Rede von Katharina Dröge Zollverfahren

17.01.2019

Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Weeser, ich hätte nicht gedacht, dass ich das zu Beginn in einer Debatte einmal sagen würde: Ich kann verstehen, warum Sie diesen Tagesordnungspunkt heute setzen. Auch wenn das einige andere Redner in der Debatte leider nicht so richtig verstanden haben: Wir diskutieren hier nicht nur irgendwie allgemein über den Zoll, sondern wir diskutieren heute – heute – hier über Zollverfahren,

(Beifall des Abg. Reinhard Houben [FDP])

weil am Dienstag in Großbritannien über die Brexit-Entscheidung abgestimmt wurde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Dadurch steht die Frage im Raum: Was können wir als Deutscher Bundestag eigentlich tun, wenn wir immer näher auf einen chaotischen Brexit zusteuern, wenn wir immer mehr auf einen harten Brexit zusteuern?

(Manfred Todtenhausen [FDP]: Sie haben es verstanden!)

Ich glaube, fast alle Fraktionen hier im Haus hätten sich gewünscht, dass Großbritannien anders abgestimmt hätte,

(Dr. Thomas de Maizière [CDU/CSU]: So ist es!)

dass man gemeinsam einen Weg findet, wie man noch zu einem geordneten Verfahren kommt, am besten natürlich zu gar keinem Austritt aus dem Binnenmarkt – aber wenn schon, dann in einem geordneten Verfahren und nicht in dem Chaos, auf das wir momentan zusteuern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Ich kann verstehen, wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, sagen: Dann lasst uns jetzt wenigstens das bisschen tun, was wir tun können,

(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Aber nicht bis Dienstag!)

dann lasst uns an das Thema Zölle herangehen, dann lasst uns damit beschäftigen, dass, wenn der harte Brexit kommt, wir wahrscheinlich kilometerlange Staus an den Grenzen bei Dover und Calais haben.

Wenn wir diese Zollabfertigung machen müssen, dann müssen wir uns mit den Produktionsprozessen der Unternehmen beschäftigen, und dann ist es auch richtig – deswegen werden wir Grünen Ihrem Antrag auch zustimmen –, zu sagen: Lasst uns das machen, was man machen kann; lasst uns mehr Personal einstellen bei der Zollverwaltung; lasst uns gucken, wie man Bürokratie vereinfachen kann; lasst uns gucken, wie man gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen die Bedingungen verbessern kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Haben Sie den Antrag gelesen?)

– Natürlich habe ich diesen Antrag gelesen. Sie haben ihn ja Punkt für Punkt abgearbeitet; das fand ich auch etwas erstaunlich. Ich frage Sie: Wie kann man in einer Zeit wie heute so eine Rede halten?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Sie sagen die ganze Zeit: Ja, wir machen das, wir sind irgendwie auf dem Weg; irgendwann wird das alles kommen. – Aber: Der mögliche harte Brexit Ende März ist bald und nur zu sagen: „Wir sind auf dem Weg, wir werden irgendwann dazu kommen“, reicht nicht. Das Tempo, mit dem die Große Koalition in der Vergangenheit unterwegs war, wird hier nicht reichen. Wir müssen uns jetzt auf den Brexit vorbereiten.

(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Aber dieser Antrag reicht nicht!)

Frankreich hat heute begonnen, seinen Notfallplan für einen harten Brexit zu aktivieren, und deswegen steht die Frage im Raum: Was tut die Bundesregierung? Wie bereiten wir die Unternehmen ausreichend darauf vor, wenn der harte Brexit kommt?

(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das ist aber nicht das Thema heute!)

Und das, Frau Weeser, ist dann wiederum auch meine Kritik an dem Antrag: Es ist richtig, über Zollerleichterungen zu sprechen; aber wir müssen ebenso ehrlich sein, zu sagen: Sie werden bei weitem nicht ausreichen, um den Schock, den ein Brexit dem europäischen Binnenmarkt zuführen wird, wenn er als harter Brexit kommt, abzufedern.

Deswegen müssen wir darüber hinaus diskutieren, müssen wir endlich hier im Deutschen Bundestag nach vorne gerichtet diskutieren. Wenn es um den europäischen Binnenmarkt geht, dann müssen wir über eine gemeinsame Investitionsstrategie in der Europäischen Union sprechen. Dann müssen wir über eine gemeinsame industriepolitische Strategie in der Europäischen Union sprechen, und dann müssen wir miteinander darüber diskutieren, wie wir endlich den Binnenmarkt weiterentwickeln können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn es um Investitionen geht, dann hat insbesondere Deutschland eine besondere Verantwortung. Deutschland ist die Lokomotive Europas. Deutschland ist auf der anderen Seite – ganz im Gegensatz zu den falschen Aussagen, die die AfD hier immer verbreitet – das Land, das auch am meisten wirtschaftlich von diesem Binnenmarkt profitiert hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD])

Deswegen sind wir, wenn es zu einer schwierigen Situation in der Europäischen Union kommen sollte, auch in der Lage, diesen Zug weiterzuziehen. Aber dafür braucht es mehr Entschlossenheit; dafür braucht es mehr gemeinsame europäische Investitionen. Dafür braucht es eine ehrliche Debatte, auch über den Investitionsfonds der Europäischen Union, ob er so gewirkt hat, wie wir uns das in der Vergangenheit gewünscht hätten oder ob nicht zu wenig Investitionsprojekte im Süden Europas angekommen sind, wo sie am Ende aber einen wirtschaftlichen Impuls hätten entfachen sollen, ob die Investitionen ausreichend zielgerichtet auf innovative Projekte, auf ökologische Projekte, auf Digitalisierung ausgerichtet waren oder ob wir am Ende zu sehr mit der Gießkanne investiert haben. Diese Debatte müssen wir jetzt führen, um die Investitionsdynamik in Europa anzustoßen.

Wir müssen auf der anderen Seite natürlich auch über die deutschen Investitionen sprechen. Wir als Bundesrepublik Deutschland haben immer noch einen riesigen Leistungsbilanzüberschuss. Wir haben angefangen, ihn ein bisschen abzubauen; aber da ist immer noch ein riesiger Weg zu gehen. Es wäre doch gerade jetzt ein gutes europäisches Zeichen, wenn Deutschland sagen würde: Angesichts dieser schwierigen wirtschaftlichen Situation, in die uns ein harter Brexit bringen könnte, gehen wir noch einmal entschlossen voran und machen auch hier in Deutschland einen Investitionsaufbruch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das zweite Thema, das wir miteinander diskutieren müssten, ist, endlich den Binnenmarkt weiter zu vertiefen, endlich neben eine Währungsunion auch eine Wirtschaftsunion zu stellen, die ihren Namen verdient hat, endlich das Europäische Semester so weiterzuentwickeln, dass wir eine gemeinsame wirtschaftspolitische Koordination haben. Wir müssen endlich auch etwas im Bereich eines sozialen Europas tun, um am Ende das Versprechen, das wir den Bürgerinnen und Bürgern in Europa gegeben haben, auch zu halten, nämlich dass es ein Europa ist, das bei jedem einzelnen Bürger ankommt. Das ist die Werbung, die wir auch in Großbritannien machen können. Das ist am Ende die beste Einladung, die wir an die Menschen in Großbritannien aussprechen können, falls sie sich wirklich entscheiden sollten, aus der Europäischen Union auszutreten. Lassen Sie uns einfach damit, dass dieser Binnenmarkt super funktioniert, dass die europäische Integration weitergeht, so gute Werbung machen, dass Großbritannien am Ende gar nicht anders kann, als zurück in die Europäische Union zu kommen; das wäre das Zeichen, das wir hier heute ausstrahlen sollten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Jens Zimmermann [SPD])

Und ganz zum Schluss der Debatte möchte ich noch sagen: Ich glaube, auch dieses Haus muss aus dem Chaos, muss aus dem Versagen der politischen Parteien in Großbritannien lernen. Lassen Sie uns gemeinsam als demokratische Parteien dafür sorgen, dass das, was in Großbritannien passiert ist, hier nicht passiert,

(Kay Gottschalk [AfD]: Dann erkennen Sie das Votum an!)

dass falsche Behauptungen, dass Populisten einen Diskurs bestimmt haben, der dazu geführt hat, dass ein gesamtes Land im Chaos und in der Handlungsunfähigkeit geendet ist. Das darf hier nicht passieren. Deswegen dürfen Ideen wie die, die Sie formulieren, mit einem Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union hier niemals die Debatte prägen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)