Rede von Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Kinderweihnachtsgeld

13.12.2018

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kinderweihnachtsgeld, das klingt erst einmal super. Das klingt nach einem Staat, der ein Herz für Kinder hat. Man stelle sich Olaf Scholz vor, verkleidet als Weihnachtsmann, wie er durch das Land zieht, zu den Familien, anklopft und sagt: Hohoho, ich bringe hier das Kinderweihnachtsgeld!

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Will man das wirklich? – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein solches Bild der Regierung, die Geschenke verteilt, müsste doch eigentlich die SPD in schwierigen Zeiten freuen. Aber das ist das völlig falsche Bild; denn das Kindergeld ist kein Geschenk.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Kindergeld ist nicht mal eine Sozialleistung. Wenn man im Bundeshaushalt bei den sozialen Leistungen guckt, dann stellt man fest, dass das Kindergeld dort nicht auftaucht.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: So ist es!)

Das Kindergeld ist im Einkommensteuergesetz geregelt. Es ist ein Freibetrag, der an diejenigen ausgezahlt wird, die vom Kinderfreibetrag nicht ausreichend profitieren. Das bekommen alle, bedingungslos. Es wird an alle ausgezahlt, egal ob mit geringem oder hohem Einkommen, in gleicher Höhe. Das macht das Kindergeld aus. Es ist kein Geschenk, keine Wohltat, sondern es ist ein Anrecht, das alle Kinder in diesem Land haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP])

Insofern ist der Antrag völlig schräg, aber er weist auf Probleme hin, und er passt in der Tat gut zur Weihnachtszeit.

Schauen wir uns die Berechnung des Regelsatzes an. Vorhin gab es den Zwischenruf aus der CDU/CSU: Das stimmt alles gar nicht, was die Katja Kipping da erzählt! – Doch, es stimmt, was nicht drin ist im Regelsatz: Es sind keine Malstifte drin, mit denen Kinder als Weihnachtsgeschenk ein Bild für ihre Eltern malen können;

(Grigorios Aggelidis [FDP]: Malen die Stifte, die sie sonst haben, nicht?)

es ist nicht drin, dass, wenn man auf den Weihnachtsmarkt geht, die Kinder auch mal gebrannte Mandeln bekommen.

(Tino Chrupalla [AfD]: Karussell fahren!)

Das ist nicht im Regelsatz drin. Auch der Weihnachtsbaum – das sollte gerade der CDU, der Christlich Demokratischen Union, viel wert sein – ist nicht im Regelsatz drin; den müssen sich die Leute tatsächlich vom Mund absparen – und sie tun das auch; dazu gibt es genügend Studien.

Das wäre eigentlich was gewesen, was in diesem Antrag hätte stehen müssen: die Anhebung und Neuberechnung des Kinderregelsatzes,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

damit sich Kinder wirklich ein vernünftiges Leben leisten können. Das steht leider nicht drin. Und es verweist darauf, dass wir in unseren Familien/Kinder-Leistungen insgesamt ein hohes Maß an Ungerechtigkeit haben, ein hohes Maß an Wirrwarr und Nichtsystematik. Das mit dem Kindergeld ist ja prima; das ist die Basis, bekommen alle. Und dann ist es so, dass alle Menschen, die ein hohes Einkommen haben, wie wir als Bundestagsabgeordnete, mit den Kinderfreibeträgen oben noch was draufbekommen. Wie schön ist das denn!?

(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Dafür wurde mir vorher auch oben was weggenommen!)

Das müssen wir nicht mal beantragen: Wenn wir eine Einkommensteuererklärung machen, prüft das Finanzamt, ob wir einen Anspruch haben, der höher ist als das Kindergeld, und dann bekommen wir das automatisch ausgezahlt. Wenn man ein geringes Einkommen hat, dann muss man das alles beantragen. Die mit ganz geringem Einkommen bekommen das sogenannte Sozialgeld – wenn die Eltern Hartz-IV-Empfänger sind –; das muss man beantragen. Die Bildungs- und Teilhabeleistungen muss man beantragen. Das machen ganz viele nicht. Und für die, die ein bisschen mehr als Hartz IV haben, gibt es eine Leistung, die heißt „Kinderzuschlag“ – eine völlig komplizierte Geschichte, völlig bürokratisch; nimmt auch nur ein Drittel der Eltern, die einen Anspruch darauf haben, an. Daran ändert auch Ihr Starke-Familien-Gesetz – so heißt es, glaube ich –, das Sie im nächsten Jahr einbringen wollen, überhaupt nichts; es wird eher noch komplizierter als einfacher.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Familienkasse bietet jetzt sogar eine Videoberatung an: Man kann sich per Skype mit der Familienkasse verbinden, um sich bezüglich des Kinderzuschlags beraten zu lassen. Das zeigt, wie irrsinnig diese Sozialleistung ist. Es sollte mindestens mal so sein wie bei uns mit dem hohen Einkommen, dass das vom Finanzamt, wenn man eine Einkommensteuererklärung macht, geprüft und automatisch ausgezahlt wird. Automatische Auszahlung des Kinderzuschlags, das wäre ein Mindestschritt, den man gehen müsste.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Aber es ist ja so: Die Ungerechtigkeit, dass wir mehr bekommen als Menschen mit mittlerem Einkommen, die muss beseitigt werden; zumindest wir Grüne finden das völlig ungerecht. Deswegen schlagen wir vor, dass die Kinderfreibeträge in einen Auszahlbetrag umgewandelt werden, im Prinzip so ähnlich wie das Kindergeld, aber in einer Höhe, dass Menschen mit hohem Einkommen und Menschen mit mittlerem Einkommen das Gleiche bekommen; dass der Betrag ausgezahlt wird an alle – an die Reichen, an die mit mittlerem Einkommen und auch an die mit geringerem Einkommen –; denn jedes Kind sollte dem Staat gleich viel wert sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Grigorios Aggelidis [FDP]: Wer bezahlt den Mehraufwand?)

Zusätzlich sollte es einen Aufschlag für Menschen mit geringem Einkommen geben, der automatisch ausgezahlt wird. Das gehört zur Kindergrundsicherung dazu, wie wir Grüne das vorschlagen, diese Basis in Höhe des Regelbedarfes an alle, damit der tatsächlich für alle gedeckt ist, für alle gleich, und dann das Existenzminimum, einkommensabhängig, für Menschen mit geringem Einkommen zusätzlich. Das wäre ein gutes Konzept: eine richtige Kindergrundsicherung für alle, die vor Armut schützt, die konsistent ist, und die tatsächlich Gerechtigkeit herstellt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das, was Die Linke vorschlägt, ist so was wie eine Kindergrundsicherung für einen Monat. Weil das so schräg ist, können wir dem nicht zustimmen. Aber weil es immerhin eine Kindergrundsicherung für einen Monat ist, werden wir auch nicht dagegenstimmen, sondern uns enthalten.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)