Dr. Till Steffen
01.02.2024

Dr. Till Steffen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Das ist das Ihnen allen bekannte Zitat von Herrn Böckenförde, das Böckenförde-Diktum.

(Fabian Jacobi [AfD]: Der gute Mann hat noch vieles Richtige gesagt, das Sie nicht so gerne zitieren wollen!)

Er will uns damit sagen: Es gibt eben keine höhere Macht, die uns schützt, die garantiert, dass der Rechtsstaat immer da ist, sondern er muss immer wieder neu erschaffen werden, immer wieder neu begründet werden, immer wieder neu verhandelt werden in der Gesellschaft, und er braucht natürlich auch den gesellschaftlichen Rückhalt; das ist ganz wichtig.

Es gibt natürlich Anlass, darüber nachzudenken, wie stabil unser Rechtsstaat ist. Ich kann mich noch genau erinnern: Als ich damals als Justizsenator von Hamburg auf der Justizministerkonferenz 2019 dazu aufforderte, etwas zur Stabilisierung des Rechtsstaates zu machen, war die Haltung der Kolleginnen und Kollegen ganz überwiegend: Hier gibt es eigentlich nichts zu sehen, gehen Sie weiter! – Also: Bloß nicht drüber reden, das wollen wir gar nicht anfassen und so tun, als ob. – Das ist aber mittlerweile anders. Ich finde gut, dass man sorgfältig darüber nachdenkt. Natürlich finde ich nicht gut, dass wir mittlerweile mehr Anlass dazu haben. Die Beispiele aus anderen Staaten machen deutlich, dass es ganz schnell gehen kann, einen Rechtsstaat zu einem Unrechtsstaat zu machen, einen Rechtsstaat so kaputtzumachen, dass tatsächlich der Rechtsstaat nicht mehr stattfindet.

Was sind die Maßnahmen, die man ergreifen muss? Als Erstes ist das Vertrauen in die Justiz zu stärken.

(Fabian Jacobi [AfD]: Warum tun Sie dann das Gegenteil?)

Die vom Bundesjustizministerium bei Frau Nöhre in Auftrag gegebene Studie hat sehr klare Erkenntnisse erbracht. Der Befund ist, dass viele Leute sagen: Mir dauert das Verfahren bei Gericht zu lang, es ist mir zu ungewiss, und es ist mir zu teuer. – Das sind natürlich drei Faktoren, die man sich sehr genau anschauen muss. Und deswegen ist es wichtig, dass wir schneller und digitaler werden und uns stärker an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger orientieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir haben schon über die Digitalisierung diskutiert. Ich habe an dieser Stelle schon mal gesagt: Ich könnte mir auch vorstellen, dass man noch was obendrauf legt. Aber das Gute ist, dass jetzt eine ganze Reihe konkreter Projekte, die wirklich was bringen, mit den Ländern gemeinsam vorangebracht wird. Der Bund nimmt Geld in die Hand, und die Länder setzen das dann um. Das ist ein höchst sinnvoller Weg. So sollte es tatsächlich sein. Ich freue mich sehr, dass wir an dieser Stelle angelangt sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Thorsten Lieb [FDP])

Am Anfang haben die Länder gedrängt, und der Bund war noch nicht ganz sortiert. Aber es ist nicht nur eine Frage des Geldes, ob man bei der Digitalisierung vorankommen will, sondern es hängt auch davon ab, ob man bereit ist, gewohnte Verhaltensweisen zu verändern. Wenn ich mir anschaue, welche Vorhaben angegangen werden, dann beschleicht mich manchmal der Verdacht, dass die Länder sehr stark auf der Bremse stehen. Aber ich hoffe doch sehr, dass wir in der Lage sind, in vernünftigen Gesprächen im Vermittlungsausschuss zum Beispiel über die Dokumentation der Hauptverhandlung und die Videoverhandlung in Zivilverfahren – das kann dazu beitragen, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu stärken, und setzt genau an den Stellen an, deren Bedeutung diese Studie gezeigt hat – voranzukommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Aber es geht auch um den Schutz vor Angriffen von innen und außen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir sehr sorgfältig darauf achten, dass Extremisten nicht auf der Richterbank sitzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir hatten ja aufgrund eines Falls in Sachsen Anlass, uns das sehr genau anzuschauen. Ja, der Rechtsstaat ist wehrhaft, aber die Waffen sind zum Teil etwas stumpf, weil sie nie eingesetzt werden mussten. Zum Glück mussten sie in der Vergangenheit nicht eingesetzt werden. Jetzt sehen wir: Es gibt Extremisten in Richterpositionen, und wir müssen handeln und die Instrumente nachschärfen. Es ist sehr gut, dass sich dieses aktuelle Gesetzesvorhaben auch auf die Schöffinnen und Schöffen erstreckt. Entscheidend ist nicht nur, dass wir die entsprechenden rechtlichen Instrumente schaffen, sondern, dass auch die Breite der Bevölkerung dieses Amt für sich entdeckt. Die AfD hat dazu in der Tat einen Beitrag geleistet. Der Aufruf der AfD, sich für das Schöffinnen- und Schöffenamt zu bewerben, wurde von vielen Leuten befolgt, um zu verhindern, dass Leute mit AfD-Gesinnung auf der Richterbank sitzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir müssen uns vor Angriffen von außen schützen. Deswegen sprechen wir ja über die Frage: Sind wir wirklich sicher, was den Schutz unseres Verfassungsgerichts betrifft? Wir haben Beispiele aus anderen Ländern, die deutlich machen: Mit dem Drehen an kleinen Stellschrauben kann man plötzlich den Schutz durch das Verfassungsgericht lahmlegen.

(Fabian Jacobi [AfD]: Das tun Sie auch schon recht lange recht erfolgreich!)

Dem müssen wir entgegentreten. Es gibt durchaus bewährte Regelungen, die bislang nicht gesetzlich verankert sind, die wir aber immer selbstverständlich beachtet haben. Diese müssen wir unter Umständen ausdrücklich in die Gesetze aufnehmen, um das Gericht zu schützen. Ich freue mich, dass die Union bereit ist, darüber zu diskutieren. Ich sage ausdrücklich: Es gibt hier keine Ampelvorschläge und Unionsvorschläge, sondern alle Vorschläge sind willkommen. Ich freue mich auf die Diskussionen, die wir gemeinsam führen. Das sollte ein Anliegen sein, das uns verbindet. Es sollte tatsächlich unser Anliegen sein, dem Rechtsstaat hier das notwendige Rückgrat zu verleihen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Dr. Volker Ullrich für die Unionsfraktion ist unser nächster Redner.

(Beifall bei der CDU/CSU)