Jamila Schäfer MdB
07.09.2023

Jamila Schäfer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bisher war immer klar, dass demokratische Politikerinnen und Politiker in Deutschland keine Missverständnisse entstehen lassen dürfen, wenn es um Antisemitismus oder die Verurteilung der NS-Verbrechen und der Shoah geht.

An diesem demokratischen Grundkonsens wird gerade gerüttelt, leider nicht nur von Hubert Aiwanger, sondern auch von einem Markus Söder, der aus Angst vor Stimmenverlust eine von Hubert Aiwanger ausgelöste Diskursverschiebung mitmacht und ihn für sein Verhalten auch noch belohnt.

(Philipp Amthor [CDU/CSU]: Landtagswahlkampf in Bayern!)

– Ich weiß, dass Sie das nicht gern hören wollen; aber das ist einfach eine wichtige Tatsache, die unsere Innenpolitik in diesen Zeiten prägt.

Damit meine ich übrigens nicht, dass ein 17-jähriger Hubert Aiwanger auf rechtsradikalen Irrwegen nicht den Weg zurück zu einem aufrechten Demokraten hätte gehen können. Damit meine ich, dass ein 52-jähriger Hubert Aiwanger, der weiterhin krude rechtsradikale Märchen verbreitet, um auf Stimmenfang zu gehen, große Zweifel hinterlässt, ob er den aufrechten Weg zu einem Demokraten jemals gegangen ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Eigentlich wäre es ja die Aufgabe einer jeden Regierung in dieser Republik, dafür zu sorgen, dass man die schützende Hand über all diejenigen hält, die durch völkische Narrative und durch Antisemitismus ausgegrenzt, entmenschlicht und angegriffen werden. Ich schäme mich, ehrlich gesagt, als Bayerin dafür, dass unsere Landesregierung dafür nicht mehr im Kreuz hatte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das zeigt nicht nur die Orientierungslosigkeit des bayerischen Konservatismus; es zeigt auch, wie unvorstellbar groß die Herausforderung für alle Demokratinnen und Demokraten in Deutschland ist,

(Zuruf des Abg. Jörn König [AfD])

die zivilisatorischen Errungenschaften des Grundgesetzes in den kommenden Jahren und Jahrzehnten hochzuhalten. Ich plädiere an alle Konservativen mit historischem Bewusstsein: Helfen Sie mit! Ohne Sie werden wir es nicht schaffen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])

In dieser gesellschaftlichen Lage brauchen wir einen Einzelplan des Bundesinnenministeriums, der den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt und in unsere Sicherheit investiert. Unser Ziel muss sein, unsere Demokratie gegen Angriffe von innen und außen zu schützen. Deshalb ist es gut, dass das im Einzelplan 06 trotz einer schwierigen Haushaltslage an vielen Stellen gelungen ist. Trotzdem sind – das gehört zur Ehrlichkeit dazu – zum Beispiel die Kürzungen bei den Wohlfahrtsverbänden und bei der Migrationsberatung angesichts dieser Herausforderungen, die ich beschrieben habe, besonders schmerzhaft.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Sie sind falsch!)

Das ist auch der Union aufgefallen; das finde ich besonders spannend. Thorsten Frei zum Beispiel hat gestern gesagt, dass er die Kürzungen bei der Migrationsberatung falsch findet.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Absolut!)

Das finde ich gut, weil Sie im letzten Jahr im Integrationsbereich nur Kürzungsvorschläge gemacht

(Josef Oster [CDU/CSU]: Falsch!)

und auch im Parlament unsere Erhöhung bei der Migrationsberatung abgelehnt haben. Aber ich freue mich immer über Fortschritt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Die Freie Wohlfahrtspflege und alle, die in der Migrationsberatung dafür sorgen, dass neu ankommende Menschen einen Wohnort, einen Kinderbetreuungsplatz, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz finden,

(Stephan Brandner [AfD]: Hotelzimmer!)

tun sehr, sehr viel mehr für das Gelingen der Integration als Politiker, die fälschlicherweise suggerieren, man könnte Zuwanderung einfach so abstellen. Statt solcher Scheindebatten müssen wir dafür sorgen, finde ich, dass so schnell wie möglich aus Flüchtlingen, die eine Berechtigung haben, hierzubleiben, Steuerzahler/-innen werden

(Stephan Brandner [AfD]: Klappt nur nicht!)

und Unternehmen Arbeits- und Fachkräfte finden. Die Integration hilft der Wirtschaft dieses Landes. Die ständige Abschottungsrhetorik der CDU/CSU ist dagegen wirtschaftsfeindlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Natürlich müssen wir auch den Zivilschutz und die sicherheitsbezogenen Ausgaben bei diesen Haushaltsberatungen im Blick haben. Der Angriffskrieg auf die Ukraine, die innenpolitischen Herausforderungen und die Zunahme von Extremwetterereignissen führen dazu, dass die Aufgaben in diesem Bereich nicht kleiner geworden sind. Hier kommt es darauf an, die Haushaltsmittel gezielt so einzusetzen, dass die Handlungsfähigkeit des Zivilschutzes, des THW und des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und natürlich auch von Behörden wie dem Bundeskriminalamt sichergestellt ist.

Auch beim Sport wissen wir: Gezielter Einsatz und innovativer Gebrauch von Förderung führt dazu, dass wir sportliche Talente weiter fördern und dieses Land voranbringen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörn König [AfD]: Führt zu Goldmedaillen bei der Leichtathletik!)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollegin Schäfer, ich habe die Uhr angehalten. – Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Vogler?

Jamila Schäfer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja.

Kathrin Vogler (DIE LINKE):

Vielen Dank, Frau Kollegin Schäfer, dass Sie meine Zwischenfrage oder -bemerkung zulassen. – Sie haben ja gerade sehr viel Richtiges und Wichtiges zum Thema Integration von Geflüchteten in die Gesellschaft gesagt. Das kann man alles nur unterschreiben. Wie passt dazu, dass diese Bundesregierung die Ausgaben für die psychosozialen Beratungsstellen für geflüchtete Menschen so kürzen will, dass viele Programme, insbesondere für Kinder und Jugendliche, aber eben auch für schwer traumatisierte Personen, nicht mehr fortgeführt werden können und in der Folge der Bedarf, der jetzt schon kaum gedeckt werden kann, in Zukunft wahrscheinlich nicht mehr gedeckt werden kann und insbesondere auch innovative, neue Programme wieder eingestellt werden müssen? Es scheint so zu sein, dass aus der richtigen Erkenntnis, dass wir viel in Integration investieren müssen, um es den Menschen zu ermöglichen, arbeitsfähig zu werden und ihren eigenen Beitrag für unsere Gesellschaft zu leisten, in diesem Haushaltsplan nicht die richtigen Schlüsse folgen und diese Erkenntnis nicht mit entsprechenden Finanzmitteln untersetzt ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Jamila Schäfer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Frau Kollegin Vogler. – Sie haben wichtige Themen angesprochen, und ich kann Ihnen versprechen, dass wir diese Themen in diesen Haushaltsberatungen natürlich berücksichtigen werden. Ich habe aber auch die schwierige Lage angesprochen. Deswegen kann ich Ihnen natürlich noch nicht sagen, wie unsere Handlungsspielräume aussehen werden. Aber ich freue mich da auch auf konstruktive Anregungen aus Ihrer Fraktion.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. – Es liegt jetzt an uns, in diesem Sinne in konstruktive Haushaltsberatungen einzusteigen. Ich freue mich auf den Austausch mit unseren Berichterstatterkolleginnen und -kollegen und auch dem Bundesinnenministerium dazu. Packen wir es an!

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Philipp Hartewig [FDP])

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gottfried Curio für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)