Rede von Dr. Kirsten Kappert-Gonther Kinderwunschbehandlung

01.02.2018

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war ja schon viel von Familie, Kindern und auch dem Schutzbedürfnis von Kindern die Rede. Ich möchte folgendermaßen beginnen: Für uns ist es so, dass Kinder überall gleich viel wert sind, egal ob in Deutschland oder anderswo auf der Welt. Für uns gilt jedes Kind gleich, und jede Familie hat ihren eigenen Wert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Darum finden wir auch die Entscheidung falsch, die hier heute Morgen zum Familiennachzug getroffen wurde. Jetzt reden wir über die Menschen, die sich sehnlichst ein Kind wünschen, und über den bohrenden Schmerz, den es bedeutet, wenn es einfach nicht klappen will. Diese Frauen sind bereit, fast alles auf sich zu nehmen, um ein Kind zu bekommen. Ich muss als Mutter sagen: Ich kann das verstehen. Eine Kinderwunschbehandlung ist fast alles: Sie kann ein Segen sein, aber sie ist auch eine enorme Strapaze, körperlich und seelisch, für die Frauen und für die Paare. Herr Kollege Pilsinger, diese Frauen tun das freiwillig und selbstbestimmt, und das ist auch richtig so.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

In meiner langjährigen Praxis als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, also für seelische Erkrankungen, seelische Entwicklung, habe ich immer wieder Frauen und Paare begleitet, die ungewollt kinderlos waren. Gewollt kann man kinderlos auch sehr glücklich sein, ungewollt ist es ziemlich schwierig. Ich habe Frauen begleitet auf diesem steinigen Weg – Sex nach Kalender, Hormonbehandlung, künstliche Befruchtung und immer wieder Selbstzweifel –, und ich durfte das unbeschreibliche Glück miterleben, wenn sie endlich das eigene Kind in den Armen halten durften. Da sehen wir: Reproduktionsmedizin hilft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich erinnere mich aber auch an Frauen – das ist wirklich ein komplexes Thema für vier Minuten –, die nach vielen gescheiterten Versuchen bewusst aufgehört haben, dann eine Psychotherapie gemacht haben und auf einmal schwanger waren. Auch das gibt es. Wir debattieren hier das Spannungsfeld wirtschaftliche Interessen – diese darf man auch nicht außer Acht lassen –, Hoffnung und das Machbare. In der Reproduktionsmedizin – auch das gehört zur Wahrheit – kursieren viele Versprechen, die oft nicht eingehalten werden. Als Ärztin habe ich immer Demut vor den Grenzen des medizinisch Machbaren empfunden. Heilserwartungen an die Allmächtigkeit der Medizin, falsche Versprechen schaden den Betroffenen und nutzen letztlich nur den wirtschaftlichen Interessen der Anbieter.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Drittel – jeder kann selbst beurteilen, ob das viel oder wenig ist – der Kinderwunschbehandlungen führt zur Elternschaft. Das heißt: zwei Drittel auch nicht. Eine Garantie auf ein Kind kann es natürlich nicht geben, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss ein Recht auf eine Chance auf ein Kind geben, und es gibt ein Recht auf medizinische Hilfe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dieses Recht muss für alle gelten, ob arm oder reich, ob mit oder ohne Trauschein, ob lesbisch oder hetero.

(Beifall der Abg. Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Doris Achelwilm [DIE LINKE])

Denn was braucht ein Kind? Es braucht Liebe und Geborgenheit. Ob es beides bekommt, hängt weder vom Trauschein noch von der sexuellen Orientierung der Eltern ab.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, es hängt auch nicht davon ab, ob eine Frau alleinerziehend ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Kinder haben es da gut, wo sie geliebt werden. Die Entkopplung der Bundes- und Landesförderung finden wir insofern richtig. Wieso soll eine Frau weniger Hilfe bekommen, wenn sie in Bayern statt in Thüringen lebt?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Noch richtiger allerdings fänden wir es, wenn – so haben wir es in der letzten Legislaturperiode vorgeschlagen – die GKV endlich ihre Finanzierung entsprechend ausweiten würde.

Richtig ist auch – letzter Gedanke, Herr Präsident; es leuchtet hier, wie ich sehe –, dass die steigende Zahl der ungewollt Kinderlosen damit zusammenhängt, dass Frauen immer später Kinder bekommen. Das zu richten, kann allerdings nicht die Aufgabe der Reproduktionsmedizin sein. Hierüber sollten wir im Ausschuss noch einmal ausführlich diskutieren. Wir brauchen endlich auch eine soziale Arbeitsmarktpolitik und eine progressive Sozialpolitik, damit wir vorankommen.

Ich komme zum Schluss. Die Take Home Story ist: Eine Garantie auf ein Kind kann es nicht geben, aber die Rechte auf Kinderwunschbehandlung müssen für alle gelten. Wir, Bündnis 90/Die Grünen, stehen für Gleichberechtigung beim Zugang zur Kinderwunschbehandlung und für Gleichberechtigung überall sonst.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)