Rede von Sven-Christian Kindler Nachtragshaushalt 2021

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27.01.2022

Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir zeigen hier heute mit diesem Nachtragshaushalt, dass wir eine Politik umsetzen, die sich an der konkreten Realität dieser Pandemie und ihren Folgen orientiert. Wir machen keine Politik der ideologischen Scheuklappen.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wer glaubt das denn?)

Wir werden das Notwendige tun und finanzieren, um diese Pandemie und ihre massiven ökonomischen Folgen nachhaltig und zukunftsfest zu überwinden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Kollege Dennis Rohde hat es angesprochen: Wir sind in Deutschland seit genau zwei Jahren in einer Jahrhundertpandemie. Die frühere Kanzlerin Frau Merkel hat von der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg gesprochen. Diese Krise betrifft nahezu alle Bereiche des Lebens: die Produktion, die Wirtschaft, die Gesellschaft. Deswegen war es hier im Hause immer klarer Konsens, dass wir nicht nur die pandemiebedingten Gesundheitsausgaben über Kredite finanzieren können – Krankenhäuser, Impfstoffe, Gesundheitsämter –, sondern natürlich in diesem Notfall auch die sozialökonomischen Folgen dieser Pandemie mit Krediten abfedern und bewältigen können und müssen.

Und wir haben massive ökonomische Schäden durch diese Pandemie. Das kann niemand bestreiten. Die Bundesregierung hat gerade erst ihre Prognose für das Wachstum in diesem Jahr deutlich gesenkt. Es gibt massive ökonomische Spätfolgen durch diese Pandemie wie geringere Investitionen. Wir haben massive Unsicherheiten in der Volkswirtschaft. Wir haben massiv gestörte globale Lieferketten. Angesichts dieser Situation will ich daran erinnern, dass wir hier im Hause den breiten Konsens hatten, dass wir diese ökonomischen Folgen auch mit Coronakrediten bewältigen können.

Ich finde, wenn man jetzt in der Opposition ist, kann man nicht einfach das verleugnen, was man vorher in der Regierung gemacht hat. Ich erwarte, dass die Union sich jetzt nicht in die Büsche schlägt und aus der Verantwortung stiehlt, sondern ich erwarte, dass die Union auch in der Opposition Verantwortung übernimmt, gerade in einer Jahrhundertpandemie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Man darf angesichts der massiven ökonomischen Risiken jetzt nicht einfach die Hände in den Schoß legen, wie es die Union vorschlägt. Das wäre eine massive Gefahr für unsere Volkswirtschaft. Das gäbe nicht nur Probleme für das wirtschaftliche Wachstum. Das würde auch die wirtschaftliche Erholung nach dieser Pandemie gefährden. Das würde Tausende Arbeitsplätze gefährden. Ich finde, Sparen um des Sparens willen, aus ideologischen Gründen, wie es die Union vorschlägt, und das mitten in einer Pandemie, das ist keine Alternative für Deutschland.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Die öffentliche Anhörung hat ja noch mal sehr deutlich gezeigt, dass alle ernstzunehmenden ökonomischen Sachverständigen im Kern den Nachtragshaushalt unterstützt haben. Es gibt jetzt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft. Die Union hat überhaupt keine ökonomischen Sachverständigen für die Anhörung vorgeschlagen. Sie hat gar keinen gefunden, der ihre These unterstützt und ökonomisch gestützt hat. Das ist doch die Wahrheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Der Ökonom Jens Südekum hat sehr klar gesagt: Es droht ein ökonomisches Long Covid durch diese Pandemie. – Wir wollen nicht, dass die Volkswirtschaft nachhaltig geschädigt wird. Wir wollen jetzt eine Grundimmunisierung unserer Volkswirtschaft gegen das ökonomische Long Covid, einen nachhaltigen Weg aus der Krise mit öffentlichen und privaten Investitionen. Die Antwort darauf ist dieser Nachtragshaushalt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Bei vielen Ökonominnen und Ökonomen besteht große Einigkeit darin, dass wir gezielte Impulse und Investitionen brauchen, um diese Pandemie auch mittelfristig zu überwinden. Klar ist auch, dass nirgendwo in der Verfassung steht, dass wir diese notwendigen Ausgaben und Investitionen nicht mit Klimaschutz und der Transformation verbinden können. Es gibt dafür kein Verbot.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Im Gegenteil: Wenn wir das historische Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz aus dem letzten Jahr ernst nehmen, wenn wir das völkerrechtlich verbindliche Pariser Abkommen ernst nehmen, wenn wir ernst nehmen, dass es um die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen, unserer Kinder und Enkel, geht – das sind alles rechtliche Verpflichtungen, die wir haben, aufgrund des Urteils des Verfassungsgerichts, aufgrund des völkerrechtlichen Abkommens – , wenn wir das als Gesetzgeber ernst nehmen, was wir ernst nehmen müssen, dann müssen wir doch pandemiebedingte ökonomische Maßnahmen erst recht mit Klimaschutz und der Transformation verbinden. Und genau das machen wir mit diesem Nachtragshaushalt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Um es anders zu sagen: Wenn wir jetzt gesamtwirtschaftliche Impulse geben müssen, dann können wir doch gerade nicht zum Beispiel in Braunkohlekraftwerke, Ölheizungen oder in fossile Verbrenner – Stichwort „Abwrackprämie“ – investieren, wie es die Regierung Merkel vor zehn Jahren in der letzten Finanzkrise gemacht hat. Wir müssen doch gerade jetzt in CO2-freie Mobilität, CO2-freie Energieversorgung, in Klimaschutz und Transformation investieren, weil das für die Zukunft richtig ist, aber auch, weil das Arbeitsplätze sichert, neue schafft und neue wirtschaftliche Chancen eröffnet. Genau das machen wir mit diesem Nachtragshaushalt. Das ist ein zukunftsfester Weg aus dieser Pandemie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Ich erwarte von der Union schon Ehrlichkeit und Konsistenz in der Argumentation. Kollege Rohde hat darauf hingewiesen: Im Zweiten Nachtragshaushalt 2020 wurden von der damaligen Regierung aus CDU/CSU und SPD Rücklagen in Höhe von 26 Milliarden Euro in den Energie- und Klimafonds gepackt; diese Mittel kamen auch aus coronabedingten Notfallkrediten. Wir haben das damals als Grüne in der Opposition auch unterstützt.

Ich will darauf hinweisen, dass die meisten Bundesländer Rücklagen aus coronabedingten Notfallkrediten bilden und diese auch in der Zeit nach der Pandemie einsetzen, um die Folgen besser abzufedern und dafür zu sorgen, dass man mittelfristig gut aus der Pandemie herauskommt; insbesondere Bayern und NRW machen das. Ich will das hier im Detail gar nicht kritisieren, auch wenn das nicht so gut begründet ist und nicht so viel Konnexität hat, wie es der Bundestag jetzt macht. Aber was ich kritisieren will, sind die doppelten Standards und die Scheinheiligkeit der Union. Das ist Doppelmoral, was Sie machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Zum Schluss will ich auf Folgendes hinweisen: Die Union spricht hier heute in ihrem Antrag von einer Verletzung des parlamentarischen Budgetrechts. Ich halte das für eine Frechheit. Wir haben alles sehr klar begründet. Die Regierung hat es klar begründet. Der Bundestag hat es sehr klar begründet. Wir haben hier einen Antrag zum Artikel 115 Grundgesetz vorgelegt. Wir hatten eine öffentliche Anhörung im Haushaltsausschuss. Wir haben im Haushaltsausschuss noch einmal die Zwecke der Ausgaben sehr klar konkretisiert und kritisiert, wofür das Geld ausgegeben wird. Wir werden im Haushaltsausschuss konkret darüber entscheiden. Wir haben das volle parlamentarische Budgetrecht. Wir werden das als Koalition auch ausüben. Dieser Nachtragshaushalt ist verfassungsfest. Er ist ökonomisch sinnvoll, und deswegen werden wir ihn heute beschließen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Für die Linksfraktion und zum ersten Mal in diesem Haus spricht jetzt Janine Wissler.

(Beifall bei der LINKEN)