Merle Spellerberg
12.10.2022

Merle Spellerberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sehen gerade Menschen im Iran, die angeführt von mutigen Frauen ihr Leben riskieren, um für

ihre Freiheit und ihre Rechte, um gegen einen repressiven und massiv gewaltvollen Staat zu kämpfen, die den Tod von Jina Mahsa Amini nicht einfach hinnehmen,

die kämpfen trotz ihrer Angst, dass ihre Freundinnen, ihre Schwestern, ihre Kinder nicht lebend von einem Protest nach Hause kommen. Diese Angst wird zu Wut, zu

Mut und zu Wandel, zu einer Revolution, in der Tausende Menschen – es wurde schon angesprochen –, von jungen Schülerinnen bis zu Arbeitern aus der Ölindustrie,

jeden Tag im gesamten Land gegen das unterdrückende Regime kämpfen.

Liebe Unionsfraktion, ich freue mich, dass wir an dieser Stelle über das Thema sprechen können, aber ich finde es schon amüsant, dass Sie es nicht

schaffen, in Ihrem Antrag über eine feministische Außenpolitik zu sprechen. Ich finde, es zeigt in einem gewissen Rahmen das tiefgreifende Missverständnis von

feministischer Außenpolitik, wenn Sie denken, dass Sie „feministisch“ mit „frauenorientiert“ austauschen können. Das zeigt, dass einige von Ihnen denken, dass

dieser Ansatz irgendwie zu unterkomplex oder der falsche wäre.

(Dr. Katja Leikert [CDU/CSU]: Erläutern Sie mal!)

Aber eine feministische Außenpolitik zielt eben darauf ab, ungerechte Machtstrukturen und menschliche Unsicherheit zu erkennen, zu benennen und zu

durchbrechen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Und genau das sehen wir in den feministischen Protesten im Iran. Das betrifft natürlich Frauen, aber eben auch andere Gruppen von Menschen, die in

unseren gesellschaftlichen Systemen, hier genau wie dort, immer wieder den Kürzeren ziehen und immer wieder bewusst unterdrückt werden;

(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

und das sind eben nicht nur Frauen.

Die Kollegin Türk-Nachbaur hat es gerade angesprochen: Es hat schon einen bitteren Beigeschmack, wenn Sie uns über feministische Politik belehren

wollen, obwohl man in Ihrer Politik – ich wünschte, es wäre anders – häufig kein Interesse erkennen kann, den Status quo von Ungerechtigkeit zu ändern; das

Stichwort „Sozialtourismus“ wurde genannt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Wir als Partei von Angela Merkel müssen uns das nicht sagen

lassen!)

Und deswegen möchte ich ganz klar sagen, dass wir eben keine frauenorientierte Außenpolitik wollen, wir wollen eine feministische Außenpolitik. Das

ist ein Unterschied.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Zuruf von der AfD: So ein Blödsinn!)

Auch im Iran sehen wir keine frauenorientierten Proteste, sondern feministische Proteste. Menschen aus den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft

stehen Seite an Seite der Frauen und riskieren ihr Leben, weil sie wissen, dass es nicht nur darum geht, wer wann wo ein Kopftuch trägt, sondern darum, ein

unterdrückendes Regime zu stoppen, darum, Freiheit und Selbstbestimmung für alle Menschen zu erwirken.

An die Menschen im Iran: Wir hören euch, wir sehen euch, wir stehen an eurer Seite. Wir trauern mit euch um die Liebsten, die ihr verloren habt. Wir

geben alles, um eure Stimme in die Welt zu tragen und den Blick der Welt weiter auf euch zu richten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Ich schließe die Aussprache.