Rede von Andreas Audretsch Haushalt 2022 - Arbeit und Soziales (Epl. 11) / Mindestlohn

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bundestag.de
03.06.2022

Andreas Audretsch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich fange diese Rede heute an mit einer Zahl – nicht mit einer Zahl aus den Haushaltsberatungen, sondern mit einer Zahl, die gerade in Deutschland Millionen von Menschen Sorge bereitet: 7,9 Prozent. In dieser Höhe lag im Mai die Inflation, Tendenz steigend. Die Energiepreise und damit auch die Lebensmittelpreise steigen für viele Menschen, gerade für Menschen in der Grundsicherung, gerade für Menschen mit kleinen Einkommen, in eine Höhe, die ein kaum noch erträgliches Maß hat. Darum ist es so wichtig, dass wir als Koalition die Entlastungspakete beschlossen haben, und ist es so wichtig, dass wir als Koalition die Entlastungspakete im Ergänzungshaushalt auch finanziert haben. Das kostet Millionen von Euro, das kostet Milliarden von Euro. Das ist richtig. Um konkret zu sein: Weit über 30 Milliarden Euro sind das. Das ist gut angelegtes Geld, weil der soziale Frieden gerade in einer so schwierigen Situation die Voraussetzung dafür ist, dass wir tatsächlich auch alles andere in dieser Gesellschaft schaffen, was notwendig ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dabei ist eines klar: Die bisherige Entlastung ist notwendig, und die ist gut; aber wir müssen bereit sein, auch künftig zu handeln. Der Krieg in der Ukraine, der wird unerbittlich weitergeführt. Wir erleben derzeit schon, dass der Diktator Wladimir Putin bereit ist, Lebensmittelpreise, Energiepreise zur Waffe zu machen. Wir müssen damit rechnen, dass es im Herbst einen dramatischen Anstieg der Gaspreise gibt, einen dramatischen Anstieg der Heizkosten und in der Folge auch der Lebensmittelpreise gibt. Das wird zu tiefgreifenden Fragen der Verteilungsgerechtigkeit führen. Die Vorstellung, dass Familien, dass ältere Menschen im Herbst, im Winter in der Kälte sitzen, weil sie es sich nicht mehr leisten können, zu heizen, ist für mich inakzeptabel und muss für diese Gesellschaft inakzeptabel sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Deswegen müssen wir bereit sein, im Herbst das nötige Geld in die Hand zu nehmen, um denen, die es brauchen, den sozialen Frieden in dieser Gesellschaft zu sichern.

Wir beschließen heute neben dem Haushalt auch den Mindestlohn. Das ist eine Gehaltserhöhung auf 12 Euro die Stunde für deutlich über 6 Millionen Menschen in diesem Land. Das ist ein riesiger Schritt, mit dem wir deutlich machen: Menschen, die in diesem Land Vollzeit arbeiten, dürfen am Ende des Monats nicht von Armut bedroht sein. Das ist inakzeptabel, und das gehen wir mit diesem Mindestlohn an.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer etwas genauer hinschaut, der erkennt, wer vor allem profitiert. Auch da lohnt ein Blick. Es sind Frauen, die vor allem profitieren, und es sind Menschen in Ostdeutschland, die profitieren, weil sie diejenigen waren, die bislang von prekärer Arbeit besonders betroffen sind.

Es kommt eine Sache hinzu, die oft vernachlässigt wird: Die Erhöhung des Mindestlohns ist auch ein Wirtschaftsprogramm, ein wirtschaftlicher Motor. Wir erhöhen Kaufkraft damit. Menschen gehen los. Menschen haben finanzielle Möglichkeiten. Menschen gehen in die Innenstädte, in die Cafés, in die Kinos, sie kaufen ein. Gerade nach einer Zeit von zwei Jahren, in der wir gesehen haben, wie sehr die Innenstädte unter Corona gelitten haben, ist das das Wirtschaftsprogramm, das gerade die kleinen Läden, die kleinen Geschäfte in den Innenstädten jetzt so dringend brauchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ein Mindestlohn von 12 Euro ist angesichts der Preisentwicklung bitter nötig. Es ist es ein Wirtschaftsprogramm, von dem wir alle profitieren, und es ist nicht zuletzt schlicht und ergreifend eine Frage von Respekt, von Würde und von Anstand in unserer gemeinsamen Gesellschaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unterstützungschancen und einen würdevoller Umgang haben auch die Hunderttausende Menschen verdient, die angesichts des Krieges jetzt zu uns kommen. Auch ihnen garantieren wir mit dem Haushalt genau das. Es ist richtig, dass wir den Menschen aus der Ukraine Zugang zu den Sozialsystemen und zum Arbeitsmarkt geben. Das Gute ist: Wir müssen uns nicht entscheiden. Die Frage, ob wir diesen Menschen Unterstützung geben oder den Menschen, die schon sehr lange bei uns in der Gesellschaft hier in Deutschland leben, stellt sich nicht. Wir tun beides mit diesem Haushalt.

Das Gute ist, dass wir gleichzeitig Ja sagen zur Öffnung des Arbeitsmarktes für Menschen, die aus der Ukraine kommen, und dass wir den Sozialen Arbeitsmarkt für Menschen, die hier viele, viele Jahre langzeitarbeitslos sind, sichern und stärken. Das ist ein großartiges Instrument. Wir entfristen dieses Instrument. Fast alle Jobcenter in Deutschland nutzen es.

Mit diesem Haushalt geben wir weiteren Spielraum. Künftig sind 200 Millionen Euro zusätzlich – das haben wir hier im Bundestag gemeinsam erreicht – an finanziellem Spielraum da, um Menschen den Weg aus der Langzeitarbeitslosigkeit aufzuzeigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Genau das ist unsere Politik: Wir spielen Gruppen nicht gegeneinander aus, sondern sagen, dass wir Chancen für diejenigen bieten, die hierherkommen; da haben wir eine Verantwortung. Gleichzeitig kümmern wir uns um die, die hier seit vielen Jahren langzeitarbeitslos sind, und bieten all diesen Menschen Zukunftsperspektiven.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Genau dieser Gedanke trägt uns auch, wenn wir die großen Transformationen angehen, die vor uns liegen. Die großen Umstellungen, die damit in Verbindung stehen, haben gerade erst begonnen. Wo heute noch mit Kohle, mit Öl, mit Gas gewirtschaftet wird, werden wir schon sehr bald sehen, dass nur noch nachhaltige Treibstoffe zum Einsatz kommen.

(Stephan Brandner [AfD]: Na klar!)

Wo heute noch fossile Energieträger der zentrale Bestandteil industrieller Produktion sind, werden wir schon bald sehen, dass genau diese fossilen Energieträger nicht mehr Teil der Produktion sind.

(Stephan Brandner [AfD]: Träum weiter!)

Das sind riesige Umstellungen. Ich kenne das von vielen Zulieferbetrieben in ganz Deutschland, die zum Teil ihre Produktionsprozesse grundsätzlich umbauen müssen. An der Stelle bietet der Koalitionsvertrag alles, was notwendig ist und was wir brauchen, um Zukunft zu schaffen. Dazu gehört auch, dass wir die Bundesagentur für Arbeit zu einer Transformationsagentur machen, die reingeht, die weiß, was vor Ort los ist, die weiß, wo es schwierig wird, wo neue Jobs entstehen, was wir bei der Weiterbildung von Menschen machen müssen, damit diese nicht auf dem Weg stecken bleiben, sondern dass sie von einem Job in den nächsten kommen.

Wir haben diese Krisensituation im Blick. Wir haben intensiv darüber diskutiert, wie wir die Bundesagentur für Arbeit stabil halten und für die Zukunft ausstatten können. Genau das ist eine Perspektive, die wir auch mit Blick auf den Haushalt 2023 einnehmen. Wir haben die Bundesagentur für Arbeit im Blick, und wir werden dafür sorgen, dass sie gut ausgestattet genau diese Arbeit in Zukunft tun kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die Entlastungen von Menschen in einer Krisensituation auf der einen Seite und das Öffnen von neuen Chancen auf der anderen Seite – egal ob es Geflüchtete sind, egal ob es Menschen in der Langzeitarbeitslosigkeit sind oder ob es Menschen sind, die in der großen Transformation, die jetzt ansteht, neue Chancen suchen –, all das sind Seiten der gleichen Medaille. Und all das – das zeigen wir heute mit diesem Haushalt – haben wir als Ampel im Blick, und wir werden in den nächsten Jahren auch genau das angehen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Dr. Gesine Lötzsch.

(Beifall bei der LINKEN)