Rede von Dr. Anton Hofreiter Klimaschutz ins Grundgesetz
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Klimakrise ist nichts Abstraktes, das irgendwo weit weg passiert. Spätestens seit diesem Sommer ist deutlich: Sie ist bei uns in Deutschland angekommen. Die Dürre, ausgefallene Ernten, Waldbrände, all das sind Vorboten einer drohenden Heißzeit. Doch wo bleiben die politischen Konsequenzen, um diese Krise zu bekämpfen? Wo bleibt der Krisengipfel? Wo bleibt das Rettungsprogramm für unser Klima, unsere Lebensgrundlagen? Wo sieht man Handlungen dieser Bundesregierung?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Warum demonstrieren jeden Sonntag Tausende vor allem junger Menschen am Hambacher Wald? Weil sie sich Sorgen machen um den Klimaschutz und damit um ihre eigene Zukunft. Weil sie frustriert sind, dass der Klimaschutz nicht konsequent umgesetzt wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich! Das haben Sie doch in der Landesregierung mit beschlossen! Das ist heuchlerisch, was Sie hier machen! – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Müller, von NRW verstehen Sie nichts!)
Wer heute jung ist, wird, wenn wir nicht konsequent umsteuern, noch in einer Welt leben müssen, in der erhebliche Teile unseres Planeten unbewohnbar werden,
(Jürgen Braun [AfD]: Wann distanzieren Sie sich von der Gewalt im Hambacher Forst, Herr Hofreiter?)
in der Dürren, Waldbrände und Überflutungen alltäglich werden, in der Millionen von Menschen zu Klimaflüchtlingen werden, in der Kriege und Konflikte durch die Klimakrise angeheizt werden.
(Jürgen Braun [AfD]: Science-Fiction! Fiktionale Beiträge!)
Leider steuern wird gerade in voller Fahrt auf eine solche Welt zu.
(Jürgen Braun [AfD]: Tonis Welt!)
Denn obwohl sich die Weltgemeinschaft auf die Bekämpfung der Klimakrise verständigt hat, steigt die Verschmutzung der Atmosphäre mit Treibhausgasen weiter an. Obwohl Deutschland sich zum Klimaschutz verpflichtet hat, ist Deutschland Weltmeister beim Verbrennen von Braunkohle, der schmutzigsten aller Energieformen. Und obwohl sich die Bundesregierung zum Klimaschutz verpflichtet hat, wird sie ihr selbstgesetztes Klimaschutzziel 2020 krachend verfehlen.
(Jürgen Braun [AfD]: Da klatschen ja nicht mal die Grünen! – Heiterkeit bei der AfD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen beweisen, dass wir etwas tun wollen und tun können
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
gegen diese so vorhersehbare wie vermeidbare Krise. Noch – noch! – haben wir alle Chancen, deutlich unter 2 Prozent zu bleiben. Deshalb schlagen wir Ihnen vor, den Klimaschutz im Grundgesetz zu verankern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Der Klimaschutzvertrag von Paris ist einer der bedeutendsten Verträge, die die Weltgemeinschaft je geschlossen hat.
(Lachen bei Abgeordneten der AfD)
Er muss jetzt schnell umgesetzt werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es sind sich doch hier im Haus alle – außer ein paar Realitätsverweigerer von ganz rechts außen – einig, dass wir dieses Ziel erreichen wollen und erreichen können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wenn andere Staaten sich aus internationalen Abkommen zurückziehen, können wir zeigen, dass wir die internationale Zusammenarbeit ernst nehmen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Hofreiter, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung?
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja.
(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Von den Pegida-Gehern?)
Dr. Rainer Kraft (AfD):
Vielen Dank, Herr Hofreiter, und vielen Dank, Frau Präsident. – Ihnen ist sicherlich bekannt, dass für den Einstieg ins Erneuerbare-Energien-Gesetz bereits 130, 140 Milliarden Euro aufgewendet worden sind. Derzeit werden von den deutschen Stromverbrauchern 27 Milliarden Euro jährlich aufgewendet. Eine Auswirkung im Hinblick auf den Anstieg des CO 2 -Ausstoßes ist nicht nachweisbar. Das heißt, nach 18 Jahren Energiewende müssen wir konstatieren, dass wir nicht den geringsten Effekt der Bemühungen erkennen können. Nachdem jetzt also quasi das Scheitern der Bemühungen erkennbar ist, wollen Sie die Anstrengungen in die falsche Richtung verdoppeln. Sehe ich das richtig?
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das dafür gesorgt hat, dass sauberer Strom bezahlbar wird, ist einer der größten Erfolge, den die Bundesrepublik je erzielt hat.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Axel Müller [CDU/CSU])
Denn Sie müssen sich vorstellen: Damals, als das Erneuerbare-Energien-Gesetz eingeführt worden ist, hat die Kilowattstunde Strom noch 99 Pfennig gekostet.
(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Dr. Rainer Kraft [AfD]: 99?)
– 99 Pfennig die Kilowattstunde Photovoltaikstrom; das war nahezu unbezahlbar.
(Lachen des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD])
– Ja, Sie lachen, weil Sie sich offensichtlich nicht auskennen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
99 Pfennig, so hoch war damals – auch wenn Sie das nicht wissen – die Einspeisevergütung pro Kilowattstunde Photovoltaik. Niemand hätte gedacht, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz ein solch gigantischer Erfolg werden kann.
(Lachen bei Abgeordneten der AfD)
Denn was ist innerhalb von nur 15 Jahren passiert? Die Kilowattstunde Photovoltaikstrom wird bei uns inzwischen für 5 bis 6 Cent je Kilowattstunde produziert,
(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Und was bezahlt der Verbraucher heute?)
in sonnenreichen Ländern für 1,5 Cent. Noch nie konnte Strom irgendwo auf der Welt so kostengünstig produziert werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
Da sehen Sie, was man durch kluge Rahmensetzung erreichen kann. Da sehen Sie, was man erreichen kann, wenn man klugen Ingenieurinnen und Ingenieuren die entsprechenden Möglichkeiten gibt. Seien Sie nicht immer so defätistisch und feige! Trauen wir uns gemeinsam an eine kluge Rahmensetzung heran! Dann sind die Probleme der Welt lösbar.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Jürgen Braun [AfD]: Das sind ja alles Märchen!)
Damit kommen wir zu einer weiteren klugen Rahmensetzung, nämlich zu Klimaschutz im Grundgesetz. Klimaschutz im Grundgesetz wird helfen, die Klimaschutzziele der Bundesregierung zu erreichen. Es wird helfen, die Klimaziele 2020, 2030 und 2050 zu erreichen. Es wird die Arbeit der Kohlekommission unterstützen. Die Verankerung von Klimaschutz im Grundgesetz führt zu Klarheit und Planungssicherheit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, durch diese Klarheit und Planungssicherheit ist es sogar eine Unterstützung für die Arbeiterinnen und Arbeiter im Bereich der Kohle.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben doch Erfahrungen mit Grundgesetzänderungen. Denken wir an die Schuldenbremse: Sie war umstritten, und man kann darüber streiten, ob sie klug ausgestaltet ist. Aber sie führt dazu, dass nachfolgende Generationen weniger Schulden haben. Hier geht es darum, dass wir nachfolgenden Generationen keinen Planeten im Zustand der Dauerkrise hinterlassen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE])
Damit ist Klimaschutz eine der zentralen Fragen der Generationengerechtigkeit.
(Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, ich glaube, wir sind uns doch darin einig, dass wir den nachfolgenden Generationen keine zerstörte Heimat hinterlassen wollen, oder?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Die Antwort auf die Frage ist Ja!)
Die Klimakrise, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist neben dem Artensterben die größte ökologische Bedrohung für unsere Lebensgrundlagen. Es ist deshalb eine der vorrangigsten Aufgaben unserer Generation und die Verantwortung aller, die wie hier tätig sind, zu verhindern, dass diese Klimakrise zur Klimakatastrophe wird, und die Klimakatastrophe abzuwenden. Deshalb: Klimaschutz ins Grundgesetz!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind, wie man in diesem Sommer merken konnte, die erste Generation, die die Auswirkungen der Klimakrise spürt.
(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die AfD gewandt: Was ist denn daran lustig?)
Wir sind gleichzeitig die letzte Generation, die etwas dagegen unternehmen kann. Gemeinsam können wir – die demokratisch gesinnten Abgeordneten in diesem Haus; Sie von der AfD zähle ich nicht dazu – etwas erreichen.
(Lachen bei der AfD – Jürgen Braun [AfD]: Ich möchte gar nicht bei Ihnen dabei sein, Herr Hofreiter!)
Deshalb bitte ich Sie wirklich von Herzen: Einigen wir uns im folgenden Verfahren darauf, dass Sie dem Vorschlag „Klimaschutz ins Grundgesetz“ zustimmen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)