Rede von Ulle Schauws Internationaler Frauentag

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05.03.2021

Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute erleben wir voraussichtlich die letzte Debatte zum Internationalen Frauentag mit Angela Merkel als Kanzlerin. Heute hätte ein Tag sein können, an dem Sie als Kanzlerin und Sie als Bundesregierung sich hätten dafür feiern lassen können, dass Sie es waren, die mit verkrusteten Strukturen aufgeräumt und der Gleichberechtigung einen richtigen Schub nach vorne hatten geben können, so wie es in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes gemeint ist mit dem Auftrag des Staates.

Auch wenn ich der Opposition angehöre: Ich hätte Ihnen diesen Erfolg gegönnt – für die Frauen und Mädchen in unserem Land. Denn wir müssen so dringend vorankommen in Deutschland. Das sehen wir jetzt so deutlich wie nie. Die Pandemie zeigt uns als Gesellschaft schmerzhaft auf, dass der Weg zu echter Gleichberechtigung noch weiter ist.

Dieser Stillstand bei den Geschlechterverhältnissen kann frustrieren. Dabei brauchen wir die vielen Frauen, die sich in unserer Gesellschaft, in den vielen Frauenorganisationen, aber auch in der Kultur und überall jeden Tag neu engagieren und für Gleichberechtigung kämpfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sollten ihren Kampf hier abbilden und als Politik entschlossen handeln. Denn was getan werden muss, ist ziemlich klar, meine Damen und Herren. Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Handlungsproblem. Diese Verhaltensstarre geht auf Kosten der Frauen. Damit muss Schluss sein! Was zu tun wäre, können Sie aktuell auch wieder im Wahlprogramm der SPD lesen und in den Zeitungen der letzten Tage. Dort steht etwa, dass Sie das Ehegattensplitting abschaffen wollen und dass Sie § 218 aus dem Strafgesetzbuch streichen wollen. Das lesen wir.

Absolute Zustimmung zu diesen Forderungen, aber warum erst jetzt, Frau Giffey?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sind in der Regierung, Sie hätten das seit drei Jahren angehen können.

(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Sie bereiten sich schon mal auf Schwarz-Grün vor!)

Statt Taten erleben wir viele Verzögerungen, zum Beispiel beim lange angekündigten Gleichstellungsinstitut, das gerade in der aktuellen Coronakrise hätte so wichtig sein können

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das kommt jetzt auf den letzten Drücker. Das ist schade; denn die Forderung, Frauen von Anfang an in der Pandemiekrise an den Tisch zu holen, haben Sie weder für sich selber noch für andere Frauen, zum Beispiel die Forscherinnen, gefordert. Das war ein echter Fehler.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Oder nehmen wir die Frage der Repräsentanz von Frauen in der Politik. Der aktuelle Frauenanteil liegt bei unter einem Drittel: bei 31 Prozent. Das ist beschämend niedrig und verlangt gesetzliche Maßnahmen. Auch hier: nichts passiert. Noch nicht mal eine Kommission, die sich über Jahre mit dieser Frage auseinandersetzen soll, wurde bisher eingesetzt. Wir Grünen wollten eine Kommission genau für die Parität, und die haben Sie abgelehnt.

Wir als Grüne wissen aus unserer eigenen Arbeit, was es heißt, paritätische Strukturen zu haben, und wir werden nicht nachlassen, dafür zu kämpfen, dass Parität auch in allen Parlamenten kommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, was es braucht, ist eine feministische Regierung, die Gleichstellung als zentrales Demokratiethema versteht und es durchgängig im Regierungshandeln umsetzt. Dazu gehören konsequentes Gender-Mainstreaming und Gender-Budgeting, wie wir es in unserem Grünenantrag „Geschlechtergerecht aus der Corona-Krise“ schon lange gefordert haben.

Wie das konkret aussehen kann, zeigt die neue Biden/Harris-Administration: Das Weiße Haus macht Gleichstellung jetzt zur Chefsache und schafft einen Gender Policy Council. In jedem Haus gibt es Verantwortliche, die über ihre messbaren Anstrengungen für die Weiterentwicklung von Gendergerechtigkeit innerhalb der Ministerien dem Gender Policy Council Bericht erstatten. Darüber liegt ein Plan zur Bekämpfung geschlechterbasierter Gewalt. Und es gibt ebenso einen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Frauen. Was ich bemerkenswert finde: Ein besonderer Fokus liegt auf der Finanzierung von Care-Arbeit bei der Umsetzung des Programms zur wirtschaftlichen Erholung nach der Pandemie. Mit diesem Plan werden Care-Berufe in der Form ernst genommen, wie sie es in den USA, aber auch weltweit verdient hätten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich frage Sie: Wo ist Ihr Plan zur Begleitung des Strukturwandels nach der Coronakrise? Was sind Ihre Antworten auf die Frage, wie wir verhindern können, dass Frauen zu Verliererinnen dieser Pandemie werden? Es ist so bitter für die Frauen nach all diesen Versprechen, aber ich erkenne: Ihnen fehlt der Wille, solche Pläne zu haben und umzusetzen. Hier klafft eine ganz große Lücke, und das ist echt frustrierend für die Frauen in diesem Land.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, eine unserer Antworten als Grüne auf die drängenden Fragen in den letzten Jahren und besonders unter Corona lautet: „Don’t fix the women, fix the system!“, also: Repariere nicht die Frauen, repariere das System! Denn darum geht es, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wir werden alles dafür tun, die strukturellen Hindernisse, die es noch gibt, aus dem Weg zu räumen: Wirksame Entgeltgleichheit statt Entgelttransparenz, wirksame Frauenquoten statt unverschämte Zielgrößen null oder „Thomas-Kultur“, Parität in den Parlamenten, der Wirtschaft, der Kultur statt mutlosem Stillstand, Modelle für Arbeitszeiten, die die Vereinbarkeit für Frauen und Männer ermöglichen und nicht behindern, und endlich Schluss mit dem Selbstverständnis, Frauen die Zuständigkeit bei der Sorge von Kindern und Pflege zuzuschreiben!

Die Zeit für überkommene Rollenbilder und die Zeit, in der über Frauen hinweggegangen werden kann, ist vorbei. Es ist die Zeit für einen großen Wurf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen ran ans Patriarchat. Es gibt viel zu gewinnen, und zwar für alle.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Jetzt hat das Wort die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Franziska Giffey.

(Beifall bei der SPD)