Foto von Konstantin von Notz MdB
07.09.2023

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegin Schäfer hat es gesagt: Wir schauen durchaus differenziert auf diesen Haushalt, der nicht unkompliziert ist. Es gibt große Erfolge, gerade in der Gesellschaftspolitik: Fachkräfteeinwanderungsgesetz, Selbstbestimmungsgesetz, Staatsangehörigkeitsgesetz. Wir geben Geld für Integration aus, stärken die Cyberabwehr und machen viele Dinge in schwierigen Zeiten sehr richtig. Das ist eine gute Sache. Und ich sage auch – um der Union meine Konstruktivität zu beweisen –: Beim Katastrophenschutz oder beim E-Government sehen auch wir durchaus Diskussionsbedarf, und dafür sind die Beratungen ja da. Das werden wir gemeinsam angehen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Josef Oster [CDU/CSU]: Gut!)

Mich besorgt in dieser Debatte – deswegen thematisiere ich das jetzt – das innenpolitische Klima in diesem Land. Bei all den Diskussion, die hier die ganze Zeit subtextartig laufen, sage ich nicht, dass Sie keine ordentliche, harte Oppositionsarbeit machen; es ist gut, wenn Sie in diese Rolle finden, wenn Sie die Regierung kritisch hinterfragen. Aber das Ding ist: Sie überziehen in einer solchen Art und Weise, auch im Ton. Sie kultivieren ein plattes Feindbild von drei anderen demokratischen Parteien in diesem Haus, der Ampel, die den Untergang des Abendlandes einleiten. Das ist einfach schädlich, was Sie machen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Oberlehrerhaft!)

Diese vollkommen überzogene Rhetorik geht an der Sache vorbei. Und ich sorge mich. Unter Merkel gab es noch Maß und Mitte, aber jetzt ist der Pfropfen runter und Sie können mal wieder voll abledern. Was glauben Sie eigentlich, wem das hilft in diesen Zeiten, wenn Sie demokratische Parteien schlechtreden? Ihnen hilft es nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Sie Oberlehrer! – Alexander Throm [CDU/CSU]: Sie merken gar nicht, dass Sie die Ursache sind! Gerade durch solche Reden!)

– Und da Sie hier schon so herumkrakeelen, Herr Throm: Während Sie das machen, treffen sich Ihr Hans-Georg Maaßen und die WerteUnion mit der AfD im stillen Kämmerlein und führen Sondierungsgespräche.

(Alexander Throm [CDU/CSU]: Wer macht jetzt demokratische Parteien schlecht? Sie! Sie!)

Das ist eine Schande, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Frau Wittmann, es tut mir leid, aber man muss in diesen Tagen auch über Antisemitismus in diesem Land reden, gerade in der Innenpolitik.

(Stephan Brandner [AfD]: Das hört sich nicht nach Schwarz-Grün an!)

Der Judenhass in diesem Land – man muss es beklagenswerterweise häufig sagen – tritt in ganz unterschiedlicher Weise zutage.

(Stephan Brandner [AfD]: Claudia Roth!)

Es gibt den Antisemitismus in der Kunst. Auf der Documenta in Kassel haben wir das gesehen; das war beklagenswert. Es gibt den unsäglichen Al-Quds-Marsch in Berlin. Es gibt die rechtsextremistischen Burschenschaften. Es gibt die Reichsbürger. Überall krasser Antisemitismus.

(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die AfD!)

Es gibt jeden Tag in Deutschland schwere antisemitische Taten. Das ist im Land der Shoah entsetzlich, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Es gibt aber eben auch den Konsens in diesem Land, dass wir von den demokratischen Parteien eine glasklare Haltung gegenüber Antisemitismus haben. Das ist Teil der Staatsräson dieses Landes für alle demokratischen Parteien. Das Problem von Herrn Aiwanger ist nicht, was er vor 35 Jahren gemacht hat. Die Frage ist, was er heute als stellvertretender Ministerpräsident, als ein hoher Repräsentant dieses Landes macht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Dafür hat Herr Söder die Benchmark gesetzt, und die Benchmark für diese Klarheit und Glaubwürdigkeit waren 25 Fragen – 25 Fragen! –, und Herr Aiwanger – das kann selbst die AfD verstehen – hat diese Fragen nicht beantwortet.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Übrig bleibt ein riesiges Glaubwürdigkeitsdelta. Das ist ein Problem für die Erinnerungskultur in diesem Land.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Die FDP liegt bei 3 Prozent, eine AfD bei über 15 Prozent! Machen Sie so weiter!)

Ich zitiere nur ungern, aber ich tue es: Der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer attestierte gestern in der „Jüdischen Allgemeinen“ im Fall Aiwanger einen Tiefpunkt in der Geschichte der deutschen Erinnerungskultur. Er sagte – ich zitiere –: „Im Rückblick wird die Affäre Aiwanger-Söder als ein Wendepunkt in der Erinnerungskultur angesehen werden.“ Und weiter heißt es: Zimmerer sei überzeugt, es zeige sich die „Sehnsucht vieler Deutscher nach einem Schlussstrich“. Das darf doch nicht sein, meine Damen und Herren von der CSU.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Das kann man doch nicht hinnehmen. Da kann doch Herr Merz nicht sagen: Das ist „bravourös“ gelöst.

Weil ich sehe, dass viele von Ihnen dabei ein schlechtes Gefühl haben:

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der AfD – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Bei Ihnen haben wir ein schlechtes Gefühl!)

Drehen Sie diese Entscheidung um! Kehren Sie zur Staatsräson, zu diesem Grundkonsens, zu uns Demokraten zurück!

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Das ist eine Unverschämtheit, was Sie hier machen!)

Dazu fordere ich Sie auf.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Abgeordnete Marcus Bühl für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD sowie des Abg. Matthias Helferich [fraktionslos])