Rede von Renate Künast Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel

23.06.2022

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Tribünen! Kennen Sie Brehms Tierleben? Ja, das ist, wenn man Geschichten erzählt, Herr Kollege, und hier großartig sagt: Alle anderen sind Ideologen. – Die Nummer liebe ich. Dann wird behauptet, die Studentinnen und Studenten würden keine Energiepreispauschale bekommen. 75 Prozent der Studentinnen und Studenten haben einen Minijob und bekommen deshalb eine Energiepreispauschale. So viel zu Brehms Tierleben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich will aber jetzt etwas zum Antrag der Linken sagen. Ich beschäftige mich schon viele Jahre mit dem Thema: Ernährung, Preise, Mehrwertsteuer usw. Jetzt muss ich doch leider ganz verhalten feststellen: Ein bisschen populistisch ist der Antrag schon, so kurz wie populistisch. Zwei kleine Forderungen und am Ende dann doch ein bisschen unterkomplex. Warum? Weil wir es doch mit zwei Punkten zu tun haben.

(Zuruf von der LINKEN)

– Es sind Vorschläge, natürlich.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Nein, sie hat gesagt: Du sollst bessere Vorschläge machen!)

– Ja, ist gut. Danke, Gesine, mache ich.

(Beifall der Abg. Katharina Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Sehr schön!)

Wir haben es doch mit zwei Aufgaben zu tun. Der erste Punkt ist, dass wir in der akuten Situation, was Sie ja eigentlich auch wollen, den Ärmsten der Armen, den Ärmeren finanziell helfen. Vor einigen Minuten hat in einer anderen Debatte Andreas Audretsch sehr genau – und andere auch – vorgerechnet, was die Entlastungspakete von uns bringen: 30 Milliarden Euro. Es gab auch andere Rechnungen. Wenn man mal alles einbezieht, kommen wir teilweise auf eine Entlastung von bis zu 100 Prozent. Und das alles wird in den nächsten Tagen wirken, zum Beispiel zum 1. Juli, meine Damen und Herren. Das ist der wichtige Punkt.

Der Kern dabei ist, dass man die Maßnahmen zielgenau macht. Man muss sich bei den Maßnahmen auch überlegen, wie sie denn bei den Ärmeren, bei den Bezieherinnen und Beziehern von Sozialleistungen oder von geringeren Einkommen ankommen, meine Damen und Herren. Deshalb ist ein 9‑Euro-Ticket – auch wenn es nur drei Monate gilt – eine erhöhte Grundsicherung. Das sind die Punkte, damit die Maßnahmen zielgenau ankommen und nicht mit einer Gießkanne ausgeschüttet werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Zweiter Punkt. Ich bin jetzt vielleicht diejenige, die zu dem Thema „Ernährung, Obst, Gemüse“ inhaltlich Stellung nimmt. Sie sprechen immer von Grundnahrungsmitteln, was noch mehr ist. Ich will das aufnehmen. Wenn Sie darüber reden, dass die Ärmsten der Armen sich doch mehr von der gesunden Ernährung wie Obst und Gemüse leisten können müssen – das fordern wir schon lange –, dann müssen Sie sich aber auch genauer angucken, welche Maßnahme wie wirkt.

Ich habe schon lange – wie auch viele bei uns – über die Mehrwertsteuersenkung für Gemüse, Obst und Hülsenfrüchte laut nachgedacht. Die würde, wenn man sie so einengt, 2 Milliarden Euro kosten. Natürlich ist nicht 100-prozentig absicherbar, dass sie auch umgesetzt wird. Im Jahr 2020 wurde eine Mehrwertsteuersenkung schon einmal umgesetzt und umgelegt und kam den Kundinnen und Kunden zugute. Das EU-Recht erlaubt das. Der Wissenschaftliche Beirat des Agrarministeriums hat das 2020 auch gefordert und hat das einmal durchgerechnet: Wenn man zwei Prozentpunkte runterginge, würde das 1 Prozent Nachfragesteigerung bedeuten. Wenn wir das weiterrechnen und die 7 Prozent Mehrwertsteuer ganz wegnehmen, dann würde das zu einer Nachfragesteigerung von 3,5 Prozent führen. Das sind 13 Gramm mehr, das heißt, 379 Gramm Obst und Gemüse würden gegessen. Das ist aber nur ein Drittel der Verzehrempfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. – Ich habe diese Rechenübung gemacht, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE])

Daran merken wir also, dass diese Maßnahme gar nicht ausreichen würde. Ich will das aber nicht veralbern, sondern ich will Ihnen sagen, dass wir auf dem Weg sind, um akut für die Ärmsten der Armen etwas zu tun. Für die Frage, was grundsätzlich zu tun ist, braucht es mehr als diese Mehrwertsteuerdebatte, meine Damen und Herren.

Ernährungsbedingte Erkrankungen gehören auch zum Thema „Ernährung“ in der Armut. 35 Milliarden Euro pro Jahr werden ausgegeben in Deutschland für die Behandlung von ernährungsbedingten Erkrankungen. Und deshalb brauchen wir ein ganzes Paket. Wir müssen über die Steuern diskutieren, über die Gemeinschaftsverpflegung. Ich würde mir wünschen, dass die Bundesländer – gerne auch Thüringen – die Kinderernährung kostenlos machen und eine gute Ernährung bieten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen an Kinder gerichtete Werbung für Zuckerbomben eindämmen. Wir müssen Subventionen verteilen. Und ich bin froh – das ist mein letzter Punkt, Frau Präsidentin –, dass die Verbraucherministerkonferenz uns all dieses als Aufgabe mitgegeben hat und gesagt hat, dass sie froh ist, dass die Bundesregierung eine umfassende Ernährungsstrategie bis nächstes Jahr erarbeiten will. In Ziffer 49 des Beschlusses steht: –

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Künast.

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

– bitte zielgenau mittlere und kleinere Einkommen entlasten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Kay Gottschalk [AfD]: Kann es sein, dass Sie bei den Grünen etwas großzügiger sind?)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Nein, das kann nicht sein. Ich kann Ihnen genau – wir haben es hier aufgeschrieben – zeigen, bei wem wann hier ermahnt worden ist. Ich bin bei Frau Künast immer besonders genau, weil wir uns schon länger kennen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das verstehe ich nicht!)

– Das weiß ich.

Jetzt aber hat der Kollege Robert Farle das Wort für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)