Rede von Lamya Kaddor Haushalt 2023: Innen und Heimat, Epl. 06
Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Danke für die Mahnung und das Gedenken an den schrecklichen Terror vor 50 Jahren in München. Ich möchte aber auch noch daran erinnern, dass heute vor 22 Jahren Enver Şimşek vom NSU ermordet worden ist und diese Tat erst 11 Jahre später tatsächlich aufgeklärt werden konnte.
Wir befinden uns in der Haushaltsdebatte, begleitet von hochangespannten und auch sehr dynamischen Entwicklungen. Sie bereiten, übrigens wie schon zur Coronakrise, den Boden für extremistische Bestrebungen. Akteurinnen und Akteure nutzen diese für das hehre Mittel des Protests. Ich sage es hier ganz deutlich: Solche unterwanderten Proteste sind zu einem Booster der extremen Rechten geworden, der nicht unterschätzt und vor allem nicht als Spaziergang oder freie Meinungsäußerung, wie wir es hier zum Teil ja gerade gehört haben, verharmlost werden darf.
(Lachen der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Als Staat ist es unsere Aufgabe – ja, da lachen Sie jetzt –, dieses Unterlaufen berechtigter Protestanliegen besonders im Blick zu behalten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Beatrix von Storch [AfD]: Schwachsinn!)
Liebe Frau Bundesinnenministerin, vor zwölf Monaten haben wir die Bundestagswahlen gewonnen, und vor zehn Monaten hat diese Koalition ihre Arbeit aufgenommen. Seitdem, so behaupten böse Zungen, wäre in der Innenpolitik wenig bis nichts passiert, und Herr Seehofers Geist würde durch die Flure des Bundesinnenministeriums wabern. Das ist so nicht richtig. Ich war ja des Öfteren da.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Fünf Minuten!)
Wir Grüne stehen bereit:
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Schlimm genug!)
Wir haben einen ambitionierten Koalitionsvertrag, um eine liberale, humane und den Sicherheitsinteressen unseres Landes entsprechende zielgenaue Politik anzugehen, sei es beim Staatsbürgerschaftsrecht, bei der Konkretisierung des Aktionsplans gegen Rechtsextremismus oder dem Demokratiefördergesetz genauso wie bei der Novellierung des Bundespolizeigesetzes.
Wir setzen auf Prävention gegen jeglichen Extremismus, auch den Islamismus übrigens – ja, auch den, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. Doch wer wie ich gegen Islamismus kämpft, der muss wissen und weiß in der Regel auch: Islamfeindlichkeit ist die andere Seite dieser Medaille.
(Lachen bei der AfD – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Der Einzelplan 06, über den wir hier sprechen, hat die meisten Kürzungen zu verzeichnen; aber an Prävention dürfen wir nicht sparen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Sehr geehrte Damen und Herren, im Sommer war ich in Euskirchen. Allein dort starben 26 Menschen bei der schlimmsten Hochwasserkatastrophe seit Langem, 182 Personen insgesamt. Was sollen wir den Menschen vor Ort sagen, wenn die Warnungen vor Hochwasser oder Stromausfall das nächste Mal wieder nicht oder zu spät ankommen sollten?
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz soll eine Steuerungsfunktion haben, und dass wir dafür Geld in den Haushalt einstellen, war eine Verabredung. Doch blicke ich in den aktuellen Haushaltsentwurf – das muss ich kritisch anmerken –, kann ich das nicht finden. Da müssen wir gemeinsame Wege finden, hier zu einem Aufwuchs zu kommen.
(Sebastian Hartmann [SPD]: Wer regiert denn mit?)
Aber auch andere Bedrohungsszenarien müssen rechtzeitig erfasst werden können. Ich werde mir heute das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum in Treptow anschauen. Ich bin überzeugt, dass die Beamtinnen und Beamten dort hervorragende Arbeit leisten. Nur ist ihr Auftraggeber, abgekürzt GTAZ, formal keine eigenständige Behörde, sondern nur eine Kooperationsplattform der mit der Terrorismusbekämpfung befassten Bundes- und Landesbehörden, die unter faktischer Führung des BKA für eine verbesserte Koordinierung und damit für Kontrolle sorgen soll. Seit Jahren wissen wir aber, dass die von Otto Schily im Jahre 2004 als Behelfslösung eingeführte Stelle endlich eine Rechtsgrundlage braucht, schon allein zur Abgrenzung zwischen Polizei und Sicherheitsbehörden. Ich erinnere Sie auch hier gerne an unseren Koalitionsvertrag.
Sehr geehrte Damen und Herren, wir erleben eine Verdichtung und Gleichzeitigkeit der Krisen – Migrationskrise, Klimakrise, Coronakrise, Energiekrise –, und diese Koalition muss alles dafür tun, um Zusammenhalt und Sicherheit in unserem Land weiterhin zu gewährleisten.
Wenn eine Militärmacht wie Russland ein Land mitten in Europa überfällt, wenn Cyberangriffe ausländischer Dienste Normalität sind, wenn Stresstests gefahren werden müssen, der Gaspreis explodiert, wird der politische und monetäre Handlungsspielraum eng. Wir stehen hier aber im Wort gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, für ihre innere und äußere Sicherheit weiterhin zu sorgen.
Der Zusammenhang zwischen gelungener Außenpolitik und kluger Innenpolitik war immer schon groß; er war vielleicht nie größer als heute. Deshalb lassen Sie uns mit Verstand, Herzblut und großem Mut in diesen Winter und auch in diese Haushaltsverhandlungen gehen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Präsidentin Bärbel Bas:
Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Marcus Bühl.
(Beifall bei der AfD)