Rede von Steffi Lemke Munitionsaltlasten in den Meeren

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15.04.2021

Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1,6 Millionen Tonnen Munitionsaltlasten – die Zahl ist mehrfach genannt worden – plus 5 000 Tonnen chemische Substanzen, die noch hinzuzurechnen sind – das ist eine für die wenigsten von uns wirklich plastisch vorstellbare Menge. Das ist auch der Hauptgrund, warum die Bundesländer, die Anrainerstaaten dieses Problem definitiv nicht alleine bewältigen können. Die schiere Menge ist so groß – wenn wir das aufgrund ihrer formalen Zuständigkeit allein bei den Bundesländern belassen, wird es in der erforderlichen Zeit keine Problemlösung geben. Und die Zeit ist eben nicht unendlich; denn durch die Zersetzung der Kampfmittel – die Gezeiten sind genannt worden, Korrosion ist genannt worden – existiert eine sehr bedrohliche Situation für die Ostsee, für die Nordsee, und wir reden hier im Moment nur über die deutschen Gewässer. Deshalb muss schnell gehandelt werden, es muss unideologisch gehandelt werden, es muss an einer praktischen Lösung orientiert gehandelt werden, und die Länder brauchen die Unterstützung des Bundes.

Wir hatten im letzten Jahr dazu ein parlamentarisches Frühstück; die Kollegen, die dabei gewesen sind, werden sich noch erinnern. Einer der anwesenden Unternehmer, der sich mit der Räumung dieser Kampfmittel beschäftigte, sagte: Tolle Sache, dass ihr Abgeordneten das hier gemacht habt, aber es wird wieder nichts passieren; so geht das schon seit 20 Jahren. – Das will ich nicht als Endpunkt in dieser Legislaturperiode für dieses Thema stehen lassen. Deshalb bin ich dem Kollegen in der Beek sehr dankbar, dass wir – FDP und Grüne arbeiten ja jetzt nicht jeden Tag zusammen – diesen gemeinsamen Antrag machen konnten. Wir hatten uns um einen interfraktionellen bemüht, gemeinsam mit der Koalition. Das ist an der Union gescheitert.

Aber deshalb, Frau Damerow, habe ich in der Tat die Erwartungshaltung, dass es, wenn Sie jetzt als Koalition einen eigenen Antrag vorlegen, zu substanziellen Weichenstellungen kommt, damit endlich mehr als bisher praktisch gehandelt wird.

Es wird zu wenig geborgen, und es ist nach wie vor zu wenig kartiert. Aber das Hauptproblem ist, dass im Moment nicht praktisch herausgeholt wird und sich das Zeitfenster dafür schließt. Deshalb haben wir einen Antrag mit einem umfassenden Forderungskatalog vorgelegt; ich kann ihn hier aufgrund der knappen Redezeit nicht vortragen. Aber das Wichtigste ist, zwischen Bund und Ländern eine gemeinsame Strategie zur praktischen Räumung zu entwickeln, dafür auch das Prozessmanagement der Länder zu unterstützen und in die finanzielle Mitverantwortung zu gehen.

Vizepräsident in Dagmar Ziegler:

Erlauben Sie eine Zwischenfrage von Christoph Hoffmann?

Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Bitte sehr.

Dr. Christoph Hoffmann (FDP):

Vielen Dank für die Ausführungen. Sie haben ja gerade eben kritisiert, dass bisher nichts passiert.

Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Zu wenig!

Dr. Christoph Hoffmann (FDP):

Würden Sie mir zustimmen, dass vielleicht die bisherige Beteiligung des Bundes in finanzieller und organisatorischer Hinsicht viel zu gering war, um das Problem wirklich zu lösen? Denn für die Bundesländer, wie Sie sagen, wäre es ja ein Riesenbrocken. Und es ist völlig klar, dass ich mich mit Blick auf meinen Landeshaushalt nicht freiwillig in eine solche Sache hineinstürze. Also, da müsste doch eigentlich ein bisschen mehr vom Bund kommen als die bisherigen 50 Prozent, oder?

Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Da gebe ich Ihnen recht, lieber Kollege, und stimme Ihnen voll und ganz zu. Ich will nicht sagen, dass nichts passiert ist. Damit würden wir ja die Anstrengungen der Bundesländer und auch die zu geringen Anstrengungen des Bundes negieren, und das will ich nicht tun. Aber angesichts der schieren Menge und des sich schließenden Zeitfensters ist es definitiv zu wenig.

Wir können nicht sagen: Für Kampfmittelbeseitigung sind halt nun mal die Länder zuständig. – Wir reden über 1,6 Millionen Tonnen, und wir reden hier auch nicht über da mal einen Blindgänger, dort eine nicht hochgegangene Granate oder Bombe, sondern wir reden über die Versenkungsgebiete in den deutschen Meeren, wo, um damals die Truppen schnell zu entwaffnen, diese Substanzen, diese Granaten und Bomben, in rauen Mengen, in enormer Vielfalt versenkt worden sind. Niemand weiß genau, wo was liegt, außer in einzelnen Gebieten, die unter anderem GEOMAR inzwischen kartiert hat, sodass wir diese Kenntnisse haben. Aber das ist nicht das, was normalerweise ein Landeskampfmittelbeseitigungsdienst macht.

Deshalb erwarte ich gemeinsam mit Ihrer Fraktion, dass der Bund stärker in die Mitverantwortung geht. Das wird definitiv eine Aufgabe für die nächste Bundesregierung sein, wer auch immer diese dann stellen wird. Aber wir dürfen Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen damit nicht länger alleine lassen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zuruf von der FDP: Und Niedersachsen!)

– Und Niedersachsen. – Das dürfen wir in der Tat nicht weiter zulassen; deshalb unser gemeinsamer Antrag.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Ich will auch nicht, dass das, was im Sommer 2019 geschehen ist, als der Bund ja gehandelt hat – ich muss das jetzt zynischerweise als Handeln beschreiben –, als die Bundeswehr im Rahmen eines NATO-Manövers Munition unter dem vorgeschobenen Argument der Sicherung von Schifffahrtsrouten gesprengt hat, unter dem Bruch von Naturschutzrecht und mit der Folge einer Vielzahl von toten Schweinswalen, wieder geschieht. Das sagt sich so dahin; aber für den Schweinswal hat Deutschland eine besondere Schutzverantwortung. Und ich bin fest davon überzeugt, dass die Bundesregierung, dass die Bundeswehr, dass die Marine einen besseren Beitrag zur Bergung dieser Munitionsaltlasten leisten kann, als dort wider das Naturschutzrecht zu sprengen, mit katastrophalen Folgen für den Naturschutz.

Deshalb lassen Sie uns das gerne fraktionsübergreifend gemeinsam weiter konstruktiv anpacken und die nächste Bundesregierung – wie gesagt, wer auch immer sie stellen wird – bei diesem Thema weitertreiben, damit etwas passiert.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler:

Danke sehr. – Das Wort geht an Peter Stein von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)