Rede von Corinna Rüffer Menschen mit Behinderungen

26.04.2018

Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Liebe Demokratinnen und Demokraten! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Verena Bentele, ich kann Ihnen jetzt leider nicht ausführlich für alles danken, was Sie in den letzten Jahren getan haben, in denen wir zusammengearbeitet haben, weil mir die Zeit dazu fehlt. Aber ich glaube, Sie wissen, wie groß unsere Wertschätzung ist, und damit spreche ich für meine gesamte Fraktion.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Liebe FDP, Sie haben natürlich recht. Es ist nicht egal, welche Worte wir verwenden, um etwas zu sagen. Und natürlich bezeichnet Teilhabe etwas ganz anderes als Schwerbehinderungen. Das ist absolut richtig.

Ich wollte eigentlich mit dieser Rede überhaupt nicht auf den rechten Diskurs eingehen, aber es bleibt einem in diesem Hohen Hause in diesen Zeiten nichts anderes übrig, als dass man doch noch ein paar Hinweise gibt.

Herr Witt, ich finde es infam, dass Sie zu Beginn Ihrer Rede beschreiben, wie Sie ein Kind mit Downsyndrom, das Sie als leidend bezeichnet haben, begleitet haben. Das ist Beweis und Beleg dafür, dass Sie keine Ahnung von dem haben, über das Sie hier reden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Es gibt die Internetseite Leidmedien.de , auf der Sie sich darüber informieren können, was eine passende Haltung zu diesem Themenfeld ist.

Aber was ich viel schlimmer finde, ist, dass Sie Kollegen in Ihren Reihen haben wie namentlich Herrn Josef Dörr, den Vorsitzenden der AfD im Saarland, der Kinder mit Behinderungen vergleicht mit Menschen, die an schweransteckenden Krankheiten leiden. Das ist so unglaublich, dass mir die Worte fehlen. Sie sollten sich alle in Schamesröte ergehen und am besten nach Hause gehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Allen, die die passenden Worte zum Thema AfD in formvollendeter Weise hören möchten, empfehle ich die Rede unseres Kollegen Matthias Zimmermann letzte Woche, der es auf den Punkt gebracht hat und der jetzt – so viel zum Thema – von Ihren Schergen bedroht wird. Dafür sollten Sie sich entschuldigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Schergen!)

Aber zurück zum Thema; denn es ist ein wichtiges Thema. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, von mir aus können wir gerne den Schwerbehindertenausweis in Teilhabeausweis umbenennen. Aber dabei dürfen wir es nicht belassen. Wir würden dem zustimmen, aber dahinter steckt natürlich eine große Erwartung. Denn wir alle wissen, dass Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in keiner Weise gleichberechtigt am Leben in diesem Land teilhaben können. Wer im Rollstuhl unterwegs ist, kann nicht in jedes Kino und in jede Eisdiele gehen. Verena Bentele hat es gerade gesagt. Wer im Rollstuhl unterwegs ist, kann nicht an dem teilhaben, was wir jeden Tag völlig selbstverständlich machen. Allein weil vielleicht zwei Stufen vor dem Eingang sind, ist der Zugang verhindert. Daran müssen wir etwas ändern.

Wer in Gebärdensprache kommuniziert, kann nicht ehrenamtlich tätig sein, weil die Kosten für die Gebärdensprachdolmetscher nicht übernommen werden. Ich habe in der letzten Woche die Antworten der Bundesregierung auf meine Kleine Anfrage dazu bekommen. Da sind riesige Probleme, die vor uns liegen. Diese Debatte wird nicht in Gebärdensprache übersetzt. Und dann reden wir über Teilhabe! Daran ändert ein Teilhabeausweis erst einmal gar nichts.

Ein extremes Beispiel für Exklusion ist, dass Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind und Assistenz brauchen, nach wie vor in Heime verfrachtet werden können, wenn die Behörde entscheidet, dass es zu teuer ist, ambulante Hilfen zur Verfügung zu stellen. Das hat mit Teilhabe nichts zu tun. Daran ändert auch das vielgelobte Bundesteilhabegesetz schlicht und ergreifend gar nichts.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das heißt, wir stehen ganz am Anfang der Entwicklung einer inklusiven Gesellschaft. Da sind riesige Baustellen, die wir zu bearbeiten haben.

Wir haben gestern im Ausschuss – um das einmal zu konkretisieren, weil das Thema so abstrakt ist – den Bericht der Schlichtungsstelle besprochen; Verena Bentele war dabei. Ich möchte ein Beispiel aus den vielen Beispielen, die in diesem Bericht erwähnt werden, herausgreifen. Es geht um eine Frau, die mitten im Leben steht, Rollifahrerin ist und deren Rolli kaputtgegangen ist. Die Krankenkasse hat sich zwei Jahre geweigert, den Rolli zu ersetzen. Wissen Sie, wozu das führt, wenn man im Rollstuhl sitzt? Das heißt, Teilhabe ist nicht mehr. Man kann sich im öffentlichen Raum nicht mehr bewegen. Diese Frau musste ihren Beruf aufgeben, weil sich die Krankenkasse geweigert hat. Wenn solche Fälle in diesem Land massenhaft auftauchen – jeder, der sich auf diesem Feld auskennt, weiß, dass das kein Einzelfall ist –, dann müssen wir sagen: Die inklusive Gesellschaft ist weit entfernt. Wir müssen viel beharrlicher daran arbeiten, dass sich daran etwas verändert. Das gilt in einer alternden Gesellschaft natürlich in besonderer Weise.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen volle Teilhabe. Wir wollen eine inklusive Gesellschaft. Ich möchte Ihnen sagen, was das bedeutet. Wäre Teilhabe selbstverständlich, würden Unternehmen langzeitarbeitslose und behinderte Menschen einstellen. Das tun sie aber nicht. Wäre die inklusive Gesellschaft Realität, dann müssten behinderte Menschen nicht in Werkstätten für behinderte Menschen arbeiten und am Ende des Monats mit einem Durchschnittslohn von 180 Euro für ihre Vollzeitarbeit nach Hause gehen. Das gäbe es dann nicht mehr. Lebten wir in einer inklusiven Gesellschaft, dann würden wir Kinder nicht weiter auf Förderschulen verweisen, auf denen zwei Drittel von ihnen keinen Schulabschluss machen. Da spreche ich Sie von der FDP noch einmal explizit an. Sie waren in den Ländern, wenn es um die Bildungschancen von Kindern ging – jedes Kind muss uns gleich viel wert sein, ob behindert oder nicht –, ein Bremsklotz, insbesondere bei der inklusiven Schule.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch immer!)

– Natürlich sind sie das noch immer, Markus Kurth.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das stimmt nicht!)

Es ist an der Zeit, dass wir darüber sprechen, wie wir konsequent einen gemeinsamen Weg auf den unterschiedlichen Ebenen gehen können. Wir gehen jetzt mit Ihnen, was den vorliegenden Antrag anbelangt. Aber jetzt muss es Butter bei die Fische geben. Bei Ihnen, Herr ­Beeck, habe ich ein gutes Gefühl, dass das gelingen kann. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Ich möchte, dass wir zusammen eine inklusive Gesellschaft gestalten.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Das führen Sie jetzt aber bitte nicht mehr aus.

Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich bin am Ende.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)