Rede von Omid Nouripour Naher Osten
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Dağdelen, Sie bringen mich jetzt in die Verlegenheit, die SPD verteidigen zu müssen. Deren Kollegin hat nämlich gerade selbstverständlich den Einmarsch der Türkei nicht nur benannt, sondern ihn auch völkerrechtswidrig genannt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Was aber hier vom Pult aus nicht gesagt wurde, ist dies: Sie haben kein einziges Wort der Verurteilung Richtung Assad gesagt. Hier liegen drei Anträge zu Syrien vor, die alle blöd sind.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Aber Sie haben in sechs Minuten nicht ein Mal „Assad“ gesagt. Das ist das Problem an dieser Debatte hier. Es ist ein Problem, dass Sie über massenweise Verbrechen reden, aber auf einem Auge schlicht blind sind. Das ist nicht hinnehmbar und nicht erträglich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Uns liegen insgesamt vier Anträge der AfD vor. Der eine Antrag befasst sich mit Libanon, und zu diesem Antrag fällt mir nicht mehr viel ein. Wir haben uns darüber schon ausgetauscht, es gab schon eine Lesung dazu. Aber das bringt mich dazu, an dieser Stelle noch einmal auch für meine Fraktion zum Ausdruck zu bringen, dass wir es trotz aller Dissenspunkte, die wir mit der Regierung Netanjahu haben – es sind viele, und sie brauchen Raum, um erörtert zu werden –, nicht hinnehmbar finden und scharf verurteilen, dass es in dieser Woche wieder einmal diese Angriffe und Raketenbeschüsse gegeben hat. Die Sicherheit Israels ist für uns konstitutiv.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der AfD und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Des Weiteren gibt es einen Antrag, in dem die AfD einen KSZE-Prozess für den Nahen Osten fordert. Das klingt immer gut.
(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das haben Sie selber im Ausschuss vorgetragen!)
Historische Beispiele lassen jemanden auch immer großbürgerlich erscheinen. Aber die Frage, wie das gehen soll, beantworten Sie so – ich zitiere aus Ihrem Antrag –: Die Bundesregierung soll ein realistisches Konzept dafür vorlegen.
(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Ja!)
Das ist die gesamte Antwort auf die Frage, wie das gehen soll. Ehrlich gesagt: Wir als Fraktion – das gilt nicht nur für uns; das gilt auch für alle anderen Fraktionen hier – überlegen uns in der Regel Lösungen und nicht nur Dinge, die schön klingen. Ich wundere mich, warum Sie nicht den Königsfriedensvertrag zwischen Sparta und Athen aus dem Jahr 386 vor Christus hier erwähnt haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das liegt ja nicht im Vorderen Orient!)
Auch als Opposition muss man zumindest so tun, als würde man sich Gedanken darüber machen, wie etwas gehen soll, und kann nicht sagen: Wir haben eine große Idee, die Bundesregierung soll sagen, wie es ist.
Damit komme ich zum Kern dessen, warum Sie diesen Tagesordnungspunkt, Syrien überhaupt aufgesetzt haben.
(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das hat Ihr Kollege Trittin selber vorgeschlagen!)
Es gibt eine gute Entwicklung, eine vielleicht gute Entwicklung, und zwar, dass das Verfassungskomitee nun tagt. Es ist bedauerlich, nein, es ist verheerend, dass die Kurden nicht dabei sind. Das führt Sie dazu, zu sagen: Der Krieg ist vorbei; lassen Sie uns sie jetzt endlich zurückführen. – Sie haben genau dasselbe auch gesagt, bevor es diesen Schritt gegeben hat. Sie brauchen also keine Anlässe. Es geht eigentlich nur um die Rückführung. Es geht überhaupt nicht um Syrien; das wissen wir.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt so zu tun, als sei der Krieg beendet, ist vor dem Hintergrund der Lage in Idlib, wo systematisch weiter Krankenhäuser und Schulen bombardiert werden, schlicht zynisch.
Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hampel?
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja.
(Zurufe von der SPD: Nein! – Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)
Armin-Paulus Hampel (AfD):
Ich habe nur eine ganz schlichte Frage, Herr Kollege Nouripour.
(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Das ist bei der AfD immer so! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist überraschend, dass Sie schlicht sind!)
– Da kann ich Sie ergänzen: Genauso schlicht hat das Ihr Kollege Jürgen Trittin fast wortwörtlich vorgetragen, wie wir es in unserem Antrag formuliert haben.
Würden Sie Ihrem Kollegen Trittin jetzt die gleiche geistige Schlichtheit wie uns unterstellen wollen?
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich habe Ihnen keine geistige Schlichtheit vorgeworfen, weil ich Ihnen ganz andere Dinge vorzuwerfen habe.
(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber ich wiederhole gerne, was ich gesagt habe: Der Vorschlag ist nicht per se falsch. Der Kollege Trittin hat recht.
(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Aha!)
Wir suchen händeringend nach einem Weg. Und wenn wir einen Weg gefunden haben, werden wir dazu hier Anträge einbringen. Aber wir werden nicht so tun, als hätten wir jetzt irgendwie eine ganz tolle Idee, und bitten die Bundesregierung, für uns zu denken.
(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Die Formulierung war dieselbe!)
Das ist der Unterschied in der Arbeitsweise zwischen der AfD und allen anderen Fraktionen im Hohen Hause.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Danke schön, Herr Kollege!)
Sie sagen: Wiederaufbau, aber keine Bedingungen. Kein Wort davon, dass dieses Land nur dann zu Frieden kommt, wenn es Versöhnung gibt.
(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das stimmt nicht!)
Kein Wort dazu, dass es Zehntausende von Vermissten gibt. Kein Wort davon, dass über 100 000 Menschen gefangen gehalten werden. Kein Wort davon, was in den Foltergefängnissen von Assad los ist. Kein Wort davon, was mit denen passiert ist, die zurückgekehrt sind. Es gibt so viele Berichte darüber, dass diese Leute Repressionen ausgesetzt sind, dass sie teilweise auch verschleppt worden sind.
(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)
Es gibt sehr viele, von denen wir nicht wissen, wo sie sind.
Kein Wort vom sogenannten Dekret Nr. 10. Beim Dekret Nr. 10 geht es darum, dass die lokalen Warlords von Assad grundsätzlich nach einem Stichtag gucken können, wer gerade nicht zu Hause ist, und dessen Haus, dessen Acker dann einfach konfiszieren können. Das ist in so vielen Fällen bereits passiert.
Wir reden über ein Land, in dem 9 Millionen Menschen nicht mehr dort leben können, wo sie beispielsweise ihr Hab und Gut haben. Sie dorthin zurückzuschicken, würde bedeuten, dass die Leute in Armut und in Willkür geraten. Wir erleben willkürliche Verhaftungen gerade bei denjenigen, die versucht haben, zurückzukommen. Kein Wort davon.
Kein Wort davon, dass es lokale Versöhnungsabkommen gibt, die zwar so heißen, aber nichts mit Versöhnung zu tun haben – im Gegenteil –, sondern schlicht die Machtverhältnisse dieser Warlords zementieren. Kein Wort davon, dass alles, was wir bisher von Assad an militärischen Erfolgen erlebt haben, ausschließlich gerade nicht zu Frieden und Versöhnung, sondern zu Siegerjustiz führt. Kein Wort davon, dass das kein Weg ist, durch den Syrien auf Dauer befriedet werden kann. Kein Wort davon, dass diejenigen, die zurückgehen, teilweise zwangsrekrutiert werden von den Menschen, die dort die Machtverhältnisse für Assad sicherstellen.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Was ist Ihr Vorschlag? Weiter Krieg führen?)
Kein Wort davon. Das macht mir wirklich Gänsehaut.
Am Dienstag gab es in Daraa, in der Stadt, in der vor acht Jahren die Proteste begonnen haben
(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Jetzt kommen wieder die Horrorgeschichten!)
und in der bei Beerdigungen tatsächlich auf Menschen geschossen worden ist, eine große Demonstration gegen Assad und gegen die Hisbollah. Ich finde, der Mut dieser Leute gehört wenigstens einmal an dieser Stelle erwähnt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Bei all dem Elend ist es selbstverständlich eine Katastrophe, dass die Türkei jetzt völkerrechtswidrig einmarschiert ist. Es ist humanitär, es ist organisatorisch und es ist völkerrechtlich katastrophal, was die Türkei macht. Es ist extrem bedauerlich, dass die Bundesregierung sich in den letzten Wochen und Monaten überhaupt nicht darum bemüht hat, wirklich die Schrauben anzudrehen. Es ist sehr bedauerlich, dass beispielsweise die Hermesbürgschaften, ein hochsensibles Instrument, das im Falle der Türkei immer wieder gewirkt, ökonomisch Druck gemacht und zur Verhaltensänderung geführt hat, nicht gestoppt werden.
Es ist außerdem extrem bedauerlich, dass die Bundesregierung sich zu keiner Zeit um eine geordnete Rückführung der Dschihadisten, die in Deutschland, in unserer Gesellschaft, radikalisiert worden sind, bemüht hat. Wir haben eine Verantwortung, diese Leute zurückzunehmen. Das muss auch passieren.
(Frank Pasemann [AfD]: Das ist unglaublich! Hat er das eben wirklich gesagt?)
Das ist sonst nicht nur den Staaten gegenüber heuchlerisch, zu denen wir sagen: „Nehmt eure Dschihadisten zurück“, sondern das ist auch schlicht in Anbetracht der Sicherheit dieses Landes fahrlässig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:
Der nächste Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Roderich Kiesewetter.
(Beifall bei der CDU/CSU)