Rede von Dr. med. Paula Piechotta Haushalt 2022 - Schlussrunde

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03.06.2022

Dr. Paula Piechotta (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitarbeiter/-innen des Haushaltsausschusses, auch von dieser Stelle an Sie noch mal großen Dank! Der Koalitionsvertrag der Ampel ist jetzt knapp ein halbes Jahr alt; aber seit dem 24. Februar muss er kontinuierlich jeden Tag upgedatet werden. Seit knapp 100 Tagen gibt es einen Angriffskrieg in Europa, und Herr Dobrindt: Ich bin zwar erst 1986 geboren und auch im Osten Deutschlands, aber ich glaube, Konrad Adenauer musste dies in seiner Zeit nicht bewältigen. Wir müssen jetzt mit diesem neuen Status quo arbeiten, und deswegen braucht die Politik der Bundesregierung ein Update.

Der Haushalt, so wie wir ihn heute hier beschließen, ist elementarer Bestandteil genau dieses Updates. In diesem Haushalt mussten wir als Ampel ausbuchstabieren, was zum Zeitpunkt des Koalitionsvertrages nicht einmal denkbar war. Wir machen konkret, was im letzten Herbst komplett unwahrscheinlich erschien. Es geht um die Folgen des Angriffskriegs auf die Ukraine, die schnellstmögliche Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen, die Bündnisfähigkeit und auch um die Versorgung ukrainischer Geflüchteter. Wir müssen auch ausbuchstabieren, wovon viele im letzten Herbst noch gehofft hatten, dass es nicht mehr eine derart große Rolle spielen wird. Dabei geht es um die weiter anhaltenden Folgen der Coronapandemie und, ja, auch die Auswirkungen der Inflation. Ja, Haushalt schafft Realitäten; aber in diesen Zeiten war es besonders notwendig, Konkretisierungen in diesem Haushalt vorzunehmen an Stellen, wo vorher alles vage war.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Für diesen großen Kraftakt – und es war ein Kraftakt – geht ein ganz großer Dank an die Haushälterinnen und Haushälter der Ampel, stellvertretend an Dennis Rohde, Sven-Christian Kindler und Otto Fricke. Die Haushälter dieser Koalition sind eines der Rückgrate dieser Koalition; sie halten vieles in dieser Koalition an ganz entscheidender Stelle zusammen.

Aber über diesem Haushalt und auch über den folgenden schweben weitere Fragen. Zwei möchte ich nennen. Zum einen haben wir nicht mehr die klassische Krise, die kommt und bewältigt wird, und danach setzt eine Erholungsphase ein, eine Erholungsphase, die ja nicht nur Erholung für Gesellschaft und Politik ist, sondern auch für die Staatsfinanzen. Wir haben jetzt die Situation, dass die nächste Krise schon kommt, wenn die erste Krise noch nicht vorbei ist, sich die Krisen also akkumulieren, und die Erholungsphasen lassen lange auf sich warten. Was machen wir mit Zukunftsinvestitionen, wenn wir nicht auf diese Erholungsphasen warten können? Das ist die erste Frage.

Die andere, auch nicht ganz unwichtige Frage ist: Was ist eigentlich eine faire Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern in Zeiten multipler Krisen? Ich erinnere mich an das erste Coronajahr. 2020 sind Bund und Länder in großer Einigkeit sehr stark in die Verantwortung gegangen. Die Ambitionen sind im letzten Jahr, 2021, deutlich auseinandergegangen mit der Folge einer deutlich stärkeren Verschuldung und Verantwortungsübernahme durch den Bund. Und in diesem Jahr sehen wir: Der Bund geht in die Vollen, einmal mehr, weil Corona noch nicht vorbei ist und weil die Ukrainekrise unglaublich bestimmend ist, während die Länder anfangen, ihre Haushalte zu sanieren. Wir sehen 11 Milliarden Euro Überschuss in den Ländern und sogar schon eine Schuldentilgung, kumuliert in Höhe von über 20 Milliarden Euro. Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht wie manche Kollegen von anderen Parteien von einer Raub- und Beutegemeinschaft der Länder sprechen – das ist ein Zitat –, aber doch fragen: Ist die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern im Jahr 2022 noch im Lot?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Welche Antworten versuchen wir darauf als Ampel zu geben? Wir sagen: Nein, wir können nicht auf die Erholungsphase warten. Wir müssen jetzt Zukunftsinvestitionen starten:

(Zuruf von der LINKEN: Deshalb Schuldenbremse!)

Milliarden für Klima, Milliarden für den Artenschutz, Milliarden für humanitäre Hilfe und Pandemieprävention. Warum? Weil alles andere bedeuten würde, andere Krisen noch anzuheizen und zu beschleunigen und damit mit dafür verantwortlich zu sein, wenn Erholungsphasen sich noch weiter nach hinten verschieben.

Zum anderen brauchen wir in dieser Zeit mit besonders großen Belastungen eine verlässliche Partnerschaft mit den Ländern. Deswegen hat dieser Haushaltsausschuss unter anderem die Maßgabe auf den Weg gebracht, dass die Coronatests im zweiten Halbjahr 2022 nicht mehr allein vom Bund zu tragen sind. Und deswegen ist es auch so bemerkenswert, dass die MPK gestern einmal mehr festgehalten hat, dass die Länder darum bitten, dass der Bund das weiter vollumfänglich übernimmt. – Ich finde, das ist kein Start einer guten Diskussion. Herr Dobrindt, das ist ja nicht nur ein Schuldenberg; das ist auch ein Berg an Aufgaben, die wir als Gesellschaft jetzt bewältigen müssen. Wir brauchen die gesamte Kraft dieses Landes – und nicht nur die 42 Prozent der Steuereinnahmen des Bundes –, die gesamte Kraft von Bund und Ländern, um das zu bewältigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind eigentlich die Länder?)

– Genau. Wo sind eigentlich die Länder an der Stelle?

Ich komme aus einem der östlichen Bundesländer, und ich finde es gut, dass wir die Debatte hier ein bisschen ins Lot bringen, was die Vorherrschaft von Sylt angeht. Ich finde es unglaublich wichtig, mal zu sagen, dass knapp 30 Jahre nach der Wiedervereinigung Rügen, Usedom und Hiddensee mindestens ebenso wichtig sind. Vor allen Dingen sind sie bahntechnisch heute schon deutlich besser angebunden. Wenn Sie noch Fragen zu den schönsten ostdeutschen Bahnstrecken haben, stehen mein Büro und ich jederzeit gerne für Auskünfte zur Verfügung, in der Hoffnung, dass das 9‑Euro-Ticket, das ja so viel für uns als Ampelkoalition leisten soll, auch hilft, Ost und West noch näher zusammenzubringen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Für die CDU/CSU erhält das Wort Yannick Bury.

(Beifall bei der CDU/CSU)