Rede von Ekin Deligöz Haushalt 2021 - Einzelplan Familie, Senioren, Frauen und Jugend

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01.10.2020

Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, eigentlich haben wir es von meinen Co-Berichterstattern aus dem Haushaltsausschuss schon gehört: Das, was Sie uns hier als Haushaltsvorlage geliefert haben, ist, ehrlich gesagt, Hausmannskost. Wir alle haben uns auf die Suche nach neuen Impulsen, nach neuen Ideen gemacht; aber die haben wir vergeblich gesucht. Irgendwie schleicht sich bei mir so der Eindruck ein, als ob Sie mit dem Kopf eigentlich schon viel mehr in Berlin wären als in dem Job, den Sie jetzt haben, nämlich als Ministerin.

(Grigorios Aggelidis [FDP]: Das war sie schon vor zwei Jahren!)

Ich will Ihnen das auch anhand von Beispielen darstellen.

Ich fange mit Ihrem großen Aufbruch bei den Freiwilligendiensten an. Es gab einmal solche Sätze wie: „Alle Jugendlichen, die einen Freiwilligendienst machen wollen, sollen einen Platz kriegen.“ Sie haben eine Partnerin in der Koalition, die CDU-Vorsitzende, die sogar von einem allgemeinen Pflichtdienst redet, und Sie wollen hier das Festhalten am Status quo als Aufbruch verkaufen – und das, obwohl wir wissen, dass es aktuell nicht genug Plätze für junge Leute gibt, die einen Freiwilligendienst antreten wollen, das, obwohl wir wissen, dass wir eine engagierte junge Generation haben, die auch in Coronazeiten gezeigt hat, dass sie sich einbringen will. Wenn Sie wirklich Aufbruch und Innovation ernst meinen, dann schaffen Sie hier mehr Plätze und bessere Bedingungen, und verkaufen Sie uns nicht alten Wein in neuen Schläuchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP])

Oder das Kitasystem: Ja, Sie haben das Gute-KiTa-Gesetz, es ist ein Teil des gesamten Sammelsuriums, das der Bund in dem Bereich anbietet. Davon geht das meiste Geld übrigens in Beitragssenkungen – wenn ich alle faktischen neuen Beitragssenkungen zusammenrechne – und nicht unbedingt in Investitionen in Qualität oder in die Leistung der Erzieherinnen. Und jetzt versprechen Sie den Ländern eine Verlängerung über 2021 hinaus. Nur: Alleine in Ihrem Etat, auch in der Finanzplanung, gibt es keinen einzigen Beleg dafür, dass Sie das dann auch tun.

Dann haben Sie noch ein Sondervermögen. Sie haben diverse kleinere und mittlere Programme. Wenn Sie es aber zukunftstauglich machen wollen, braucht dieses Land ein gradliniges, effektives Konzept, nämlich eine klare Festschreibung der Qualitätsstandards im SGB VIII und der klar definierten Bundesbeteiligung, worauf sich auch alle verlassen können. Auf Ihre Programme kann sich nämlich leider niemand verlassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP])

Sie reden davon, dass Sie bei der Schulkinderbetreuung so viel machen wollen. Sie haben uns am Anfang, vor zweieinhalb Jahren, den großen Durchbruch versprochen. Jetzt kommen Investivmittel; nur weiß keiner, wie man die Mittel in Anspruch nehmen kann, weil Sie gar kein Konzept dahinter haben. Sie haben keinen Masterplan für den Betrieb des neuen Angebots. Die Betreffenden wissen ja noch nicht einmal, wie sie das Geld beantragen sollen. Wie soll denn da bitte jemals ein Aufbruch gelingen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Corona ist natürlich an den Familien nicht vorbeigegangen. Ich finde es, ehrlich gesagt, gut, dass wir so etwas wie den Familienbonus/Kinderbonus hatten. Er ist eine Anerkennung und Wertschätzung von Familien. Ja, das ist richtig, und dass er nicht beim Kinderregelsatz angerechnet wurde, ja, auch das war gut und richtig. Aber ich glaube, das reicht nicht. Die Familien, die in ALG II leben, sind im Moment mehrfach belastet. Und gerade deshalb bräuchten wir einen dauernden Zuschlag, nämlich für die gesamte Phase der Pandemie, und nicht nur einen einfachen Zuschlag.

Frau Schön, Sie haben gerade gesagt, dass die Kindergelderhöhung kommt. Sie kommt erstens deshalb, weil wir einen Existenzminimumbericht haben, wonach eine Anpassung stattfinden muss; die Anpassung findet nämlich auch im Steuerrecht statt – das müssen Sie dazu sagen –,

(Beifall des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP])

und da ist sie weit höher.

(Nadine Schön [CDU/CSU]: Das ist ja gut so!)

Das Zweite ist: Wenn Sie wirklich das Hauptproblem dieses Landes, nämlich Kinderarmut, angehen wollen – Armut in Deutschland ist jung, und sie ist weiblich –, wenn Sie Kinderarmut verhindern wollen, dann müssen Sie über den Tellerrand hinausdenken. Dann brauchen wir eine Kindergrundsicherung, die diesen Namen verdient, die armutsfest ist

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und Familien aus der Armutsfalle rausholt, dann reichen ihnen die insgesamt 25 Euro nicht, ehrlich gesagt, dann müssen wir auch an Kinder in ALG II und insbesondere an Alleinerziehende denken, die eine Erhöhung am meisten brauchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Ministerin, das, was Sie bei „Demokratie leben!“ machen, unterstützen meine Fraktion und ich, das ist richtig und wichtig.

An dieser Stelle wende ich mich noch einmal an die Union: Ich finde es von Ihnen geradezu ignorant, dass Sie immer noch ein Demokratiefördergesetz in diesem Parlament verhindern; denn Demokratieförderung braucht nicht nur die Strafverfolgungsbehörden, sondern sie braucht auch die engagierte Zivilgesellschaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie braucht die Unterstützung aus diesem Parlament, und sie braucht dafür auch Grundlagen in einem Gesetz.

Mein letzter Punkt ist der Durchbruch bei der Frauenhausfinanzierung. Frau Ministerin, Sie kennen die Zahlen. Sie wissen, wie wichtig es ist, dass wir, wenn wir es ernst meinen, Frauen zu schützen, auch die Frauenhäuser finanzieren müssen.

(Michaela Noll [CDU/CSU]: Ja, genau!)

Das, was Sie machen, sind Progrämmchen und ein bisschen Investivmittel. Das, was Sie nicht machen, ist eine verlässliche Finanzstruktur, und genau das wäre Ihr Auftrag. Wenn Sie diese Aufgaben wahrnehmen, dann wären Sie auch eine Ministerin für das Land und nicht nur die Berliner Kandidatin. Eine Ministerin ist aber das, was dieses Land jetzt braucht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Für die Fraktion der SPD hat das Wort die Kollegin Svenja Stadler.

(Beifall bei der SPD)