Rede von Misbah Khan Lehren aus der Flutkatastrophe 2021

07.07.2022

Misbah Khan (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Helferinnen und Helfer und liebe Betroffene! Ich war ein paar Wochen nach der Flutkatastrophe das erste Mal im Ahrtal. An vielen Häuserwänden habe ich Schlammhandabdrücke gesehen, große und kleine. Auf diese Art und Weise haben sich viele der über 100 000 Helferinnen und Helfer verewigt. Viele davon packen auch heute noch mit an. All diesen Menschen kann man nicht genug danken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich habe, wie viele andere auch, die schrecklichen Bilder der Flutkatastrophe gesehen – eigentlich wie ganz Deutschland. Aber so wirklich verstanden, was da eigentlich passiert ist, habe ich erst, als ich auf einer Fläche stand, um mich herum Steine und Geröll, Schlamm, viel Holz und seltsam in die Luft ragende Metallstangen. Ich habe eine Weile gebraucht, um zu verstehen: Ich stehe gerade mitten in einem Gleisbett, um mich herum Heizölgeruch.

Man hat an mehrstöckigen Häusern durch Wasserflecken absehen können, wie weit die Flut gekommen ist – ein, zwei, manchmal drei Stockwerke hoch. Wenn sie Glück hatten, haben sich die Menschen aufs Dach retten können. Die Menschen im Ahrtal, in Stolberg oder in Eschweiler haben in 7 Stunden verloren, was sie sich zum Teil in 7, in 17 oder in 27 Jahren aufgebaut haben. Die Katastrophe hat viele Traumata hinterlassen. Dazu kommen Ängste, vergessen zu werden, und auch Ängste, dann mit dem Erlebten alleingelassen zu werden.

Politisch haben wir viel angestoßen, und trotzdem hört und spürt man Ungeduld. An der Stelle bringt es, ehrlich gesagt, auch wenig, auf gute Bewilligungsquoten von Hilfsanträgen zu verweisen. Gefühle haben in so einer Situation nun mal wenig mit Fakten zu tun. Die Betroffenen sehnen sich nach Normalität, auch um zu verarbeiten, was es an seelischen Wunden gibt.

Die Trümmerberge sind mit der Zeit kleiner geworden, und die Brachflächen fangen an zu blühen; aber die großen Herausforderungen sind geblieben. Wir stehen noch am Anfang des Wiederaufbaus, und an dem Bahnhof, den ich – ich sagte es am Anfang meiner Rede – erst einmal als solchen nicht erkannt habe, fahren auch heute noch keine Züge. Aber der nachhaltige Wiederaufbau bietet Chancen – Chancen, den Ort so neu zu gestalten, wie sich das die Menschen vor Ort wünschen.

Es ist unsere Aufgabe, aus der Vergangenheit zu lernen. Und es ist unsere Aufgabe, insgesamt resilienter zu werden, damit es bei der nächsten Überflutung, die es sicher auch geben wird, nicht mehr so viele Helferinnen und Helfer braucht, die sich dann mit Schlammhänden an Häuserwänden verewigen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Vielen Dank. – Es folgt Bernd Schattner für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)