Rede von Claudia Roth Haushalt 2023: Generaldebatte Bundeskanzleramt, Epl. 04

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07.09.2022

Claudia Roth, Staatsministerin beim Bundeskanzler:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zusammenzustehen, gemeinsame Werte zu teilen und teilzuhaben an gesellschaftlichen, an politischen, an kulturellen Entwicklungen und Entscheidungen, das verstehe ich unter einer demokratischen Kultur. Diese Kultur, sie macht uns aus, und diese Kultur werden wir verteidigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Anikó Merten [FDP])

Nur wer teilhat am gesellschaftlichen, am politischen, am kulturellen Leben, wird auch gemeinsame demokratische Werte teilen. Eben das macht deutlich, in welchem Verhältnis Kultur, Gesellschaft und Politik zueinander stehen. Es zeigt, dass Museen, Theater, Kinos, Konzertsäle, Literatur, Musik und Kunst kein Nice-to-have sind, sondern ein wesentliches, ein konstituierendes Moment demokratischer Gesellschaften.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Kultureinrichtungen sind dritte Orte, Orte der Bildung, Orte der Begegnung, der sozialen Wärme und der Gemeinschaft. Sie sind von immenser Bedeutung, gerade in Krisenzeiten. Und wir leben nicht nur in einer Krise. Wir erleben, wie ein Krieg auf eine Krise folgt und wieder neue Krisen auslöst. Wir sehen, wie die Herausforderungen sich in- und übereinanderschieben wie tektonische Platten. Als wäre das nicht genug, treibt der Krieg gegen die Ukraine uns vor sich her, vernichtet Existenzen, zerstört Kultureinrichtungen, droht jeder menschlichen Ordnung mit Auslöschung.

Mein ukrainischer Amtskollege Oleksandr Tkatschenko hat mir erst vor wenigen Tagen von den über 500 beschädigten oder systematisch zerstörten ukrainischen Kultureinrichtungen berichtet: Bibliotheken, Theater, Konzertsäle. Dem müssen und dem werden wir uns entgegenstellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Wir werden als Demokratinnen und Demokraten zusammenstehen aus Respekt vor den Menschen in der Ukraine, die sich behaupten müssen in einem Krieg gegen die Demokratie, in einem Krieg gegen die Kultur. Sie kämpfen ja nicht nur für sich selbst. Sie kämpfen auch für uns: für ein freies und für ein demokratisches Europa.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wer nur zuschaut, wie die Kultur der Ukraine zerstört wird, gibt nicht nur dieses Land und seine Menschen auf, er gibt sich selber auf. Kultur ist die Grundlage unseres Zusammenlebens. Wer zulässt, dass sie andernorts mutwillig zerstört wird, gibt sie preis. Deswegen muss beim Wiederaufbau der Ukraine auch die Kultur mitgedacht werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir wollen und wir werden die Kultur bei uns fördern und erhalten, eben weil sie essenziell ist für ein gelingendes Zusammenleben. Wir wollen sie vor, nach und zwischen den Krisen fördern und erhalten. Die Kultur erhebt aus eigenem Recht Anspruch darauf und damit auch auf eine Teilhabe am gemeinsamen Budget.

Die Zeit drängt. Wir werden im kommenden Winter öffentliche wie private Kultureinrichtungen unterstützen müssen, die auch unter den massiv gestiegenen Energiepreisen besonders zu leiden haben. Wir wollen keinen weiteren Winter vor geschlossenen Kinos und Theatertüren stehen, auf Konzerte und Lesungen verzichten. Daher wollen wir zur Bewältigung der rapide steigenden Energiekosten die Kultureinrichtungen in Deutschland sehr zielgerichtet mit 1 Milliarde Euro unterstützen. Das heißt, wir wollen nicht zurück in eine Energieabhängigkeit, die Europa, die unser politisches System, unsere Art zu leben, unsere demokratische Kultur und obendrein noch unsere Lebensgrundlagen bedroht.

Wir wollen auch im Kulturbereich nachhaltig wirtschaften. Und wer das will, muss vorausschauend handeln. Das haben wir getan, als wir mit Green Culture im Koalitionsvertrag gemeinsam die Weichen für eine nachhaltige Zukunft der Kulturbranche gestellt haben, noch bevor die Auswirkungen des Krieges als Energiekrise auf uns zurückschlugen. Das haben wir getan mit der Einrichtung eines eigenen Referats, eines Teams für Nachhaltigkeit in der Kultur, mit vorausschauenden Beratungen durch die Bundesnetzagentur und mit vielen Gesprächen, die wir mit den Kulturministerinnen und Kulturministern der Länder und mit den Kommunen führen.

Wir haben nicht nur Erwartungen an die Betreiber von Kinos, an Theater oder an Opernhäuser formuliert, sondern wir werden sie auch schützen, und wir werden sie unterstützen.

Ja, es waren schwierige Haushaltsverhandlungen. Gemeinsam mit dem Finanzminister, dem ich an dieser Stelle herzlich danken möchte, ist es uns aber gelungen, einen Aufwuchs im Kulturhaushalt zu erreichen, und das ist in diesen Zeiten alles andere als selbstverständlich.

Mein Dank gilt aber auch den Kolleginnen und Kollegen aus dem Kulturausschuss. Mein Dank gilt den Haushälterinnen und Haushältern mit Herz für die Kultur für eine wirklich außerordentlich konstruktive Zusammenarbeit.

Und, liebe Frau Radomski, der Haushaltsausschuss hat die Mittel für die SPK und das Humboldt Forum nicht gestrichen, sondern gesperrt, nicht zuletzt um einen Reformprozess voranzubringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Zusammenstehen – das heißt für mich, dass wir die demokratischen Kräfte von Kunst und Kultur, von Meinungs- und Pressefreiheit dort entfesseln werden, wo unser demokratisches Gesellschaftsmodell angegriffen wird.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Künstler im Krieg!)

Zusammenstehen – das heißt für mich auch, dass ich Antisemitismusvorwürfe gegen die Documenta sehr, sehr ernst nehme

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Sehr spät!)

und natürlich Konsequenzen ziehe. Das bedeutet auch, dass sich etwas an den Strukturen der Documenta ändern muss.

Und zusammenstehen heißt, dass ich Maßnahmen gegen Rassismus, Antiziganismus und Queerfeindlichkeit für die Förderung unserer Demokratie auch und gerade mit dem Kulturbereich unterstütze.

Ich will, dass dieser Winter der Solidarität auch ein Winter der Kultur wird, und setze auf Ihre Unterstützung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Anikó Merten hat das Wort für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)