Rede von Ulle Schauws Haushalt 2021 - Einzelplan Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Keine Corona-Hilfen für Macho-Betriebe", so lautete die Schlagzeile einer großen Sonntagszeitung unmittelbar vor dem Koalitionsgipfel im Juni, wo die umfassenden Konjunkturhilfen beschlossen wurden. Als Frauenministerin forderten Sie dort, Frau Dr. Giffey, dass Unternehmen nur dann Geld aus dem Konjunkturprogramm bekommen, wenn sie sich auch zur aktiven Gleichstellung bekennen.
(Ulli Nissen [SPD]: Sehr gut!)
Das ist eine absolut wichtige Forderung. Genau so etwas bräuchte es jetzt, um der Gleichstellung hierzulande einen Schub zu geben. Aber leider kann ich Ihnen kein Lob aussprechen; denn mehr als das Interview gab es dazu von Ihnen nicht. Von konkreten Hilfen für Frauen war im milliardenschweren Konjunkturprogramm dann leider nichts mehr zu finden. Und nicht nur das: Die große Ungerechtigkeit beim Kurzarbeitergeld für Frauen, meistens in Steuerklasse V, haben Sie immer noch nicht ausgeräumt. Frauen verlieren hierdurch bis zu mehreren Hundert Euro pro Monat im Vergleich zur Steuerklasse III. Das geht nicht, und das wissen Sie auch.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Doris Achelwilm [DIE LINKE])
Kolleginnen, die Krise hat uns gezeigt, dass die Wirtschaft nur funktioniert, wenn vor allem Frauen sich kümmern: sei es unbezahlt mit Sorgearbeit, Homeschooling und Haushalt, oder bezahlt als Pflegekraft, Erzieherin oder beim Supermarktkassieren. Die Krise hat uns schmerzhaft vor Augen geführt, dass der Stand der Gleichstellung von Männern und Frauen nicht so weit ist, wie viele sich das wünschen. Wir müssen jetzt die Chance zum Umsteuern nutzen und unser Land modernisieren und vor allem krisenresilient machen.
Das geht nur, wenn wir Frauen endlich den Weg frei machen. Die Normalität kann nicht weiter sein, sich dreifach anstrengen zu müssen: gegen Diskriminierung, gegen Doppelbelastung und gegen alltäglichen Sexismus.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Gerechte Entlohnung, gerechte Rente, gerechte Verteilung öffentlicher Mittel, gleichermaßen für Frauen und Männer, und gerechte Aufteilung von Macht, Einfluss und Repräsentanz – das ist mehr als überfällig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Kolleginnen und Kollegen, der Schutz vor Gewalt ist ein Menschenrecht. Deutschland hat sich mit dem Beitritt zur Istanbul-Konvention verpflichtet, Frauen in Deutschland umfassend vor Gewalt zu schützen. War die Frauenhilfestruktur schon vor der Pandemie mit 16 000 fehlenden Frauenhausplätzen massiv unterausgestattet, hat sich diese Problemlage unter Corona noch verschärft.
Frau Ministerin, Sie haben mit dem Ausbau der Förderung des Gewalt-Telefons sowie einer groß angelegten Öffentlichkeitskampagne einen wichtigen Beitrag in der Krise geleistet. Aber das reicht nicht. Es kann nicht sein, dass einer hilfesuchenden Frau bei der Gewalt-Hotline gesagt wird, dass es für sie und vielleicht ihre Kinder keine Unterbringung in der Not gibt. Gewaltschutz ist staatliche Aufgabe und muss auf Dauer gesichert werden, auch vom Bund und eben nicht nur von den Ländern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir Grüne haben bislang als Einzige einen Vorschlag zur Frauenhausfinanzierung vorgelegt, verbunden mit einem individuellen Rechtsanspruch. Wo ist Ihre Lösung? Ich kann nur sagen: Klar ist, dass Gewaltschutz nicht mehr warten kann.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frauen werden nicht nur im Alltag, sondern auch im Netz bedroht und angegriffen. Auch weibliche Abgeordnete werden in diesem Haus mit Sexismus konfrontiert. Da ist es mehr als notwendig, die Umgangskultur und die Dominanz von Männern in diesem Haus zu ändern. Das muss aufhören. Wir Frauen haben eine fraktionsübergreifende Initiative auf den Weg gebracht – mit fünf Fraktionen – für mehr Frauen im Parlament. Aber Sie haben zur Parität aus meiner Sicht hier nichts beigetragen. Schweigen im Walde! Von einer Frauenministerin erwarten wir mehr bei einem Frauenanteil von 30,9 Prozent in diesem Haus.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Thema auszusitzen und in die nächste Wahlperiode zu schieben, ist eine verpasste Chance für die gleiche Repräsentanz von Frauen im Bundestag.
Wir Grüne und Linke bleiben dran. Wir werden unseren Gruppenantrag, der leider von Ihnen nicht mehr unterstützt wird, hier zur Abstimmung stellen. Dann können Sie Farbe bekennen. Ich sage: Es ist Zeit für mehr Geschlechtergerechtigkeit und Repräsentanz, auch in diesem Haus.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:
Der Kollege Sönke Rix ist der nächste Redner für die Fraktion der SPD.
(Beifall bei der SPD)