Rede von Filiz Polat Muslim*innen in Deutschland

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14.01.2021

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst richte ich einen Dank an die Fraktion Die Linke. Die Große Anfrage ermöglicht uns, umfassend über antimuslimischen Rassismus in diesem Hohen Hause zu debattieren. Umso enttäuschender ist allerdings die sehr träge und doch unambitionierte Antwort der Bundesregierung. Vor allem die notwendigen umfassenden politischen Antworten auf die eindrücklich beschriebene Bedrohungssituation von Musliminnen und Muslimen fehlt, meine Damen und Herren. Herr de Vries, der Kabinettsausschuss wird nicht mit einem Wort erwähnt. Das ist schon bezeichnend für 150 Seiten als Antwort auf eine Große Anfrage, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Christoph de Vries [CDU/CSU]: Diese Anfrage ist vor einem Jahr beantwortet worden!)

In Deutschland hat es im Jahr 2019 statistisch jeden zweiten Tag islamfeindliche Angriffe auf Moscheen und muslimische Einrichtungen gegeben – jeden zweiten Tag! Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Diskriminierung – laut der Antwort auf die Große Anfrage – erfahren Musliminnen und Muslime in allen Lebensbereichen: im öffentlichen Raum, am Wohnungs- und Arbeitsmarkt, in Bildungseinrichtungen, im Gesundheitswesen und vor allem im Netz. Insbesondere Frauen, so dokumentiert die Antidiskriminierungsstelle, die ein Kopftuch tragen, sind von Mehrfachdiskriminierungen, verbaler und körperlicher Gewalt betroffen, meine Damen und Herren. Das können wir nicht hinnehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ministerin Giffey schafft es trotz dieser erschreckenden Zahlen aus dem Bericht der eigenen Antidiskriminierungsstelle nicht, eine dringend notwendige Reform des 15 Jahre alten Antidiskriminierungsgesetzes vorzulegen, meine Damen und Herren. Ein Armutszeugnis, absolut ungenügend! Lassen Sie mich auch sagen: Keine gute Bilanz für eine Kandidatin, die Bürgermeisterin der weltoffenen Stadt Berlin werden möchte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Bundesregierung hat keinen Überblick über die von Beratungsstellen bearbeiteten Fälle, meine Damen und Herren. Ähnlich geht es den Betroffenen selbst mit Blick auf mögliche Anlaufstellen: 70 Prozent der Betroffenen sagen laut einer Studie der Antidiskriminierungsstelle – so zitiert in der Antwort –, dass sie keine Beratungsangebote für Diskriminierungsvorfälle kennen, meine Damen und Herren. Das ist doch ein katastrophaler Zustand; den gilt es abzustellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Christine Buchholz [DIE LINKE])

Es braucht endlich einen Neustart in der Antidiskriminierungspolitik. Dazu gehören eine Reform des AGG, die Aufwertung der Antidiskriminierungsstelle und eine Kofinanzierung von Beratungsstellen in den Ländern für einen niedrigschwelligen Zugang zum Diskriminierungsschutz. Das sind wir den Betroffenen schuldig, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Christine Buchholz [DIE LINKE])

Antimuslimische Vorurteile sind tief verwurzelt in allen gesellschaftlichen Schichten und im Übrigen über alle Parteigrenzen hinweg. Die Muslimfeindlichkeit hat aber eine hohe Bindekraft für rechtsextreme und rechte Parteien. Sie nutzen diese Stimmung in der Bevölkerung, um sich und ihre Politik in der Mitte der Gesellschaft anschlussfähig zu machen. Es ist wirklich fünf vor zwölf. Nehmen Sie die Ängste und Sorgen der Musliminnen und Muslime endlich ernst. Aus persönlichen Berichten weiß ich um die seelischen Verletzungen durch Diffamierung, vor allem im Alltag.

Meine Damen und Herren, Solidarität und Anteilnahme sind das Gebot der Stunde. Es ist an uns allen, tagtäglich gemeinsam gegen jede Form von Rassismus und Menschenfeindlichkeit aufzustehen, damit dem Hass der Nährboden entzogen wird; denn dieser Angriff ist ein Angriff auf uns alle: auf unsere Freiheit, auf unsere Gesellschaften und auf unsere Demokratien. Stellen wir uns dem gemeinsam entgegen, gerne noch in dieser Legislaturperiode mit einem parteiübergreifenden Antrag oder einer Resolution.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Polat. – Herr Professor Castellucci, Sie müssen noch einen kleinen Moment warten. Wir kommen jetzt noch zu anderen Dingen.

Der Kollege Hans-Jürgen Irmer, CDU/CSU-Fraktion, hat seine Rede zu Protokoll gegeben.

Bevor ich Herrn Professor Dr. Lars Castellucci das Wort erteile, will ich darauf hinweisen, dass die Zeit für die namentliche Abstimmung gleich vorbei ist. Ich komme deshalb zurück zu Zusatzpunkt 16 und frage in der ersten Runde: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht zu sehen. Ich muss trotzdem noch zwei Minuten oder anderthalb Minuten bis 18.29 Uhr warten.

Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten, Herr Kollege Castellucci:

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie fangen Ihre Rede an. – Oh, es kommen noch Leute. – Noch schließen wir nicht, also einen kleinen Moment noch. Herr Castellucci, es ist besser, Sie warten noch die 20 Sekunden

(Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Sie können ja runterzählen!)

Und reden dann in einem Stück.

Noch einmal die Frage: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Es kommt noch jemand; sensationell! Hoffentlich niemand aus Schleswig-Holstein; das würde mich betrüben.

(Zuruf von der LINKEN: Ach, Sie haben doch gewonnen! Das reicht doch!)

– Nein, nicht deshalb. Beim letzten Mal waren es Schleswig-Holsteiner, die noch kamen.

Sehr gut. Also, letztmalig der Aufruf: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Ich stelle fest: Das ist nicht der Fall. – Damit schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.

So, und nun, Herr Kollege Professor Castellucci, haben Sie als letzter Redner zu dem Tagesordnungspunkt 20 das Wort.

(Beifall bei der SPD)