Lamya Kaddor
16.11.2023

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Es tut mir in der Seele weh, wenn Eltern das islamische Bekleidungsgebot bereits von jungen Töchtern umgesetzt sehen wollen, indem sie sie unter ein Kopftuch zwingen. Ich möchte das nicht nur als Innenpolitikerin, sondern auch als Islamwissenschaftlerin und Religionspädagogin deutlich formulieren: Es entbehrt jeglicher theologischer Grundlage im Islam, dies zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wer so handelt, ist Fundamentalist oder religiös ungebildet und verblendet.

Überlegungen, Kinder für das spätere Leben – so argumentieren ja häufig Menschen – daran zu gewöhnen, sind rücksichtslos und pädagogisch völlig überholt. Kinder können sich auch nicht freiwillig für ein Kopftuch entscheiden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Kerngedanke eines Kopftuchverbots für unter 14-Jährige ist also absolut nicht nachvollziehbar. Der Sinn einer solchen pauschalen Regelung allerdings ist fragwürdig. Expertinnen und Experten wissen das schon lange, weshalb sich automatisch die Frage stellt: Wer erhebt solche Forderungen? Welche Motivation steckt hinter solchen Forderungen?

Im Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit im Auftrag des BMI heißt es über die AfD: Sie ist – und ich zitiere –: „… die einzige Partei im Deutschen Bundestag mit einem manifesten muslimfeindlichen Programm.“ – Zitat Ende.

Sehr geehrte Damen und Herren, dieses islamfeindliche und von Fakten befreite Programm zeigt sich auch in den heutigen Anträgen. Sie wollen über Kinderkopftücher und Vielehen sprechen, ohne im Ansatz valide Zahlen dazu nennen zu können. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hält in einem Gutachten von 2017 ausdrücklich fest – ich zitiere –:

„Dem Staat ist es dabei aber verwehrt, die Glaubensüberzeugungen der Bürger zu bewerten oder als ‚richtigʼ und ‚falschʼ zu beurteilen. Das gilt insbesondere dann, wenn dazu unterschiedliche Ansichten innerhalb einer Religionsgemeinschaft vertreten werden.“

Zitat Ende.

Wenn Zwang gegen ein Kind ausgeübt wird, lässt der rechtliche Rahmen bereits jetzt Eingriffe in die elterliche Fürsorge zu. Das ist auch gut so, meine Damen und Herren.

Darüber hinaus hat der Staat nicht zu beurteilen, welche Bekleidungsvorschriften aus religiöser Überzeugung zu befolgen sind. Abgesehen davon: Auf religiöse Praxis pauschal mit Verboten zu reagieren, schafft Ausgrenzung und Diskriminierung.

(Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Rainer Rothfuß [AfD]: Nein, gerade das Gegenteil!)

Außerdem polarisiert man damit unsere Gesellschaft. Mit einem Kopftuchverbot für Kinder zwingt man Kinder ferner dazu – zu Ende gedacht –, sich zwischen Elternhaus und Schule zu entscheiden. Das können wir keinem Kind antun, meine Damen und Herren.

(Zuruf der Abg. Mariana Iris Harder-Kühnel [AfD])

Besser ist es daher, den Versuch zu unternehmen, die Eltern mit pädagogischen Mitteln zu erreichen.

Die AfD will außerdem islamisch getraute Ehen abschaffen, weil sie für sie automatisch die Vielehe bedeuten. Das ist natürlich mitnichten so.

(Dr. Rainer Rothfuß [AfD]: Das ist einfach eine Falschbehauptung!)

Nicht jede islamisch getraute Ehe ist eine Vielehe; das ist absurd. Zugleich will sie für den Katholizismus aber eine Ausnahme. Weil die Scheidung im Kontext des Sakraments der Ehe im Katholizismus nicht möglich ist und eine erneute Heirat nach ihrer Logik eine Vielehe darstellen würde, will sie diese religiöse Praxis dann eben unberücksichtigt lassen.

(Beatrix von Storch [AfD]: Sie haben einfach gar keine Ahnung! Das ist Quatsch!)

Es geht ihr ganz einfach nur um den Islam. Der Rechtsstaat ist für diese Partei ganz offensichtlich ein Buch mit sieben Siegeln, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Pascal Kober [FDP])

Auch hier gilt: Der Staat hat nicht zu beurteilen, ob sich jemand islamisch trauen lässt oder nicht. Und ja, religiöse Trauungen ohne Standesamt sind in Deutschland prinzipiell möglich. Faktisch werden sie aber von den christlichen, jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften abgelehnt, da sie die standesamtliche Ehe zur Voraussetzung machen.

Aber in Wirklichkeit geht es der AfD um eine Absage an die sogenannte Verantwortungsgemeinschaft – man muss sich ja nur mal ihre Anträge durchlesen –, die die Ampel plant. Ihr einziges Argument dagegen ist die wenig praktizierte Vielehe im Islam hier in Deutschland.

Wir brauchen gegenwärtig kein gesetzliches Verbot, das am Ende weitere familien- und religionsrechtliche Probleme erzeugt. Wir brauchen personell gut aufgestellte Schulen und Familienberatungsstellen. Wir brauchen Menschen, die kompetent das Gespräch mit Eltern suchen können, um – vor allem für ihre Töchter – deren wirre Islamvorstellungen aus der Welt zu schaffen.

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Frau Kaddor, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Na klar.

René Bochmann (AfD):

Sehr geehrte Frau Kaddor, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Halten Sie es für richtig, dass in Bayern aus Respekt vor anderen Religionen die Kruzifixe abgehangen werden? Dabei sagen und fordern wir einfach nur: Religion gehört gar nicht mit ins öffentliche Leben, und daher sollte es im öffentlichen Bereich – in öffentlichen Gebäuden, in Verwaltungen, in Schulen – keine Kopftücher geben.

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank für die Frage. – Das ist relativ einfach zu beantworten. Tatsächlich gibt es dazu ein Gerichtsurteil, das vorsieht, dass nicht automatisch jedes Kruzifix abgehängt wird. Da bitte ich Sie, sehr genau zu sein, Herr Kollege. Kruzifixe sind nur dann abzuhängen, wenn es mehrere Beschwerden gibt, dass der soziale Frieden dadurch gestört ist; nur dann ist das Kruzifix abzuhängen. Übrigens gilt das auch für kopftuchtragende Lehrerinnen und Lehrer; also Lehrer nicht – Entschuldigung –, Lehrerinnen.

(Heiterkeit)

Noch tragen keine Männer Kopftücher. Aber Spaß beiseite: Das gilt ja auch für kopftuchtragende Frauen, also für Lehrerinnen. Wenn es vermehrt Beschwerden seitens der Schülerschaft oder der Elternschaft dahin gehend gibt, dass der soziale Frieden dadurch gestört wird, wird die Kollegin ermahnt bzw. angehalten, das Kopftuch abzusetzen. Das gilt hier genauso für Kruzifixe. Da wir ein Rechtsstaat sind,

(Beatrix von Storch [AfD]: Wir sind das christliche Abendland vor allen Dingen! Da werden die Kruzifixe nicht abgehängt, wenn Muslime das wollen!)

in dem das Verhältnis von Religion und Staat sehr genau geregelt ist, und neutral bleiben müssen, gelten solche Verbote und Gebote für alle Religionsgemeinschaften gleichermaßen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Beatrix von Storch [AfD]: Nee!)

Ich fahre mit meiner Rede fort. Wir brauchen Menschen, die kompetent das Gespräch mit Eltern suchen können, um – vor allem für ihre Töchter – deren wirre Islamvorstellungen aus der Welt zu schaffen. Das kann gerne mithilfe von Islamlehrerinnen und Islamlehrern oder auch mithilfe von örtlichen Imaminnen und Imamen geschehen, aber eben nicht mit einem Verbot.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Die nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke Gökay Akbulut.

(Beifall bei der LINKEN)

Bevor Sie an das Rednerpult treten, wünsche ich Ihnen im Namen des gesamten Hauses alles Gute zu Ihrem heutigen Geburtstag.

(Beifall)