Rede von Katja Keul Haushalt 2021 - Einzelplan Justiz und Verbraucherschutz

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10.12.2020

Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Sie haben sich für die laufende Legislaturperiode noch einiges vorgenommen, und das verdient grundsätzlich erst mal auch das Lob der Opposition. Wie immer erst die gute, dann die schlechte Nachricht.

Grundsätzlich positiv finde ich, dass Sie das anwaltliche Berufsrecht angehen wollen. Dabei müssen Sie aber aufpassen, nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten; denn letztlich gilt es, das Berufsrecht zu stärken und nicht auszuhebeln, wie es die FDP am liebsten hätte.

Bei der Unabhängigkeit der Staatsanwälte gehen Sie leider nur den minimalen Schritt, um den Sie wegen des Urteils des EuGH nicht umhinkommen. Das externe Weisungsrecht müssen wir aber nicht nur im Hinblick auf den Europäischen Haftbefehl, sondern auch für sonstige Verfahren begrenzen, wenn wir hier international glaubwürdig sein wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit dem Vormundschafts- und Betreuungsrecht gehen Sie gerade eine große systematische Neuordnung im BGB an, die grundsätzlich sinnvoll ist. Ob dabei aber auch wirklich das Selbstbestimmungsrecht so gestärkt wird, wie behauptet, werden wir bei der anstehenden Anhörung genau unter die Lupe nehmen. Die automatische Ehegattenvertretung, die hier jetzt zum wiederholten Male den Bundestag erreicht, ist allerdings völlig verfehlt, bedeutet das Gegenteil von Selbstbestimmung. Es ist geradezu gefährlich und wird hoffentlich auch zum dritten Mal wieder der Vernunft zum Opfer fallen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im familiengerichtlichen Verfahren haben Sie endlich einige unserer Vorschläge zum verbesserten Schutz von Kindern aufgegriffen, insbesondere die Mindestqualifikation für Familienrichter und die verpflichtende Anhörung des Kindes. Es fehlt allerdings immer noch die Fortbildungspflicht im Richtergesetz und die Rechtsbeschwerdemöglichkeit beim BGH in Kindschaftssachen.

Hinsichtlich der strafrechtlichen Neuerung beim Kindesmissbrauch hat die Anhörung am Montag gravierende Wertungswidersprüche im Gesetz offenbart, die noch dringend geändert werden müssen, wenn das Gesetz am Ende nicht das Gegenteil dessen bewirken soll, was es beabsichtigt. So braucht es dringend einen minderschweren Fall in § 184b, um gerade die in der Anhörung erwähnten massenhaften Fälle von Jugendlichen, die gedankenlos Bilder mit ihren Telefonen verbreiten, unrechtsangemessen zu erfassen. Vor allem aber die irreführende neue Begrifflichkeit der sexualisierten Gewalt gegen Kinder wird den Opfern zum Nachteil gereichen. Da sind sich die Experten, auch der Missbrauchsbeauftragte Rörig und alle 16 Landesjustizminister einig. Sexuelle Handlungen an Kindern sind und bleiben strafbar, auch wenn keine Gewalt angewendet wurde. Daran darf der Wortlaut keinen Zweifel lassen, Frau Ministerin.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)

Die neue Begrifflichkeit liefert manipulativen Tätern eine Selbstrechtfertigung auf dem Silbertablett, weil sie ja keine Gewalt angewendet haben. Und für die Opfer, deren kindliches Vertrauen missbraucht worden ist – und deswegen ist „Missbrauch“ auch der richtige Begriff –, wird es noch schwieriger, zu realisieren, dass ihnen Unrecht angetan wurde.

(Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

Diese Änderung ist daher ein wohlgemeinter Irrtum zulasten der Betroffenen. Ich appelliere dringend, diesen wieder aus dem Gesetz herauszunehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU])

Bleiben wir noch etwas bei den Kindern. Die Gleichstellung von Kindern, die in die Ehe zweier Frauen hineingeboren werden, mit den Kindern, die in einer heterosexuellen Ehe geboren werden, steht auch immer noch aus. Hier geht die Kritik ganz klar an die Union, die es aus ideologischen Gründen immer noch nicht schafft, die Perspektive des Kindes ins Zentrum zu stellen. An dieser Stelle, Frau Ministerin, ist Ihnen unsere grüne Unterstützung sicher.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -Thorsten Frei [CDU/CSU]: Bis jetzt war die Rede gut!)

Gut finde ich auch, dass Sie sich den Vorschlag eines automatischen gemeinsamen Sorgerechts von Geburt an nicht zu eigen gemacht haben. Die Kenntnis des Kindes von seiner Abstammung würde dadurch eher erschwert, und auch das Umgangsrechts des leiblichen Vaters.

Ansonsten: Frau Ministerin, im Wirtschaftsrecht ist Ihr Gesetzentwurf zu den Unternehmenssanktionen zwar erstaunlich zügig durch das Kabinett gekommen, hängt jetzt aber irgendwo im Nirwana der Koalition fest. Noch schlechter sieht es aus für den Whistleblower-Schutz. Da haben wir bislang nicht einmal eine Vorlage gesehen, obwohl die Umsetzung der EU-Richtlinie überfällig ist.

Fazit: Die Bilanz Ihrer kurzen Amtszeit lässt sich durchaus sehen. Im Wirtschaftsrecht sind die ganz großen Baustellen allerdings noch offen, und im Sexualstrafrecht darf es jetzt auf keinen Fall zu fatalen Verschlimmbesserungen kommen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Axel Müller [CDU/CSU])

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Keul. – Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Carsten Müller, CDU/CSU-Fraktion, das Wort:

(Beifall bei der CDU/CSU)