Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist von einer Zeitenwende in Nahost die Rede. Was das bedeuten könnte, davon habe ich mir in Israel, im Westjordanland und in Ägypten vergangene Woche selbst ein Bild machen können. Mein Besuch im Kibbuz Kfa Aza hat mir gezeigt: Israel wird nach dem 7. Oktober mit einem weiteren Trauma leben müssen, was an die dunkelsten Tage jüdischer Geschichte erinnert. Im kollektiven Gedächtnis der Israelis ist das Ausgeliefertsein und der eliminatorische Wahn seiner Feinde tief verwurzelt. Allein die Tatsache, dass seit der Shoa nicht mehr so viele Jüdinnen und Juden an einem Tag getötet wurden, lässt verstehen: Israel wird nicht mehr dasselbe Land sein wie zuvor.
Ebenso stehen die Palästinenserinnen und Palästinenser vor dem Abgrund. Während des israelischen Verteidigungskriegs sind mittlerweile wohl fast 19 000 Menschen gestorben, 70 Prozent davon Frauen und Kinder, die keine Terroristen sind. Die Dimension dieser Zahl wurde für mich im wahrsten Sinne des Wortes greifbar, als mir im Gesundheitsministerium der PA, also der Palästinensischen Autonomiebehörde, dicke Aktenordner mit Namen, Fundort und Alter der Getöteten gereicht wurden, ein sehr bedrückender und schmerzlicher Akt. Weite Teile des Gazastreifens sind unbewohnbar geworden. Apokalyptische Zustände. Die meisten der Palästinenserinnen und Palästinenser dort wollen nichts mit der Hamas zu tun haben.
Was wird das Leid mit den Hinterbliebenen auf beiden Seiten und mit Menschen in der ganzen Region machen? Ich beginne heute bewusst mit den Folgen nach dem 7. Oktober; denn er hat massive Auswirkungen auf die Nachbarländer wie den Libanon. Aber er, also der Libanon, befand sich früher schon in einer noch nie dagewesenen Krise, und zwar in allen Bereichen. Das kleine Land an der Levante braucht deshalb unsere Unterstützung.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist wichtig, klar zu benennen, wer für die jetzige Situation in Nahost verantwortlich ist. Es ist unter anderem die Hamas, die diesen Krieg durch ein Massaker initiiert hat, die ihr eigenes Volk ganz bewusst Tod und Verderben ausgesetzt hat. Es sind die iranischen Proxies von den Huthis über die Kataib Hisbollah im Irak bis zur libanesischen Hisbollah, und es ist nicht zuletzt der Iran, dessen zerstörerischer Einfluss die Region seit Jahren destabilisiert. Ja, wenn wir den Libanon oder Israel oder andere Länder in der Region dabei unterstützen wollen, zukünftig in Sicherheit leben zu können, müssen wir diese Verbindungen benennen und bekämpfen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Und es ist auch klar: Die Ereignisse in Nahost haben Einfluss auf unsere eigene Sicherheit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Terrorgefahr steigt. Gewalt gegen Jüdinnen und Juden nimmt zu – weltweit. Die Bedrohung durch den Islamismus hat auch weltweit zugenommen. Erst letzte Woche wurden zwei junge Männer – Minderjährige – festgenommen, die einen Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Leverkusen planten, heute vier mutmaßliche Hamasmitglieder, die auch Anschläge planten. Und überall erheben sich jene Stimmen, die gleichzeitig ihren antimuslimischen Ressentiments freien Lauf lassen.
Innenpolitische Probleme müssen mit außenpolitischen Lösungen verknüpft werden. Wenn wir den Feinden Israels entgegentreten, ist das nicht nur unsere historische Verantwortung, nein, es ist auch in unserem eigenen Interesse, dies zu tun.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Und was heißt das jetzt für unseren Antrag?)
– Dazu komme ich, Frau Kollegin. – Diese Haltung spiegelt sich im innen- wie außenpolitischen Handeln der Bundesregierung wider.
Liebe Union, ihr Antrag zielt zwar auf das Richtige ab. Viele Ihrer Forderungen werden aber bereits umgesetzt. Insofern können Sie die Arbeit der Koalition an dieser Stelle auch einmal unterstützen.
In Deutschland gibt es bereits Verbote gegen die Hamas und Samidoun und Razzien beispielsweise gegen das Islamische Zentrum Hamburg sowie ihm nahestehender Vereine. Insbesondere deren Verbindungen zur Hisbollah werden dabei in den Blick genommen.
Auf der EU-Ebene haben wir weitreichende Sanktionen gegen Personen und Entitäten aus Iran und dem Libanon implementiert, die übrigens ständig erweitert werden; wir sind ja noch nicht am Ende.
Gelder der Entwicklungszusammenarbeit unterliegen bereits heute strengen Safeguard-Mechanismen, die nach dem 7. Oktober noch mal verschärft wurden.
Auch unser außenpolitisches Engagement zielt darauf ab, Länder wie den Libanon oder den Irak zu unterstützen, zu stabilisieren, mit der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten und den Einfluss proiranischer Proxies zurückzudrängen. Die Stärkung internationaler Friedensmissionen wie UNIFIL im Libanon oder der Anti-IS-Mission im Irak soll genau dieser Verantwortung gerecht werden.
Und nicht zuletzt haben wir auch in der Iranpolitik spätestens seit dem letzten Jahr eine Kehrtwende eingeleitet.
Genau diesem Kompass werden wir nach dem 7. Oktober umso entschlossener weiter folgen, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das Anliegen Ihres Antrags unterstützen wir gern, zumindest im Kern. Er nimmt aber nicht die ganze Breite der Herausforderungen in den Blick. Sicherheit für den Nahen Osten und uns – und ich muss es so sagen – kann es nur geben, wenn uns auch das Leid der Palästinenser, der Israelis und natürlich der Libanesen nicht egal ist, wenn sich die Maxime „Jedes Leben zählt“ in unserem Handeln wiederfindet. Alles andere wird letztlich dem Iran und seinen Verbündeten nutzen.
Die Hamas, die Hisbollah, die Huthis sind nicht nur gewalttätige Milizen. Die Terrorideologie steckt vor allem in den Köpfen, und diese Ideologie wird man nicht nur mit Bomben zerstören können. Deshalb braucht die libanesische Zivilgesellschaft unsere vollste Unterstützung dabei, der Verbreitung dieser Ideologie etwas entgegensetzen zu können. Deutschland muss sich auch noch stärker als bisher für ein Ende der Gewalt und eine Friedenslösung in Nahost einsetzen; denn erst, wenn dies erreicht ist, können wir weitere Radikalisierung und auch Militarisierung einschränken.
Ich komme zum Schluss. Die Hisbollah ist längst der Staat im Staate geworden, und wir müssen nicht nur Israel, sondern vor allem auch die libanesische Gesellschaft dabei unterstützen, nicht weiter zersetzt und in einen neuen Bürgerkrieg oder noch Schlimmeres hineingezogen zu werden.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:
Der nächste Redner ist Uli Lechte für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)