Rede von Dr. Anton Hofreiter Jahreswirtschaftsbericht 2021

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28.01.2021

Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wahrscheinlich war in einer Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht nie so eindeutig, was die Prioritäten für die nächsten Wochen und Monate sein müssen.

Die erste Priorität ist, alles, aber auch wirklich alles dafür zu tun, die Impfgeschwindigkeit zu beschleunigen. Es gibt aktuell für unser Land, für Europa, ja, für die ganze Welt keine wichtigere Aufgabe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])

Angesichts der enormen Kosten des Lockdowns ist die beste Wirtschaftspolitik, alle Ressourcen zu mobilisieren, um endlich ausreichend Impfdosen zu produzieren. Jeder Monat im Lockdown kostet uns 10 Milliarden Euro, 500 Millionen Euro pro Arbeitstag, und das nur für Deutschland. Wir müssen jetzt klare Signale für eine maximale Ausweitung der Produktionskapazitäten setzen,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

und dies am besten global. Aber Europa muss da sofort vorangehen. Wir können in den nächsten Monaten, vielleicht Jahren gar nicht genug Impfstoff haben, zumindest global nicht.

Klar ist angesichts der gefährlichen Mutationen mehr denn je, dass wir Covid-19 erst besiegt haben, wenn wir Covid-19 weltweit besiegt haben. Dafür müssen wir jetzt massiv Finanzmittel zur Verfügung stellen. Wir können eigentlich, wenn man ehrlich ist, dafür kaum zu viel Geld ausgeben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Timon Gremmels [SPD] – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das stimmt!)

Dafür müssen wir jetzt ideologiefrei jedes Instrument prüfen. Kooperation hat natürlich Vorrang. Aber auch verpflichtende Vergaben von Lizenzen müssen jetzt auf den Tisch. Dafür braucht es eine globale Taskforce bei der G 20. Mit der neuen Biden-Regierung sind die Chancen dafür so gut wie lange nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Leider habe ich Zweifel, dass Sie, liebe Bundesregierung, das mit dem nötigen Nachdruck verfolgen. Anfang Januar hat die Kanzlerin endlich eine Arbeitsgruppe dazu eingesetzt. Seitdem hat man davon nichts mehr gehört. Ich kann Sie nur auffordern: Machen Sie das zur allerhöchsten Priorität! Folgen Sie der Devise „Whatever it takes“!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])

Und auch die zweite Priorität ist eigentlich klar: eine stringente Pandemiebekämpfung. Wieder wird der Widerspruch zwischen Pandemiebekämpfung und Wirtschaft bemüht. Und kaum sinken die Zahlen, rufen die Ersten schon wieder nach Lockerungen. Das ist falsch und vorschnell.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Wirtschaft braucht nachhaltige Lockerungen, keine voreiligen. Denen geht es um Verlässlichkeit, um Planbarkeit, um eine Perspektive. Wenn wir zu früh lockern, dann haben wir doch in kürzester Zeit wieder Zahlen, die völlig außer Kontrolle geraten sind. Das haben wir doch inzwischen in Dutzenden von Ländern weltweit erlebt. Deshalb: Lassen Sie uns noch einige Wochen klar auf Kurs bleiben!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit das klar ist: Eine Beibehaltung des Shutdowns darf keine Ausrede sein, anderes nicht zu tun. FFP2-Masken für alle zu günstigen Preisen, endlich Luftfilter in den Schulen, die Digitalisierung der Gesundheitsämter voranbringen und massenhaft Schnelltests strategisch einsetzen: All das muss jetzt kommen, schnell und mit Nachdruck.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Sorgen Sie endlich für eine schnellere Auszahlung der Hilfen! Sorgen Sie endlich für eine echte Existenzsicherung für Selbstständige! Und sorgen Sie endlich für ein Mindestkurzarbeitergeld!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz alledem bleibe ich Optimist: Wir werden diese Pandemie dank Wissenschaft, dank modernster Technologie in diesem Jahr in den Griff bekommen. Danach steht unser Land vor weiteren großen Herausforderungen: Klimaneutralität, Digitalisierung, der Wettbewerb mit China, die neue Zusammenarbeit mit den USA, die Modernisierung unserer Infrastruktur und Verwaltung. Das Jahrzehnt nach dieser Pandemie muss eine Dekade des Aufbruchs, eine Dekade der Gestaltung und der Modernisierung werden. Dazu brauchen wir eine gemeinsame Kraftanstrengung von Staat, Wirtschaft, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und der gesamten Gesellschaft. Dafür brauchen wir mehr Investitionen, private, aber auch öffentliche.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Staat muss mehr investieren in Breitband, in Quantencomputer und Spitzenforschung, in neue Schienen, in Ladesäulen, Wasserstoffinfrastruktur, in Schulen und Kitas. Die Rufe danach aus der Industrie, aus der Gewerkschaft sind laut und eindringlich. Hören Sie endlich darauf!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihr Kanzleramtsminister Helge Braun hatte am Dienstag in Ihren Augen die Unverschämtheit, eine offenkundige Wahrheit auszusprechen. Wir werden nach der Coronapandemie und angesichts dieser Herausforderung nicht einfach zur alten Schuldenbremse zurückkehren können. Ich kann ja verstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, dass kurz vor dem Wahlkampf Ihnen das recht ungelegen kam. Aber ich bitte Sie: Lassen Sie uns eine offene, eine an der Sache orientierte Debatte dazu führen. Eine Vielzahl von Ökonomen, die Experten der OECD, die Gewerkschaften, die Industrie, sie alle sagen: Lasst uns die Schuldenbremse beibehalten, aber sinnvoll weiterentwickeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir schlagen dazu eine Investitionsregel vor. Das ist nachhaltige Haushaltspolitik und eine ganzheitliche Betrachtung auf der Höhe der Zeit. Lassen Sie uns das gemeinsam anpacken, getreu dem Motto: „Erst kommt das Land und dann das Partei- oder Fraktionsdogma“!

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele Katzmarek, SPD.

(Beifall bei der SPD)