Rede von Denise Loop Kosten der Kinder- und Jugendhilfe

Denise Loop
10.11.2022

Denise Loop (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wem gehört das Bett, in dem ich schlafe, der Teller, von dem ich esse, der WLAN-Router, den ich nutze?“ – Fragen, die ich und auch viele von Ihnen sich wahrscheinlich nie stellen müssen. „Wem gehört das Bett, in dem ich schlafe?“, mit dieser Frage eröffnete die Vertreterin des Careleaver e. V., einer Selbstorganisation für junge Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe, ihr Eingangsstatement bei der Anhörung zum Gesetzentwurf zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe. Damit hat sie uns auf beeindruckende und gleichzeitig auch bedrückende Art und Weise vor Augen geführt, worum es hier geht.

Junge Menschen, die nicht in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen können, sondern in Einrichtungen der stationären Kinder- und Jugendhilfe, müssen sich diese Fragen stellen – spätestens wenn sie ausziehen. Sie müssen sich weitestgehend eigenständig finanzieren. Dabei können sie sich meist nicht auf ein familiäres und soziales Sicherheitsnetz und entsprechende finanzielle Unterstützung verlassen. Diese jungen Menschen haben in ihren Biografien viele Hürden genommen. Wir sollten es ihnen nicht noch schwerer machen, indem wir ihnen das Geld, das sie im Rahmen einer Ausbildung oder eines Schüler/-innenjobs verdienen, teilweise wieder abnehmen. Deswegen an dieser Stelle noch mal: Gut, dass wir die Kostenheranziehung von jungen Menschen endlich abschaffen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn ich das oft angeführte Argument höre, die Kostenheranziehung habe eine pädagogische Aufgabe, kann ich das wenig nachvollziehen. Ich frage mich: Was ist das für ein pädagogisches Verständnis, wenn das einzige Mittel, um jungen Menschen den Umgang mit Geld beizubringen, das Einbehalten dieses Geldes ist?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Es sollte vielmehr darum gehen, dass die jungen Menschen ihr selbstverdientes Geld eigenverantwortlich verwalten lernen. Für uns steht die Selbstbestimmung von jungen Menschen im Vordergrund.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beraten heute abschließend über den Gesetzentwurf zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe. In der Anhörung wurde zu Recht auf die jungen Menschen hingewiesen, die aufgrund einer Behinderung, einer anderen Einschränkung oder einer Benachteiligung eine geförderte Ausbildung im Rahmen des SGB III machen und die weiterhin von der Kostenheranziehung betroffen sind, und zwar weit über 25 Prozent hinaus. Das heißt konkret in der Praxis: Ein junger Mensch, der zum Beispiel aufgrund einer individuellen Einschränkung eine geförderte Ausbildung macht, lebt in der gleichen Wohngruppe wie eine junge Person, die in einem regulären Ausbildungsbetrieb arbeitet. Der eine darf künftig seine Vergütung behalten, und die andere Person nicht. Hier besteht noch eine massive Ungerechtigkeit, und dafür müssen wir Lösungen finden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Dr. Götz Frömming [AfD]: Zeit wird’s!)

Daher freue ich mich sehr, dass wir als Ampelkoalition – ein großer Dank gilt Martin Gassner-Herz und Ulrike Bahr – noch einen Änderungsantrag eingebracht haben, der die Situation dieser jungen Menschen in den geförderten Ausbildungen berücksichtigt. Sie dürfen künftig von ihrem Ausbildungsgeld einen Freibetrag behalten, den sie nicht an das Jugendamt abgeben müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Doch auch das kann nur ein erster Schritt sein. Schließlich ist unser Ziel eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe.

(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dazu steht in dieser Legislaturperiode auch noch eine umfassende SGB-VIII-Reform an. Das ist der Anlass, die Schnittstellen der unterschiedlichen Sozialgesetzbücher zu bereinigen und somit die Kostenheranziehung für alle jungen Menschen in stationären Einrichtungen und Pflegefamilien komplett abzuschaffen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte zu dieser späten Stunde um Zustimmung zu diesem wichtigen Anliegen. Die jungen Menschen haben es verdient.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie der Abg. Heidi Reichinnek [DIE LINKE])

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Dr. Hermann-Josef Tebroke und Ulrike Bahr geben ihre Reden zu Protokoll.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der AfD und der LINKEN)

Wir kommen daher zu Martin Reichardt für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)