Rede von Dieter Janecek Inflation

07.07.2022

Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Dr. Wiener, ich würde schon zuraten, auch einen kritischen Blick auf die Einstufung der Taxonomie zu werfen, gerade was das Thema Inflation angeht. Schauen Sie sich die Situation gerade in Frankreich mit der Atomenergie an: Die Hälfte der Kraftwerke ist abgeschaltet. Die Preise explodieren, und die Gaskraft-Spotmarktpreise sind momentan sechsfach. Wir haben also eine Preisexplosion gerade bei diesen Energieträgern. Das jetzt als nachhaltig einzustufen, ist wirklich ein Fehler und führt uns nicht nach vorne. Wir brauchen erneuerbare Energien und Einsparung. Das ist der Weg nach vorne, auch was Inflation angeht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Herr Holm, Sie haben in Ihrem Antrag vorgeschlagen, den Solidaritätszuschlag vollständig abzuschaffen. Er ist aber im letzten Jahr schon für 90 Prozent der Einkommensbezieher abgeschafft worden, und zwar für die unteren 90 Prozent. Was es wiederum helfen soll, die Inflation zu bekämpfen, wenn ich jetzt die restlichen 10 Prozent in der Kaufkraft stärke, das müssen Sie mir noch einmal erklären; das habe ich nicht verstanden. Das macht doch überhaupt keinen Sinn.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Was Sinn macht, ist das, was die Koalition getan hat, nämlich gezielt zu entlasten, insbesondere die, die es nötig haben. Auch das 9‑Euro-Ticket ist in der Fläche ein Riesenerfolg, aber natürlich sind es auch die Zuschüsse für Wohngeldempfänger oder eben für Menschen, die Sozialleistungen beziehen. Dort haben wir gezielt angesetzt, ebenso beim Grundfreibetrag, um auch die Mittelschicht zu entlasten. 30 Milliarden Euro haben wir in kürzester Zeit auf den Weg gebracht. Ich denke, es kann sich sehen lassen, was die Koalition hier auf den Weg gebracht hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Was wir nicht vergessen dürfen: Wir haben einen umfassenden Angebotsschock. Anders als in den USA, wo die Inflation ein Stück weit auch durch staatliches Handeln getrieben ist, durch ein umfangreiches Konjunkturpaket von Joe Biden oder auch durch Störungen im Bereich Dienstleistungen/Industrie, wo die Preise schon angeheizt gewesen sind, ist die Inflation bei uns zentral durch die Entwicklung der Preise für fossile Energie getrieben. Minister Robert Habeck – Staatssekretär Kellner ist jetzt für ihn hier – versucht mit Tatkraft, die Inflation einzudämmen, indem er – das haben wir heute und morgen auch noch einmal – acht Gesetzespakete auf den Weg bringt, um zu diversifizieren, Energieeinsparung zu ermöglichen, erneuerbare Energien voranzubringen, damit wir uns nicht mehr so abhängig von dieser AfD-Inflation machen. Denn das ist es doch am Ende, was wir haben: Sie haben doch immer gefordert, dass wir abhängig sind von Russland. Das war der Fehler, und das wollen wir nicht mehr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Nun ist die Inflation eine hohe Belastung für viele Menschen, zum Beispiel beim Einkaufen, aber auch bei der Frage des Urlaubs. Wenn jemand jetzt über den Winter eine Gaskostenrechnung hat, die 2 000 bis 3 000 Euro höher sein könnte – ein Durchschnittswert bei einer 120-Quadratmeter-Wohnung für vier Personen –, dann ist das für viele Menschen ein Monatsgehalt; für manche ist es sogar noch mehr. Das ist sozialer Sprengstoff. Darüber, wie wir da im Herbst herangehen, werden wir auch noch einmal reden müssen.

Vorrangig ist die Aufgabe, zu schauen, wie wir, da wir auf der einen Seite in die Verschuldung gehen, so investieren können, dass wir in der Zukunft handlungsfähig bleiben. Darum geht es jetzt mit diesen Paketen der Energiewende, mit diesen Entlastungspaketen, die wir auf den Weg gebracht haben: auf der einen Seite Geld zielgerichtet ausgeben, aber es auf der anderen Seite entschlossen in die Zukunft investieren, damit wir nicht mehr in solche Abhängigkeiten geraten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Jetzt ist es, was die Union angeht, immer so, dass zum Beispiel von Ihnen, Dr. Wiener, die Reden differenziert sind; aber die Anträge sind nicht so differenziert. Bei der Frage der Energiesteuersenkungen zum Beispiel führt das dazu – wenn ich das ausrechnen würde, würden wir wahrscheinlich von 40 Milliarden Euro sprechen –, dass wir einfach nur Kosten senken, wenn wir die Steuern in diesem Bereich senken. Die Mitnahmeeffekte, die wir zu erwarten hätten,

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Tankrabatt!)

müssen wir im Blick haben. Auch die Frage, ob es sinnvoll ist, gerade Energie für breite Gesellschaftsschichten günstiger zu machen, was wiederum einen Nachfrageeffekt schafft, muss man stellen. Man muss infrage stellen, ob das ein richtiger Weg ist, um die Inflation zu bekämpfen.

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Erklären Sie das mal den Leuten!)

Ich glaube, es ist besser, zielgerichtet zu helfen, als zu sagen: Wir gehen bei den Energiesteuern auf ein Niveau, das Sie fordern; das scheint mir nicht vernünftig zu sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Die Inflation ist natürlich ein Thema, das uns auch im Bereich der Wertschöpfungsketten und Lieferketten ereilt. Wir haben nicht nur hohe Energiepreise. Wir haben schon seit Beginn der Coronapandemie – Stichwort „China, Zero Covid“ – die Problematik, dass auch Handelsketten ein Stück weit gestört sind, weil ganze Märkte sich abschotten bzw. durch Handeln einzelner Länder abgeschottet werden. Die Containerschiffe stauen sich ja nicht nur vor Schanghai, sondern jetzt auch in der Nordsee. Das können wir nicht kurzfristig beeinflussen. Deswegen ist es auch richtig, dass die Bundesregierung eine neue progressive Handelsstrategie auf den Weg bringt und sagt: Wir müssen uns mit mehr Partnern in ein Boot setzen, am besten mit Partnern, mit denen wir gemeinsame Werte haben, damit wir verlässlicher gestalten können, auch im Bereich der Handelspolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Nicht zuletzt heißt das natürlich für uns auch, all die Investitionen in den Bereichen Automatisierung, Digitalisierung, Fortschritt und Innovation nach vorne zu bringen. Auch wenn wir jetzt in einer Krisensituation sind, dürfen wir bei den Investitionen nicht nachlassen. Deswegen: Zum jetzigen Zeitpunkt zu sagen, die Schuldenbremse sei sakrosankt, ist nicht der zwingende Weg. Darüber werden wir möglicherweise im Herbst noch einmal reden müssen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Am Ende wird es davon abhängen, dass wir die Zukunftsinvestitionen nach vorne stellen. Wenn uns das gelingt, dann können wir auch in dieser Fortschrittskoalition gegen den Abstieg kämpfen.

(Zuruf von der AfD: Schuldenkoalition!)

Das ist genau das, was wir tun und was wir in den letzten Wochen und Monaten getan haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Sozial zu handeln, zielgerichtet zu investieren und ökonomisch das zu unterlassen, was gar keinen Sinn ergibt, nämlich dort zu entlasten, wo es die Menschen gar nicht nötig haben und damit Nachfrage zu stimulieren und die Inflation weiter anzutreiben – das war der vernünftige Kurs der letzten Wochen und Monate. Diesen wollen wir gemeinsam beibehalten; darum geht es jetzt.

Es ist eine schwierige Zeit – das müssen wir immer wieder betonen – für viele Menschen in diesem Land. Deswegen ist es wichtig, gezielt dort zu entlasten, wo es notwendig ist. Aber es ist nicht notwendig, jetzt in die Breite zu gehen und zu sagen: Jeder muss das tragen können. – Vielmehr müssen wir jetzt handeln und vorankommen; darum geht es.

Ich danke Ihnen für diese Diskussion.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Für Die Linke erhält jetzt das Wort Christian Görke.

(Beifall bei der LINKEN)