Rede von Dr. Tobias Lindner Haushalt - Einzelplan Verteidigung

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27.11.2019

Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Brandl, ich war ganz beeindruckt, zu sehen, mit welcher Begeisterung Sie in der Lage sind, hier an diesem Pult Ausgabenhöhen und Prozentzahlen vorzutragen und wie glücklich Sie das macht. Wir diskutieren nicht nur das sechste Jahr in Folge über einen steigenden Wehretat, sondern wir reden auch das sechste Jahr in Folge darüber, wo es bei der Bundeswehr, trotz allem, was sie in den Auslandseinsätzen leistet, vor allem wenn wir auf Liegenschaften, Material und die Einsatzbereitschaft schauen, Baustellen gibt. Meine Fraktion kommt zu dem Ergebnis: Am Geld kann es offensichtlich nicht gelegen haben. Geld ist in Hülle und Fülle vorhanden. Es liegt an den Prozessen; deswegen nützt mehr Geld an dieser Stelle auch nichts, Herr Kollege.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Ministerin, wenn ich mir das Beschaffungskapitel Ihres Haushalts anschaue, dann frage ich mich: Ja, ist denn schon Weihnachten? – Das Ganze erinnert eher an einen Wunschzettel als an eine wirklich durchdachte, strategische Planung, welche Systeme die Bundeswehr tatsächlich braucht und welche Priorität haben. Sie wollen allein 3,4 Milliarden Euro für eine Euro-Drohne ausgeben, 8 bis 9 Milliarden Euro für ein Luftverteidigungssystem. Hinzu kommen die Nachfolge des Tornados und andere Dinge wie der schwere Transporthubschrauber. Das jetzt eingesetzte Modell ist älter als ich. Das wird wieder um ein Jahr geschoben. Was aus dem Mehrzweckkampfschiff wird, weiß im Moment kein Mensch.

Wenn man genauer hinschaut, stellt man fest, dass das alles mittelfristig nicht nur nicht finanziert ist. Die meisten Vorhaben sind vielmehr durch das Bundesministerium der Finanzen qualifiziert gesperrt worden. Wenn man nachfragt, warum das so ist, lautet die Antwort: Ja, weil diese ganzen Vorhaben noch nicht haushaltsreif sind.

Am Ende des Tages, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird es zu Folgendem führen: Beschafft wird für die Truppe nicht das werden, was am dringendsten ist, was am wichtigsten ist und was wir jetzt brauchen; beschafft wird werden, was entweder der Beschaffungsapparat oder die Rüstungsindustrie liefern kann. Das ist ein Zufallsmechanismus. Das hat nichts mit einer durchdachten militärischen Planung zu tun, und das ist ein Vorgehen, das meine Fraktion nicht unterstützen wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Stimmt!)

Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen. Uns hat heute am späten Vormittag ein Schreiben Ihres Staatssekretärs Dr. Tauber erreicht, in dem er uns informiert, dass die Marine den Anfangsflugbetrieb mit dem neuen Marinehubschrauber – ich betone: mit dem neuen Marinehubschrauber – NH90 Sea Lion vorerst nicht aufnehmen wird. Wir haben von der Firma Airbus bisher ein Exemplar mit großem Medientamtam erhalten.

Jetzt hat man bei der Überprüfung herausgefunden, dass deutlich mehr als 150 Positionen der interaktiven elektronischen technischen Dokumentation fehlerhaft sind. Die Rede ist von „erheblichen Fehlern, die einen sicheren Flugbetrieb des Hubschraubers aktuell nicht verantworten lassen“.

(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wer kann dafür?)

– Kollege Gädechens, ich mache Ihnen nicht den Vorwurf, dass Sie irgendwie an dem Hubschrauber herumgeschraubt haben.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)

Darum geht es mir nicht. Ich glaube, da muss man das Kind beim Namen nennen. Das war keine Qualitätsarbeit der Firma Airbus Helicopters – um das ganz deutlich zu sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es zeigt aber eben nun mal, dass der Glaube „Wir kaufen ein paar neue Systeme und stellen sie auf den Hof, dann wird alles bei der Bundeswehr besser“ doch ein Irrglaube ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das bringt mich zu meinem zweiten Punkt, zur materiellen Einsatzbereitschaft. Frau Kramp-Karrenbauer, wir als Mitglieder des Verteidigungsausschusses warten in diesen Tagen sehr gespannt, wann uns der nächste Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft erreichen wird. Bei „Spiegel Online“ konnten wir lesen, dass von 93 Tornados nur 20 flugbereit sind, von 53 Tiger-Kampfhubschraubern 12 flugfähig sind und von 284 Schützenpanzern Puma 67 einsatzbereit sind. Das ist aus zweierlei Sicht, ehrlich gesagt, skandalös, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der erste Punkt ist: Die Trendwende Material, also das Vorhaben von Frau von der Leyen, die alles besser machen sollte, wurde im Jahr 2016 verkündet. Seitdem ist der Wehretat um 10 Milliarden Euro gestiegen. Wenn wir hier auf die nackten Zahlen gucken und sehen, dass sich nichts signifikant verbessert hat, dann wird doch klar, dass mehr Geld an dieser Stelle nicht die Lösung ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Der zweite Punkt, Frau Ministerin, ist: Seit Neuestem sind diese Zahlen ja alle geheim. Wenn diese nicht bei „Spiegel Online“ gestanden hätten, dann könnten wir hier, in diesem Parlament, noch nicht einmal eine ernstgemeinte Debatte über den Zustand unserer Bundeswehr führen. Ich bin sehr gespannt, ob Ihr nächster Bericht auch wieder der Geheimhaltung unterliegt oder ob Sie eine solche Debatte ermöglichen.

Wir haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur Chaos bei der Prioritätensetzung. Wir haben nicht nur Chaos bei der materiellen Einsatzbereitschaft. Nein, wir haben auch Chaos in dieser Bundesregierung in Bezug auf den sicherheits- und außenpolitischen Kompass. Wenn SMS-Diplomatie in dieser Bundesregierung an der Tagesordnung ist, dann wird auch ein Nationaler Sicherheitsrat diese Probleme nicht lösen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lindner. – Nächste Rednerin ist für die Bundesregierung die Bundesministerin Annegret Kramp-Karrenbauer.

(Beifall bei der CDU/CSU)