Tobias B. Bacherle MdB
19.10.2023

Tobias B. Bacherle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich erst mal bedanken. Ich finde es wichtig, dass wir über die Libyen-Politik sprechen. Ich finde es wichtig, dass wir darüber sprechen, wie der Berliner Prozess gerade fortgeführt wird, wie er weiter fortgeführt werden kann und wie er den UN-Prozess unterstützen kann.

Ich muss aber nach der Rede eben kurz sagen: Ich finde es faszinierend, wie man bei diesem Tagesordnungspunkt nicht über die UN reden kann, fast nicht über Libyen reden kann und irgendwie kaschieren muss, dass man das „G“ in Gender nicht richtig aussprechen kann

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

und dabei Angst um seine Männlichkeit zu haben scheint.

(Zuruf des Abg. Petr Bystron [AfD])

Aber das ist okay. Lehnwörter verändern die Sprache; das passiert. Veränderung ist manchmal tatsächlich angsteinflößend.

In Libyen war die Veränderung in den letzten Jahren nicht immer nur positiv. Das hat man auch noch mal gemerkt, als die furchtbare Flut den Abu-Mansur-Damm im Tal einfach überschwemmt hat. Sand und Steine, mehr war das eigentlich nicht mehr, ein Damm, der aber Tausende Menschen beschützen sollte. Es ist eine furchtbare Katastrophe, die – da stimme ich mit Ihnen überein – eindrücklich gezeigt hat, wie gefährlich das aktuelle Prinzip der „Two Governments but no Governance“ ist: zwei Regierungen, aber kein Verwalten; zwei Regierungen, aber keine Verantwortungsübernahme; zwei Regierungen, eine im Osten, eine im Westen und beide eigentlich nur auf die eigenen Interessen bedacht.

Deswegen finde ich es gut, dass Sie darauf hinweisen: Wir haben mit dem Berliner Prozess eine große Verantwortung und Möglichkeit. Wie ich gerade schon erwähnt habe, läuft der aber ja noch. Ich glaube, das Letzte, was die Libyerinnen und Libyer gerade brauchen, ist ein weiterer Staat, der darauf achtet, wie er sich jetzt profilieren kann. Deswegen ist, glaube ich, der Fokus auf eine Konferenz, losgelöst vom UN-Prozess, der falsche Ansatz. Ja, diese Anstrengungen müssen wir intensivieren. Ja, das haben Sie auch ganz gut aufgeschrieben. Aber, wie gesagt, den harten Fokus auf Ihren Zeitplan sehe ich kritisch.

Noch zwei weitere Gedanken zu Ihrem Antrag. Denn wenn man den weiterliest, wird es ein bisschen komischer. Unter 11. reden Sie dann plötzlich von Irini. Sie möchten mit Irini wieder die Kooperation mit der Küstenwache und den Grenzschutzeinheiten von Libyen mit aufnehmen. Eigentlich haben Sie gerade selber in Ihrer Analyse festgestellt, dass die Staatlichkeit nicht gegeben ist und dass diese Einheiten daher nicht zur Kooperation taugen. Das haben wir in der Vergangenheit gesehen. Dazu jetzt wieder zurückzukehren, halte ich für eine Sackgasse, in der wir schon mal waren und aus der wir umgedreht sind.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Unter 13. sprechen Sie dann von den französischen und italienischen Plänen zu einer wirtschaftlichen Stabilisierung Tunesiens, die wir unterstützen sollen. Super, dass wir auch jetzt wieder den Blick über die Grenze wagen, den Blick über die Grenze von Libyen nach Tunesien. Aber wenn wir uns angucken, welchen massiven Schaden das Lobbying gerade der italienischen Regierung auf Kais Saied in den letzten Monaten hinterlassen hat, mit dem reinen Fokus, dass er doch bitte mal irgendwie was gegen Migration tun soll, mit dem Ergebnis, dass Kais Saied extremst rassistisch gegen schwarze Einwanderinnen und Einwanderer gehetzt hat, die darauf Ausschreitungen ausgesetzt waren, dann sage ich: Überdenken Sie bitte noch mal, welche neofaschistischen Vorbilder in Europa Sie sich nehmen wollen und wo wir uns vielleicht gemeinsam demokratisch zu besserer Kooperation mit Nordafrika Vorbilder nehmen können!

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)