Rede von Ekin Deligöz Haushalt 2021 - Einzelplan Arbeit und Soziales

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02.10.2020

Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Wir beraten heute über den größten Einzeletat mit einem Volumen von 164 Milliarden Euro. Das ist aber leider im Moment einer der Etats mit den größten Unsicherheiten;

(Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)

denn wir wissen nicht, wie sich die Pandemie fortsetzen wird und welche Kosten, insbesondere Sozialkosten, noch auf uns zukommen. Von daher können wir jetzt noch nicht von einer abschließenden Summe reden.

Aber eine Sache, Herr Vogel, weil ich nun einmal die Haushälterin bin: Tatsächlich sinkt dieser Etat um 7 Milliarden Euro, weil Sie ihn nämlich nicht nur für das Jahr 2020, sondern auch für das Jahr 2021 coronabereinigen müssen. Dann ist er nämlich nicht höher, sondern niedriger.

(Otto Fricke [FDP]: Ist das Ist- oder Sollvergleich?)

Ich finde es, ehrlich gesagt, auch richtig, Herr Minister, was Sie uns in den vergangenen Monaten als Antwort auf Corona vorgelegt haben. Aber wir Grüne haben im Laufe des Verfahrens ein paar Vorschläge gemacht. Und diese Vorschläge haben nach wie vor eine wichtige Gültigkeit. Ich möchte zwei davon noch einmal vorstellen, weil sie auch für die Zukunft Bedeutung haben:

Erstens: Kurzarbeitergeld. Wir Grüne fänden es besser, wenn die Höhe des Kurzarbeitergeldes nach dem Einkommen gestaffelt wäre, das heißt,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Menschen mit einem geringeren Einkommen sollten eine höhere Lohnersatzrate kriegen, und zwar von Beginn an. Mit dem steigenden Einkommen wird die Lohnersatzrate abschmelzen. Das würde Menschen in Kurzarbeit vor Armut schützen. Das ginge sofort und wäre effektiv.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Wir sind der Meinung, dass Menschen in der Grundsicherung einen Zuschlag zum Regelsatz erhalten sollten. Gerade in den schwierigen Zeiten von Corona müssen wir diesen Menschen größere Handlungsspielräume zuerkennen, damit auch sie durch diese Krise kommen und damit auch sie handeln können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ehrlich gesagt, mein Zutrauen, dass die geplante Erhöhung ab Anfang 2021 in Höhe von 14 Euro das Problem wettmacht, ist gleich null. Ich glaube, da müssen wir mit anderen Berechnungsmethoden arbeiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei den Jobcentern mache ich mir übrigens Sorgen. Sie haben die Höhe der Eingliederung genauso veranschlagt wie in der Zeit vor Corona. Wir wissen aber, dass der höchstwahrscheinliche Bedarf steigen wird. Wir wissen auch, dass womöglich mehr Menschen darauf zugreifen werden. Deshalb ist es genau der falsche Punkt, wenn Sie an den Eingliederungen sparen.

Es gibt aber noch einen zweiten großen Etat. Das sind bei Ihnen die Rentenfinanzen. Ja, es stimmt, Sie handeln in diesem Feld wirklich nach dem Prinzip „Nach mir die Sintflut“.

(Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)

Sie haben die Demografievorsorge in Höhe von 2 Milliarden Euro in Ihrem Etat verschwinden lassen, Sie haben sie gestrichen.

(Otto Fricke [FDP]: Peinlich!)

Jetzt können Sie sagen: Na ja, so wichtig ist das nicht. – Aber es ist sehr wohl wichtig,

(Otto Fricke [FDP]: Es ist existenziell!)

zumindest haben Sie es uns bisher als bedeutend wichtig verkauft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Zeitgleich summiert sich in der Rentenkasse die Mütterrente inzwischen auf eine Summe von stolzen 50 Milliarden Euro, die zusätzlich obendrauf kommen. Das muss alles erst einmal finanziert werden, in diesem Fall von den Beitragszahlern.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Fälschlicherweise! Das muss steuerfinanziert werden!)

Oder schauen Sie sich die Grundrente an. Sie sagen jetzt, 400 Millionen Euro können Sie von der globalen Minderausgabe aus Ihrem Etat gegenfinanzieren, einem Etat, der vorwiegend aus gesetzlichen Pflichtleistungen besteht. Es ist doch albern, was Sie uns da vorlegen. Und das soll dann auch noch für ein paar Jahre so weitergehen. Woher wollen Sie denn das Geld nehmen? Wir haben gesetzliche Leistungen, die wir erfüllen müssen. Sie haben dieses Instrument lange vorgeplant, über mehrere Jahre, und deshalb haben Sie es bitte schön auch solide zu finanzieren. Das ist das Mindeste, was Sie uns hier hätten vorlegen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

An dieser Stelle wird ja die Gegenfinanzierung kritisiert. Sie von der Union kritisieren nicht die Finanzierung, Ihnen gefällt eigentlich das ganze Instrument nicht. Dank der Union ist es auch zu einem Bürokratiemonster geworden. Dank ihr ist die Rentenkasse mehrfach belastet; denn bei der Grundrente führt die Union die Finanzierung zwar als Problem auf, bei der Mütterrente hat das für sie aber überhaupt keine Rolle gespielt, und da sind die Kosten um ein Vielfaches höher als das, was für die Grundrente notwendig ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wie viele Milliarden der Mütterrente stehen im Haushalt?)

Eigentlich wollte ich mit der Rente abschließen, aber erlauben Sie mir noch ein Wort, Herr Präsident.

Vorhin fiel hier der Satz, dass Migranten kein Hartz IV bekommen sollten. Das hat mich persönlich sehr bewegt. Wir haben vorhin die Debatte über die deutsche Einheit geführt. Ich bin ein Migrantenkind. Meine Eltern, meine Großeltern und die vielen Migranten in diesem Land wurden als Arbeitskräfte hierhergerufen. Sie haben gearbeitet, sie haben Steuern gezahlt, sie haben in die Sozialkassen hineingezahlt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Sie haben dieses Land mit aufgebaut, sie waren mit dabei, als es darum ging, die deutsche Einheit solidarisch umzusetzen; sie sind ein Teil dieses Landes, und, ja, auch wir Migrantenkinder und unsere Eltern sind das Volk. Und damit gehen Rechte und nicht nur Pflichten einher – auch das Recht, ein Teil des Sozialsystems zu sein.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion der SPD die Kollegin Kerstin Tack.

(Beifall bei der SPD)