Rede von Canan Bayram Mindeststrafen bei Besitz kinderpornografischer Inhalte

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14.03.2024

Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Amtsrichter aus München hat das Bundesverfassungsgericht angerufen, weil er eine Mutter nicht verurteilen wollte. Sie war angeklagt wegen des Besitzes und der Verbreitung von sogenannter Kinderpornografie. Das klingt nach Abbildungen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder, von Videos, die im Darknet verbreitet und in kriminellen Ringen geteilt werden. Das ist aber in diesem Fall nicht so gewesen. Was war passiert? Die Mutter hatte von ihrem Kind erfahren, dass es ein einzelnes Nacktbild von einem anderen Kind erhalten hat. Um andere Eltern vorzuwarnen, speicherte sie das Bild und leitete es zur Warnung an andere Eltern weiter.

Dass diese Mutter genau das gemacht hat, was Mütter wahrscheinlich üblicherweise in so einer Situation machen würden, ist meines Erachtens offensichtlich. Ihr Verhalten ist sicher nicht das, was man sich unter der Verbreitung von sogenannter Kinderpornografie vorstellt, meine Damen und Herren. Aber dem Richter sind nach geltendem Recht die Hände gebunden: Er kann das Verfahren gegen die Mutter nicht einfach einstellen. Grund ist, dass es sich hierbei gemäß § 184b Strafgesetzbuch seit der Einführung einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe im Jahr 2021 um ein Verbrechen handelt. Dass genau so etwas passieren würde, meine Damen und Herren, war schon klar, als wir das Gesetz vor drei Jahren hier erlassen haben. Aber die Union hat damals – auch das gehört zur Wahrheit dazu – die Augen davor verschlossen.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Die Union war’s? Vielleicht auch die SPD? – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Wer war denn Justizministerin zu der Zeit? – Gegenruf des Abg. Dr. Johannes Fechner [SPD]: Wir wollten es ändern, ihr nicht!)

In der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss waren die Sachverständigen sich einig, dass eine Hochstufung zum Verbrechen dazu führen würde, dass keine tat- und schuldangemessene Reaktion auf Einzelfälle mehr möglich sein würde. Auch ich bzw. wir von den Grünen haben davor gewarnt und das Gesetz deswegen abgelehnt, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Katrin Helling-Plahr [FDP])

Lehrerinnen, die zur Beweissicherung Videos speichern, um die Eltern zu warnen, aber auch die Jugendlichen selbst, die sich vielleicht einfach in einer Chatgruppe befinden, in der ein Nacktfoto gepostet wird, das automatisch auf dem Handy gespeichert wird – auf solche Fälle könnten Strafverfolgungsbehörden und Justiz angemessen reagieren, wenn die Mindeststrafe nach § 184b wieder unter einem Jahr liegen würde. Die Strafverschärfung führt in der geltenden Praxis dazu, dass Eltern und Lehrpersonal davon abgeschreckt werden, Missstände aufzudecken, weil sie sich möglicherweise selbst einer Strafverfolgung aussetzen würden. Das führt aber auch dazu, dass Beweise nicht gesichert werden können, da dies eben immer mit der Strafverfolgungsgefahr verbunden ist. Wir alle haben dazu verschiedene Artikel gelesen, weil die Presse das in einer Art und Weise aufbereitet hat, dass keiner mehr die Augen davor verschließen kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sonja Eichwede [SPD] und Katrin Helling-Plahr [FDP])

Es geht doch nicht darum – das ist, was uns umtreibt –, Kindern und Jugendlichen Zukunftschancen zu verbauen. Wenn sie deswegen verurteilt werden, dann steht das im Zentralregister, und zwar in einer Kategorie, die dazu führt, dass wir ihre berufliche und persönliche Zukunft beschneiden, meine Damen und Herren. Denn Freiheitsstrafen von mindestens einem Jahr führen auch in diesem Alter zu einem Eintrag, der das Leben vorzeichnet, und das wollen wir nicht verantworten, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Deswegen brauchen wir ganz dringend eine Änderung dieses Gesetzes.

Dazu kommt, dass die Strafverfolgung dieser Fälle Kapazitäten bindet, die bei der Aufdeckung von echten Kinderpornografieringen dringend gebraucht werden. Dadurch, dass in jedem Fall Anklage erhoben werden muss und auch das Strafbefehlsverfahren bei Verbrechen ausgeschlossen ist, gibt es seit der Verschärfung eine massive Mehrbelastung der Justiz, meine Damen und Herren, und das müssen wir wieder ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich fasse zusammen: Das Gesetz war vielleicht gut gemeint, wurde aber eindeutig schlecht ausgeführt. Deswegen haben wir uns vorgenommen, das zu ändern. Mit dem Gesetzentwurf, der jetzt vom Justizminister, Herrn Buschmann, vorgelegt wurde, ist die Situation so zu verändern, dass die Mindeststrafe auf sechs Monate Freiheitsstrafe verringert wird, dabei aber die neue Höchststrafe, die wir vor drei Jahren eingeführt haben, beibehalten wird. Das schauen wir uns im parlamentarischen Verfahren genau an.

Ich kann Ihnen jetzt schon versprechen: Wir als Fortschrittskoalition werden die Sachverständigen nicht nur in den Rechtsausschuss einladen, sondern ihnen auch zuhören, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das ist ja was ganz Neues, eine neue Methode! – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Ausnahmsweise!)

Und dann, lieber Herr Krings, werden wir ein Gesetz auf den Weg bringen, das besser ist als Ihr Versuch vor drei Jahren.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die SPD-Fraktion hat nun Sonja Eichwede das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)