Rede von Stephanie Aeffner Leistungen an Asylbewerber*innen

Stephanie Aeffner
19.01.2024

Stephanie Aeffner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde mich freuen, wenn der demokratische Teil dieses Hauses einmal innehielte und wir uns anschauten, welche Gefahren gerade in diesem Land drohen und wohin diese Debatten uns bringen. Ich mache mir Sorgen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt, um unseren Sozialstaat, dessen Versprechen auf ein soziales Netz, das Menschen in Krisen auffängt, immer mehr angegriffen wird, und letztlich um unsere Demokratie. Wann ist Schluss damit, immer neue Brandherde zu legen, immer mehr Öl ins Feuer zu gießen?

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Sie machen das doch mit Ihrer schlechten Politik! – Gegenrufe der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir haben diese Woche im Bundestag die Verlängerung des Bezugs von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von 18 auf 36 Monate beschlossen. Wir haben diese Woche im Haushaltsausschuss beschlossen, dass der Regelsatz des Bürgergelds komplett gestrichen werden kann für Menschen, die eine angebotene Arbeit nicht aufnehmen. Worauf aber niemand in all diesen Debatten schaut, ist, was die Stellung von immer weiter gehenden Forderungen für all die Menschen bedeutet, die berechtigt diese Leistungen beziehen und die einen Anspruch auf Unterstützung durch unseren Sozialstaat haben. Jetzt werden Grundgesetzänderungen gefordert. – Okay, man kann auch die Ewigkeitsklausel in der Verfassung ignorieren, aber das lassen wir mal beiseite.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Das ist doch ein Quatsch!)

Die komplette Streichung des Bürgergeldes, Zwangsarbeit wird gefordert. Die Verteilung von Bezahlkarten für Asylbewerberleistungsberechtigte soll jetzt auch auf Analogleistungsberechtigte ausgeweitet werden usw. Was ist mit all denen, die immer weitermachen? Anscheinend ist eines völlig egal: die Folgen der Gesetzesänderungen für die Gesamtgesellschaft, die Stigmatisierung und Entmenschlichung bestimmter Gruppen.

Es wird das Bild eines Heeres von Arbeitslosen gezeichnet, als wären die Menschen im Bürgergeldbezug immer die gleiche Gruppe.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: 3,9 Millionen!)

Völlig falsch: Arbeitslosigkeit ist eine vorübergehende Krise im Leben von Menschen.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Warum arbeiten denn dann Flüchtlinge so unterproportional, Frau Aeffner? Weil Sie die Leute nicht vermitteln in den Arbeitsmarkt!)

– Darf ich jetzt ausreden?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Menschen arbeitslos werden, sind in der Regel 60 Prozent nach einem Jahr wieder in Arbeit. Nach zwei Jahren sind 80 Prozent wieder in Arbeit, nach drei Jahren knapp 90 Prozent.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Die Langzeitarbeitslosigkeit hat sich verfestigt, insbesondere in Ihrer Regierungszeit! Das ist der Stand! Sie haben doch keine Ahnung! So ist es! Ihr kennt euch nicht aus! Das ist das Problem!)

Dennoch tun wir in der Debatte ums Bürgergeld so, als müssten wir Menschen in Arbeit zwingen. Wenn wir so weitermachen, ist irgendwann nichts mehr übrig von unserem sozialen Auffangnetz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn aber Menschen, die heute selber hetzen, in Problemlagen geraten, dann gibt es plötzlich Entschuldigungen und in der eigenen Lebenssituation immer Erklärungen, warum man nichts dafür kann, während alle anderen an ihrem Schicksal selber schuld sind.

Bei Geflüchteten passiert genau das Gleiche. Es gibt immer weitere Forderungen nach Abschreckung. Immer wieder wird Dänemark zitiert. Wenn man sich das anguckt, sieht man: Es hat in Dänemark marginale Auswirkungen gehabt, die Sozialleistungen abzusenken. Durch die Abschreckung sind nämlich nur marginal weniger Menschen gekommen. Es hat aber auf etwas ganz anderes wesentliche Auswirkungen, nämlich auf die Geflüchteten, die im Land sind.

Schauen wir uns unsere Situation mal an: Wir haben 2022 rund 482 000 Menschen im Asylbewerberleistungsbezug gehabt. Die bereinigte Schutzquote in Deutschland beträgt 90 Prozent. 80 Prozent der ausreisepflichtigen Menschen erhalten eine Duldung.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Ja, genau! Das ist das Problem!)

Unter den Hauptländern sind Afghanistan, Irak und Iran. Ist es nicht auch die Union, die sich immer wieder hinstellt und „Jin, Jiyan, Azadî“ ruft und sagt: „Wir müssen die Frauen im Iran unterstützen“? Und wenn sie eine Duldung erhalten, dann ist das plötzlich nicht mehr in Ordnung? Wo ist denn da die Solidarität?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Stephan Stracke [CDU/CSU]: Die sind aber weiterhin ausreisepflichtig, Frau Aeffner!)

Der überwiegende Teil aller Schutzsuchenden hier im Land hat ein Aufenthaltsrecht, und der überwiegende Teil bleibt hier.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Der Staat verzichtet nur auf die Abschiebung mit der Duldung! Das ist der Punkt! Das ist der Unterschied!)

Daher muss unser Ziel doch sein, dass wir Menschen in diesem Land integrieren, dass wir ihnen Teilhabe ermöglichen, dass wir ihnen Arbeitsintegration ermöglichen. Mit all diesen weiter gehenden Forderungen wird genau das immer schwerer.

Die Asylbewerberleistungen sind um 100 Euro niedriger als das Bürgergeld. 100 Euro bei einem so geringen Betrag bedeutet, dass Menschen weniger in Vereine gehen; sie sollen ja Ihrer Meinung nach nicht mal mehr Zeitung lesen. Sie können keine Kontakte knüpfen, sie können nicht in der Gesellschaft ankommen. Schauen wir auf Kinder: Drei Jahre Asylbewerberleistungsbezug, was bedeutet das für ihre Bildungschancen? All das ist egal. Es hilft den Menschen in diesem Land null, wenn wir Integration behindern, anstatt sie zu befördern.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich wünsche mir wirklich, dass wir in dieser Debatte endlich innehalten und die ganze Gesellschaft nicht weiter in Brand setzen. Das macht mir große Sorgen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Als Nächster hat das Wort für die FDP-Fraktion Jens Teutrine.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)