die Probleme der Bundeswehr nicht lösen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Brandl, Sie haben es ja selbst erwähnt: Sie haben in der Bereinigungsnacht zum Beispiel die Möglichkeit geschaffen, einen schweren Transporthubschrauber zu beschaffen.

(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Ja!)

Das ist eine Sache, die ich persönlich richtig finde. Ich habe in den letzten Monaten niemanden in der Bundeswehr getroffen, der nicht der Auffassung ist, dass man die alte CH-53 jetzt irgendwann ersetzen muss. Ich sage allen Bürgerinnen und Bürgern: Einen alten Hubschrauber, der aus dem Leim geht, durch einen neuen Hubschrauber zu ersetzen, ist noch keine Aufrüstung.

(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Richtig!)

Aber die Art und Weise, wie Sie es gemacht haben, ist einfach hanebüchen, und das ist das Gegenteil von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben in der Bereinigungsnacht die Verpflichtungsermächtigung, also die Möglichkeit, im nächsten Jahr Verträge für die Zukunft abzuschließen, um 7,9 Milliarden Euro aufgebläht

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Einfach mal so!)

– einfach mal so –, ohne zu wissen, wie die nächste mittelfristige Finanzplanung aussehen wird, also ob Herr Scholz und die Große Koalition – oder wer auch immer dann im Amt ist – gewillt sind, das dann auch anzupassen, Mittel bereitzustellen, oder ob es zu Verdrängungseffekten kommt.

Die Frage „Wer soll das alles bezahlen?“ haben Sie einfach in die Zukunft vertagt. Denn: Sie haben nicht nur 7,9 Milliarden Euro mehr für Verpflichtungsermächtigungen für die kommenden Jahre eingestellt, sondern Sie haben auch gesagt: An anderer Stelle müssen 2,2 Milliarden Euro eingespart werden. – Wo die andere Stelle ist, wie man es machen soll, das bleiben Sie der Öffentlichkeit schuldig. Sie laden das Problem am Ende bei den Planern in der Bundeswehr ab, die sich jetzt überlegen müssen: Okay, wo nehme ich das Geld am Ende wieder weg?

(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Wir geben ihnen Flexibilität!)

Sie nennen das „Flexibilität“. Wir Grüne nennen das, was Sie hier veranstalten, Chaos, um ganz ehrlich zu sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Karsten Klein [FDP] – Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Nein! – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)

Diese Große Koalition, meine Damen und Herren, sollte, ehrlich gesagt, den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land einmal reinen Wein einschenken. Im Sommer fahren Sie nach Brüssel, koalitionsintern abgestimmt, blasen da die Backen auf und sagen: Wir geben 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in 2024 an Verteidigungsausgaben aus.

(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Davon bezahlen wir den schweren Transporthubschrauber!)

Dann legen Sie uns hier eine mittelfristige Finanzplanung hin – natürlich verändert sich eine mittelfristige Finanzplanung immer, aber sie sollte doch auf dem Wissen basieren, das man heute schon hat –, die im Widerspruch zu Ihren dicken Backen in Brüssel steht. Das ist unehrlich der Öffentlichkeit gegenüber, weil Sie nur scheibchenweise irgendwie Geld drauflegen. Das ist unehrlich den Soldatinnen und Soldaten gegenüber. Am Ende ist es auch unehrlich, weil Sie die Antwort schuldig bleiben, wo Sie überhaupt das Geld hernehmen wollen.

Wir Grüne sagen Ihnen: Lassen Sie diesen Quatsch bleiben. Verwenden Sie die 14 Milliarden Euro, die Sie noch drauflegen müssen, für etwas Sinnvolleres statt nur für Militär.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Unehrlich gegen die Verbündeten ist es auch! – Thomas Hitschler [SPD]: Das heißt, wir sollen mehr Geld ausgeben, verstehe ich das richtig? – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Keine dicken Backen machen!)

– Herr Kollege Hitschler, wenn Sie mehr ausgeben wollen, müssen Sie das der Öffentlichkeit gegenüber begründen. – Ich nenne Ihnen einen guten Grund, warum ich glaube, dass Mehrausgaben nicht nutzen, sondern schaden. Schauen Sie sich einmal an, was der Bundesrechnungshof zu den Haushaltsberatungen sagt: Er ist skeptisch, ob mehr Geld für Beschaffung überhaupt abfließen kann. Wie Sie es dann unterstützen können, da mehr Geld draufzulegen, müssen Sie den Bürgerinnen und Bürgern erklären. Das muss ich nicht erklären.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie sich einmal die Haushaltsrechnung von 2017 anschauen, sehen Sie, dass allein im Kapitel für Beschaffungen fast 900 Millionen Euro nicht ausgegeben, sondern umgeschichtet wurden. Dann muss man sich doch die Frage stellen, warum hier mehr Geld obendrauf geschüttet werden soll, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das BMVg schichtet nach wie vor insgesamt 1,7 Milliarden Euro im Haushaltsvollzug um. Frau von der Leyen, ja, Sie werden hier gleich wieder sagen: Es ist im Vergleich zum Haushaltsvolumen nicht viel Geld. – Also, ich glaube, die meisten Bürgerinnen und Bürger in diesem Land finden, 1,7 Milliarden Euro sind eine ganze Menge Geld.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer das nicht vernünftig ausgeben kann, sondern es hin und her schichten muss, der hat im Haus ein Ausgaben- und Managementproblem.

Kommen wir zu einem weiteren Punkt dieser Haushaltsberatung – er ist ja schon angeklungen –: Wir haben in diesen Haushaltsberatungen eher durch Zufall erfahren, dass Sie in Ihrem Haus ein Problem mit externen Beratungsfirmen haben. Ich kann mich noch gut an folgende Situation erinnern: Wir saßen im Stauffenberg-Saal des Verteidigungsministeriums, sind den Haushalt durchgegangen, der Tag war schon ein paar Stunden alt. Ich habe dann gedacht: Okay, fragst du doch einmal – ich habe einen Tipp bekommen –, ob da eine Prüfung des Bundesrechnungshofs läuft, betreffend den Einsatz Externer in Ihrer Cyberabteilung. Ich frage mich, ehrlich gesagt, ob wir heute wissen würden, was wir wissen, was wir hier durch Zufall erfahren haben, wenn ich diese Frage nicht gestellt hätte, wenn sich der Bundesrechnungshof nicht gemeldet hätte und gesagt hätte: Ja, da läuft etwas, und wenn wir fertig sind, bekommen Sie es zu Gesicht.

(Dr. Marcus Faber [FDP]: Ja, würden wir!)

Ich frage mich, ob Sie, Frau von der Leyen, so ehrlich gewesen wären und uns freiwillig darüber informiert hätten.

Herr Kollege Brandl, ich habe Ihre Liebeserklärung an die Ministerin gehört.

(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Das freut mich! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ihr Verhältnis scheint zerrüttet!)

Frau von der Leyen, mir persönlich geht es nicht darum, Sie hier irgendwie wegzubekommen. Ich möchte Sie nicht als Person jagen. Vielmehr geht es uns Grünen um Aufklärung, um die Frage: Was ist eigentlich in Ihrem Haus passiert?

Ich nenne vier Punkte:

Erstens. Wir müssen uns fragen, warum Sie überhaupt den Überblick über den Einsatz Externer im Geschäftsbereich des BMVg verloren und anscheinend bis heute nicht wiedererlangt haben. In der Antwort auf unsere Kleine Anfrage, wie viele Firmen denn externe Aufträge erhalten haben, schreiben Sie – ich zitiere wörtlich –, dass „Unvollständigkeiten und etwaige Doppelungen nicht ausgeschlossen werden“ können. Sie haben bis heute keinen Überblick; Sie können nur steuern. Und wir können es politisch nur beurteilen, wenn es überhaupt einen Überblick gibt, was Beratungsfirmen in Ihrem Haus so alles treiben.

Zweitens. Wir sind hier nicht in einem Vergaberechtsseminar. Es geht um weit mehr als um irgendwelche Vergaberechtsprobleme. Wenn der Bundesrechnungshof sagt, dass in der überwiegenden Anzahl der Fälle keine Hinweise vorliegen, dass überhaupt geprüft wurde, ob es notwendig ist, Berater einzusetzen, ob es wirtschaftlich ist, Berater einzusetzen, dann ist das ein absolut laxer Umgang mit Steuergeldern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Wir müssen eine Diskussion darüber führen, in welchem Umfang, sowohl inhaltlich als auch, was den Kostenrahmen und das Personal betrifft, Beratungen im BMVg wirklich verantwortbar sind. Es geht ja nicht darum, dass hier ab und zu ein Gutachten geschrieben wurde. Nein, Sie haben Unternehmensberatungen quasi als Zeitarbeitsfirmen eingesetzt, um offene Stellen im Beschaffungsamt mit einem Durchschnittssatz von, ich glaube, 280 000 Euro pro Jahr zu füllen. Ich halte es für keine vernünftige Strategie, offene Stellen mit solchen Durchschnittssätzen zu füllen. Eine vernünftige Strategie wäre, das Geld dafür zu verwenden, die Stellen attraktiv zu machen, und nicht, sich McKinsey, Accenture oder andere als Zeitarbeitsfirmen ins Haus zu holen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Viertens. Wir werden der Frage nachgehen müssen, ob es zu Vetternwirtschaft gekommen ist, ob dieses System, diese Ausweitung von Beratungen dazu geführt hat, dass irgendwelche Menschen irgendwelche Freunde mit irgendwelchen lukrativen Jobs versorgt haben. Dieser Vorwurf steht im Raum, und da müssen wir schnell Licht ins Dunkel bringen, Frau Ministerin.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden gleich mit Ihrer Mehrheit diesen Haushalt beschließen.

(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Richtig!)

Und dann, Frau von der Leyen, ist Ihnen wirklich das allerletzte Argument genommen, warum irgendetwas nicht läuft. Geld werden Sie en masse haben. Wenn in den kommenden zwölf Monaten Projekte nicht auf die Straße kommen, wenn es wieder Probleme gibt, dann kann es nicht an diesem Haushalt gelegen haben, dann stehen Sie in der Verantwortung; dabei wünsche ich Ihnen viel Spaß.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)