Rede von Dr. med. Paula Piechotta Haushalt 2023: Generaldebatte Bundeskanzleramt, Epl. 04

Dr. Paula Piechotta MdB
07.09.2022

Dr. Paula Piechotta (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Tod von Michail Gorbatschow, der erzeugt, gerade in Ostdeutschland, nicht nur Dankbarkeit, sondern er erinnert uns auch ganz stark an etwas, was wir oft nach ganz weit hinten in unseren Kopf verschoben haben, nämlich dass 1989 auch hätte schiefgehen können. Dann ist da nicht nur Dankbarkeit, sondern dann ist da auch viel Erleichterung. Gleichzeitig zeigt sein Weggang, dass uns immer mehr von den großen Staatsmännern und ‑frauen, die 1989 und 1990 so viele richtige Entscheidungen getroffen haben, verlassen und auf der anderen Seite der Zeitpunkt, an dem das wiedervereinigte Deutschland länger besteht, als die DDR jemals existiert hat, immer näher kommt.

Und vor dem Hintergrund dieses zeitlichen Horizontes ist es ein Stück weit auch ein Eingeständnis des Scheiterns der Ost-West-Debatten der letzten drei Jahrzehnte, dass wir jetzt mehr Mittel für den Ostbeauftragten brauchen, der für mich auch eine Art Zusammenhaltsbeauftragter ist für Ost- und Westdeutschland, für wichtige Projekte, wie zum Beispiel das Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Denn gerade in diesen Zeiten sehen wir ja: Wir haben in vielen Punkten noch keine wirklich feste Einheit in diesem Land. Wir haben in zentralen politischen Fragen, wie der Verhängung der Sanktionen gegen Russland zur Unterstützung der Ukraine, unterschiedliche politische Mehrheiten in Ost- und Westdeutschland. Wir sagen ja zu Recht: Wir lassen uns nicht spalten in Europa. Das bedeutet aber auch: Wir lassen uns nicht spalten in den einzelnen Ländern in Europa und damit in Deutschland auch nicht in Ost und West. Wir lassen uns an dieser Stelle nicht spalten, weder von Nazis noch von russischer Propaganda noch von einzelnen ostdeutschen Ministerpräsidenten, die jetzt jede gesamtdeutsche Frage zur ostdeutschen Frage erklären wollen, und eben auch nicht von Teilen der Linkspartei.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Am Ende können vielleicht auch Orte wie das Zukunftszentrum, in dem wissenschaftliche Debatten und Debatten in der Bevölkerung angestoßen werden sollen, unsere Sicht auf Ostdeutschland, auf Gesamtdeutschland, auf Osteuropa, aber auch auf unsere eigene Vergangenheit verändern und klarmachen, was eigentlich schon auf der Hand liegt, nämlich dass die Menschen in der Ukraine gerade für vieles kämpfen, für das auch die Menschen 1989 auf die Straßen gegangen sind: für Selbstbestimmung und Freiheit. Sie hatten dabei deutlich mehr Glück. Das verlangt auch von uns viel mehr Solidarität, als wir heute zeigen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Sepp Müller hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)