Rede von Sascha Müller Inflation
Sascha Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, die gestiegene Inflationsrate beschäftigt uns alle. Sie besorgt uns alle, aber sie betrifft uns nicht alle gleichermaßen. Viele Menschen schauen auf die Preisentwicklung, insbesondere bei den Energiepreisen, und sorgen sich ganz akut, ob das Geld am Ende des Monats noch ausreicht. Sie sind es, die derzeit die Belastung am stärksten zu spüren bekommen, da sie kaum Spielräume haben, ihr Alltagsleben zu bestreiten, keine Rücklagen haben. Das zeigten erst gestern die aktuellen Berechnungen des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Und nein, der Ausgleich der kalten Progression ist kein geeignetes Mittel, um diesen Menschen akut zu helfen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Wenn wir noch mal auf die Ursachen der aktuellen Inflation schauen, dann stimmt es eben, dass Inflationstreiber – das ist ein weltweites Phänomen – zum Großteil die fossilen Energieträger sind. Deswegen ist es nun einmal sehr berechtigt, Herr Gutting, dass wir von einer fossilen Inflation sprechen. Daher ist es richtig, dass zur Bekämpfung der Folgen und dann auch der Ursachen zunächst einmal genau dort angesetzt wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Genau das macht diese Bundesregierung. In der Koalition haben wir viele Maßnahmen vorgesehen, die die Menschen zielgenau entlasten werden. Zum Teil haben wir erste davon schon auf den Weg gebracht. Dazu gehören – und ich nenne es an dieser Stelle gerne noch einmal – der Heizkostenzuschuss beim Wohngeld und die faire Aufteilung des CO2-Preises beim Heizen zwischen Mietern und Vermietern, die wir angehen und die nebenbei zusätzliche Impulse für Investitionen in energieeffizientes Sanieren bringt und damit ebenfalls den hohen Energiekosten, den hohen Heizkosten entgegenwirkt. Wir bereiten aus der CO2-Bepreisung ein Energiegeld vor. Dazu kommen der Kindersofortzuschlag, die baldige Erhöhung des Mindestlohnes und die baldige Abschaffung der EEG-Umlage, die den Antragstellern hier im Haus in der Vergangenheit ja nicht schnell genug gehen konnte. Gestern haben Sie sie bagatellisiert; da müssen Sie sich auch mal entscheiden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Die EEG-Umlage, damals unter Rot-Grün eingeführt, hat ja dazu gedient, Strom aus Sonne und Wind in den Markt zu bekommen, und sie war sehr erfolgreich. Sie hat im Wortsinn ihren Zweck erfüllt und kann abgelöst werden. Windenergie ist heute mit die günstigste Energieform. Wenn wir viel Windenergie im Netz haben, senkt das den Börsenstrompreis. Daher wäre es – das sage ich mit Blick auf meine Kolleginnen und Kollegen von der CSU – gut gewesen, wenn wir auch bei mir daheim in Bayern einen deutlich höheren Anteil an Windstrom gehabt hätten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das wäre gut für den Klimaschutz, gut für die Versorgungssicherheit, gut für bezahlbare Strompreise. Wir sind gespannt, welche Vorschläge unser bayerischer Ministerpräsident unserem Bundeswirtschaftsminister dazu machen wird; er hat sie ja noch für diesen Monat angekündigt.
Jetzt aber zum vorliegenden Antrag zur kalten Progression. Kalte Progression entsteht immer dann, wenn Gehaltssteigerungen durch die damit einhergehende Erhöhung des Einkommensteuersatzes nicht mehr ausreichen, um die infolge der Inflation gestiegenen Lebenshaltungskosten auszugleichen.
Daraus lässt sich schon ableiten, dass ein Entgegenwirken der kalten Progression eben kein geeignetes Mittel ist, um vor allem die Menschen mit geringem Einkommen, die die aktuelle Inflation besonders hart trifft, gezielt zu entlasten. Der Grund: Sie werden mit ihrem geringen Grenzsteuersatz durch eine einfache Verschiebung im Einkommensteuertarif eben weniger entlastet als Menschen beispielsweise mit hohen Einkommen.
Der Ausgleich der kalten Progression steht also gerade nicht auf der Agenda und muss da auch nicht stehen.
(Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Aha! Da sind wir mal gespannt!)
Denn seit 2012 gibt es ja ein eingeübtes Verfahren: Alle zwei Jahre legt die Bundesregierung einen Progressionsbericht vor, auf dessen Basis dann der Bundestag Änderungen zum Ausgleich vornimmt.
(Olav Gutting [CDU/CSU]: Zu spät!)
Das nächste Mal ist das in diesem Herbst wieder so weit; der Bundesfinanzminister hat es gestern hier im Plenum angekündigt.
Warum also die Aufregung? Ja, natürlich, es ist richtig: Die Schätzung der Inflationsrate im letzten Progressionsbericht lag etwas daneben. Die Inflation im Jahr 2021 war mit 3,1 Prozent deutlich höher als die damals geschätzten 1,2 Prozent – was für einen Normalverdiener übrigens bei der Einkommensteuer eine Unterkompensation von 30 Euro ausmacht, für das ganze Jahr wohlgemerkt. Das ist die Größenordnung, über die wir hier reden.
Zur Wahrheit gehört eben auch, dass in der Vergangenheit durch Änderungen am Einkommensteuertarif oft eine Überkompensation vorgenommen wurde. Hinzu kommt, dass der Bundesfinanzminister gestern hier im Hohen Haus – ich glaube, zu Recht – davor gewarnt hat, dass die einfache Indexierung der Anpassung an die kalte Progression, wie im vorliegenden Antrag vorgesehen, selber wieder inflationstreibend wirken kann.
Ich komme also zum Schluss und sage ganz deutlich: Rasche zielgenaue Hilfe und strukturelle Maßnahmen, um der fossilen Inflation entgegenzuwirken, sind gut und richtig. Genau dies geht diese Bundesregierung an. Aktionismus in Sachen kalte Progression ist dagegen fehl am Platz. Der Bundesfinanzminister hat gestern angekündigt, im Herbst, wenn es wieder ansteht, einen fairen Vorschlag zu machen. Wir werden uns ihn anschauen, dann in der Koalition zusammen darüber beraten, unsere Vorstellungen abgleichen. Ich bin sicher: Wir werden auch hier dann zu einem gemeinsamen guten Verfahren finden.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Janine Wissler [DIE LINKE])
Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Janine Wissler, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)