Marcel Emmerich MdB
26.04.2023

Marcel Emmerich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mauern, Kontrollen, Staus und Abschottung – das ist die abgedrehte Ausgrenzungskultur der AfD-Fraktion für Millionen von Bürgerinnen und Bürgern entlang der Grenze zu unseren Nachbarn.

(Jörn König [AfD]: Staus? Ihre Klimakleber machen Staus!)

Ich meine, diesen Vorschlag, der in dem Antrag formuliert ist, muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: stationäre Polizeikontrollen an der ganzen Landesgrenze, über 3 600 Kilometer, von der Nordsee Richtung Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, NRW,

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Jahrzehntelang gehabt! – Jörn König [AfD]: Aber 30 Milliarden im Jahr ausgeben für die ganze Flüchtlingsindustrie ist besser, oder wie?)

Saarland, Baden-Württemberg, runter nach Basel ans Rheinknie, über die Alpen, Bayern, entlang Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern bis nach Usedom an der Ostsee. Das ist wirklich ein lebensferner, ein blanker Unsinn, den Sie hier an dieser Stelle vorschlagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Jörn König [AfD]: Nein, ist es nicht! – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Da klatschen noch nicht mal die eigenen Leute!)

Die klassischen Grenzgänger – Handwerksbetriebe, die Familie, die in den langersehnten Urlaub reisen will, der freie Warenverkehr, Geschäftsreisende, Studierende, Liebespaare – sind die Menschen, die Sie mit Ihrer populistischen Blockade und für Ihre abstruse Abschottungspolitik in Mithaft nehmen.

(Jörn König [AfD]: Und was ist mit den 400 Messertoten pro Jahr? Was ist mit denen? Was erzählen Sie denen?)

All denjenigen, die an den abstrusen Ideen der AfD möglicherweise Gefallen finden, rate ich, an die deutsch-österreichische Grenze zu fahren – das habe ich gemacht – und sich die Realität dort vor Ort anzuschauen. Wenn man sich die Zahlen zu Gemüte führt, sieht man: Von über 15 Millionen Kontrollen von Mai 2016 bis Ende letzten Jahres konnte nur in 0,01 Prozent der Fälle wirklich eine sogenannte unerlaubte Einreise festgestellt werden.

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

Dafür werden unzählige Überstunden geleistet. Es fehlt Personal der Bundespolizei, dringend benötigt auch an Bahnhöfen und Flughäfen. Menschen stehen in den Grenzregionen stundenlang im Stau oder verpassen ihre Züge. All das schadet den Menschen vor Ort, in den Grenzregionen; das schadet der Wirtschaft, und es ist auch sicherheitspolitisch höchst ineffektiv. Damit löst man keine Probleme, sondern schafft täglich neue.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen bleibt es auch dabei, dass die Binnengrenzkontrollen nach Österreich ein Fehler sind.

Schauen wir uns doch mal an, was die sogenannte unerlaubte Einreise faktisch ist: Sie ist ein künstlicher Papiertiger, der Strafverfahren produziert, die stets eingestellt werden, sobald Geflüchtete einen Asylantrag stellen. So ist es Rechtspraxis, weil die unerlaubte Einreise, also ohne Papiere oder Visum, in der Regel natürlich Geflüchtete betrifft, die nach internationalem Recht nicht wegen sogenannter unerlaubter Einreise verfolgt werden dürfen. So will es die Genfer Flüchtlingskonvention, und so ist es geübte Rechtspraxis in Deutschland.

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)

Was bleibt, ist viel Arbeit für die Behörden, ein riesiger Papiertiger, der am Ende wieder als Bettvorleger landet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Was es stattdessen braucht, ist eine rechtssichere und solidarische Perspektive für die Menschen vor Ort. Dafür müssen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizeien und gemeinsame polizeiliche Zentren an der Grenze zu den Nachbarstaaten ausgebaut werden. So stärken wir den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit wirklich.

Schauen wir nach Kehl, schauen wir an die deutsch-französische Grenze, nach Straßburg: Hier gibt es so ein Zentrum zur Zusammenarbeit von Polizei und Zoll, und sie bearbeiten jedes Jahr 18 000 Anfragen.

(Jörn König [AfD]: 18 000 bei 400 000, die kommen! Merken Sie selber, oder?)

Das ist ein zentraler Bestandteil der Sicherheitspartnerschaft. So bekämpft man schwerste grenzüberschreitende Kriminalität wirklich. Da müssen wir noch stärker zusammenarbeiten; das schafft einen echten Mehrwert für die Polizei und auch für die Menschen in der Grenzregion in Sachen Sicherheit.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Jürgen Coße [SPD])

Haftlager an den Grenzen und Verfahren in Ländern, die selbst Menschenrechtsverletzungen begehen, stellen dagegen einen beschämenden Bruch der Menschenrechte dar; denn die überwiegende Anzahl an Geflüchteten kommt nun mal aus Kriegsländern wie der Ukraine, aus Unrechtsstaaten wie Afghanistan und Syrien. Deshalb stehen wir als Koalition zu Recht zu unserer humanitären Verantwortung, einem echten Zugang zu funktionierenden Asylverfahren und der Unterstützung bei einer menschenwürdigen Unterbringung von Schutzsuchenden.

Eine gute Asyl- und Menschenrechtspolitik ist kein Feld für Grundrechtsverstöße und Schnellschüsse. Eine Wagenburgmentalität ist von Beginn an zum Scheitern verurteilt; denn wirklich voran kommen wir nur gemeinsam.

(Tino Chrupalla [AfD]: Wie denn?)

Dazu gehören aus meiner Sicht zwei Punkte. Verantwortung teilen ist der erste. Der beschlossene EU-Solidaritätsmechanismus ist ein erster Schritt und muss deshalb permanent so weiterentwickelt werden, dass er funktioniert.

(Alexander Throm [CDU/CSU]: Es zeigt ja bloß niemand Solidarität, außer Deutschland! – Jörn König [AfD]: Seit acht Jahren entwickeln Sie jetzt alles weiter! Super!)

Das entlastet die Länder, die am stärksten betroffen ist.

Der zweite Punkt sind ein sicherer Zugang für Geflüchtete zu Asylverfahren und einer menschenwürdigen Unterbringung in den EU-Mitgliedstaaten und gemeinsame Standards; denn verbesserte Bedingungen in anderen Ländern können Sekundärmigration in der EU gut entgegenwirken.

Das sind Maßnahmen, die wir gemeinsam angehen. Keine halbgaren und populistischen Vorschläge, sondern das Bohren harter Bretter – das ist unser Politikansatz an dieser Stelle.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Helge Lindh [SPD] – Dr. Bernd Baumann [AfD], an SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gewandt: Da müssen Sie klatschen!)

Daran konstruktiv mitzuarbeiten, faktenbasiert und grundrechtsorientiert, dazu lade ich alle ein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich will zum Schluss noch einen Punkt nennen, weil man ja den Eindruck hat, die CDU/CSU-Fraktion mit ihrem Kommunaltag wären die einzigen, die mit den Kommunen reden: Das ist mitnichten der Fall. Wir anderen Abgeordneten stehen natürlich auch in einem steten Austausch mit ihnen.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Ihr müsst mal zuhören! Zuhören! – Alexander Throm [CDU/CSU]: Dann müssten Ihnen ja die Ohren klingeln!)

Wir wissen um die Herausforderungen; die Kommunen leisten da großartige Arbeit. Es ist vollkommen klar, dass wir auch bei der Frage der finanziellen Unterstützung noch mehr Bedarf haben, und dafür setzen wir uns als grüne Fraktion auch intensiv ein.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Stephan Thomae [FDP] – Jörn König [AfD]: Hören Sie mal auf Boris Palmer! Ich würde mal auf Ihren Parteifreund hören!)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat die Kollegin Clara Bünger für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)